Susann RüthrichSPD - Aktuelle Stunde: Sexuellen Missbrauch effektiv bekämpfen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Darf er das?“, „ Muss ich das?“, „ Bin ich schuld?“ – Sie haben den erschütternden Kampagnenfilm „Anrufen hilft!“ für das Hilfetelefon vielleicht in letzter Zeit gesehen. Ja, es findet statt; Tag für Tag. Wir sind wieder erschüttert. Dieses Mal ist es ein Fall in Münster. Wieder einmal folgen Forderungen nach einer Verschärfung des Strafrechtes. Ja, das sollten wir wohl machen.
Als Kinderbeauftragte der SPD-Fraktion frage ich mich jedoch: Reicht das? Wobei hilft das denn genau? Verhindert die Strafe die Tat? Wohl leider nicht. Wir sind uns sicher einig: Den Kindern ist am meisten geholfen, wenn es gar nicht erst zur Tat kommt. Schutzkonzepte in allen Einrichtungen, die wirksam mit Leben gefüllt sind, überprüft werden, verbindlich sind und auch mit Ressourcen wie Geld und Zeit ausgestattet sind, schaffen sichere Räume, in denen Kinder geschützt sind und sich auch im schlimmsten Falle offenbaren können.
Was braucht es, damit sie das tun? Nicht nur Erwachsene, die reagieren, die kompetent und einfühlsam das Richtige und Notwendige tun. Darüber hinaus braucht es auch das tägliche Erleben, dass das Kind gehört wird. Warum sollte ein Kind, dessen Stimme bislang nie ernst genommen wurde, plötzlich darauf vertrauen, dass seine Stimme im schlimmsten der Fälle auf einmal eine Wirkung entfaltet? Genau deshalb kämpfen wir so für die Kinderrechte im Dreiklang von Schutz, Förderung und Beteiligung.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Wenn sich das Kind erlebbar und wirksam im täglichen Leben einbringen kann, wird es viel eher darauf vertrauen, dass seine Stimme auch gehört wird, wenn es darum geht, gewaltsame Übergriffe zu beenden.
Schreckt die Höhe der Strafe die Täter wenigstens ab? Ich habe meine Zweifel. Wir haben es oft mit sozial hoch angepassten Menschen zu tun. Immer wieder ist zu hören: Wir hätten das bei der Person oder in der Familie nie für möglich gehalten. Die Täter wissen ganz genau um die Schändlichkeit ihrer Tat. Sie tun es trotzdem. Das, was diese Personen wirklich abschrecken würde, ist, wenn sie fürchten müssten, mit hoher Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden. Und da sind wir bei einem Grundproblem. Die Ermittelnden sind angesichts der unglaublichen Masse an Daten derzeit gar nicht ausreichend in der Lage, alle Taten und alle Täter vor Gericht zu bringen. Es braucht mehr Ermittelnde, und die brauchen die Unterstützung beispielsweise durch Systeme der künstlichen Intelligenz, die beim Aufspüren und Auswerten helfen. Solange das Entdeckungsrisiko so gering bleibt, kann die Strafe noch so hoch sein, sie wird nicht abschrecken.
Wenn aber ein Fall entdeckt wird, dann müssen wir alles dafür tun, dass das Verfahren das Kind nicht abermals traumatisiert. Von der Beweissicherung bis zur Befragung im kindgerechten Rahmen ist noch jede Menge Luft nach oben. Warum gibt es nicht an jedem größeren Ort so etwas wie ein Childhood-Haus?
Nun gibt es aber auch potenzielle Täter, die Hilfe suchen, bevor Kinder zu Schaden kommen. Wie sieht es denn da aus mit flächendeckenden Angeboten, wie beispielsweise „Kein Täter werden“? Ja, ziemlich dünn. So, wie es generell ziemlich dünn aussieht bei Schutzeinrichtungen und bei Hilfen für Familien. Oder haben Sie jemals von einem Jugendamt gehört, das nicht unter Spardruck leidet?
Wir sind also bei den Institutionen. Hier sehe ich neben dem Jugendamt beispielsweise die Familiengerichte. Wussten Sie, dass es keinerlei Fachkenntnisse zum Kinderschutz, zu Kinderrechten, zum Bindungsverhalten braucht, um als Familienrichter oder ‑richterin weitreichende Entscheidungen für die Kinder zu treffen? Viele dieser Richterinnen und Richter sind enorm engagiert. Aber welches Werkzeug stellen wir ihnen denn zur Verfügung? Verbindlich in bestehende Kinderschutznetzwerke vor Ort eingebunden sind sie jedenfalls nicht.
Was zeigt uns der Fall in Münster auch? Das Familiengericht entschied wieder allein zugunsten des Erziehungsrechts der Mutter, vielleicht weil das im Grundgesetz steht, das Kinderrecht aber nicht. Ja, in 99 Komma irgendetwas Prozent der Fälle ist das Kind am besten in der Familie aufgehoben, aber eben nicht immer. Und das hier scheint ein klassischer Fall dafür zu sein. Das hat viel mit der Qualität der gerichtlichen Entscheidung zu tun. Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat dazu eine Stellungnahme verabschiedet. Das hat aber auch etwas mit der grundgesetzlichen Basis zu tun. Wir wollen endlich die Kinderrechte im Grundgesetz und mit allen anderen so wichtigen Rechten wie dem Erziehungsrecht oder auch
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
dem Datenschutz auf Augenhöhe bringen.
Eines noch: Wissen Sie, wer am leichtesten Zugang zu Kindern und Jugendlichen hat? Das sind Jugendliche selbst: Geschwister, Mitschüler, Vereinskameraden. Sie gibt es, und sie erstellen strafbare Bilder, sie teilen sie, sie sind übergriffig und extrem verletzend. Auch das kommt vor. Hier hilft das Strafrecht wenig bis nichts, sondern es helfen nur frühzeitig beste Strukturen in der Jugendhilfe und in der Pädagogik.
Bitte lassen Sie uns also den Schutz der Kinder in seiner Gesamtheit angehen, damit kein Kind mehr Opfer wird.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Alexander Hoffmann.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7452959 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Sexuellen Missbrauch effektiv bekämpfen |