18.06.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 166 / Zusatzpunkt 18

Karl-Heinz BrunnerSPD - Nuklearwaffen

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu den Äußerungen zu Rüstungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des BIP nichts sagen, weil sie so aberwitzig und absurd sind, wie die 2-Prozent-Diskussionen immer waren. Wer unser BIP anschaut, sieht: Wenn sich die wirtschaftliche Situation nicht ändert und wenn unsere Maßnahmen nicht greifen, werden wir uns auf die 2 Prozent sehr schnell zubewegen, egal, was wir wollen. Aber dann haben wir am Ende gar nichts in den Händen.

(Zurufe von der AfD)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, am 26. März 2010 – das dürfte in Deutschland unstrittig sein – hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dass Deutschland atomwaffenfrei und nuklearfrei sein soll. Das war gut, das war richtig. Das war eine gute Entscheidung, die der Deutsche Bundestag getroffen hat.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Hat überhaupt nichts gebracht!)

Diese Entscheidung, die der Deutsche Bundestag getroffen hat, bedarf aber zu ihrer Umsetzung einer klugen, einer vernünftigen und vor allen Dingen einer machbaren Politik. Dazu müssen wir wissen, dass Abrüstung – und nukleare Abrüstung ist am Ende dieser Kette – nur dann möglich ist, wenn es uns wieder gelingt, den Dreiklang aus Vertrauensbildung, aus Verifikation und letztendlich dann aus Abrüstung herzustellen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, diesen Dreiklang herzustellen, gelingt uns leider Gottes nicht durch „America first“, „Russia first“, „Germany first“, sondern nur dadurch, dass wir klug und vertrauensvoll vorgehen.

(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

Dies haben wir, die Weltgemeinschaft, die Russische Föderation und die USA, mit den START-Abkommen gemacht: mit START I, mit START II und letztendlich dann mit New START, dem Vertrag, der im April 2010 in Prag durch die damaligen Präsidenten Barack Obama und Dimitrij Medwedew unterzeichnete wurde. Er hat eine gute Message, würde ich sagen, gehabt, indem die Zahl der einsatzbereitgehaltenen nuklearen Sprengköpfe auf 1 550 und die der Trägersysteme auf 800 begrenzt wurden und er einen guten Austausch von Informationen und gegenseitiger Verifikation hinsichtlich der Begrenzung ermöglichte. New START hat deshalb auch einen maßgeblichen Beitrag zur geopolitischen Stabilität nicht nur zwischen den USA und Russland geleistet, sondern auch in Europa, in Deutschland und anderswo zu friedlichem Leben geführt.

New START ist – das wissen wir alle, die sich mit der Materie beschäftigen – nicht ohne Schwächen: Auch wenn Russland und die USA nach wie vor die mit Abstand größten Atommächte dieses Globus sind, versuchen auch andere Staaten – das wissen wir –, ihre nukleare Option auszubauen. Trotzdem ist klar, dass eine Welt ohne diesen Vertrag, ohne New START, so sage ich, weit weniger sicher wäre. Mittlerweile ist leider Gottes New START neben Open Skies eines der letzten verbliebenen Abkommen zur Rüstungskontrolle, und zwar zur nuklearen Rüstungskontrolle zwischen den nuklearen Supermächten USA und Russland. Schon deswegen wäre es schade, nein, ein fatales Signal, wenn 2021 New START sang- und klanglos auslaufen würde. Es wäre ein dramatischer Rückschritt für die weltweite Abrüstung. Dies gilt umso mehr, weil derzeit kein Ersatz in Sicht ist.

Diese große Bedeutung von New START hebt auch der Antrag der Linken hervor. Das ist ein gutes Zeichen. Ich habe ja schon Forderungen gesehen, die sich weitaus bizarrer dargestellt haben. Zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, und dem klaren Antrag der Grünen, Nuklearwaffen aus Deutschland am besten sofort abzuziehen, muss man aber sagen: Man sollte sich einmal darauf verlassen, dass die Bundesregierung, insbesondere der Außenminister, hier nicht nur hinsichtlich des Neustarts der Abrüstungsinitiativen an vielen Baustellen mit vollem Einsatz bei der Sache ist und bleiben wird, auch ohne dass der Deutsche Bundestag die Anträge einzelner Fraktionen, in denen ein bestimmtes Regierungshandeln gewünscht wird, umsetzt. Dieser Antrag zeigt eigentlich eher die Geringschätzung gegenüber der Bundesregierung. Sie soll das tun, was eigentlich ihre Aufgabe ist, und das tut sie.

(Beifall des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD])

Alles in allem weiß ich nicht, was ich von Ihren Anträgen halten soll. Offensichtlich wissen Sie selbst es auch nicht; denn am Schluss kommen Sie alle immer zum Ergebnis: Wir müssen New START erhalten. Wie wir das machen, sagen wir nicht. – Und: Die nuklearen Sprengköpfe sollten aus Europa und aus Deutschland so schnell wie möglich abgezogen werden.

Ja, man muss – und das sage ich auch ganz deutlich – über die nukleare Teilhabe reden. Man muss diskutieren. Man muss den Beschluss des Deutschen Bundestages in eine realitätsnahe Politik umsetzen; denn das ist ein wichtiges Thema.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie sind doch an der Regierung!)

Dieses wichtige Thema muss debattiert werden, so wie die Sozialdemokratie dies macht: intern, extern mit den Menschen draußen in der Gesellschaft. Aber: Wir müssen uns bei der nuklearen Teilhabe auch im Klaren darüber sein, dass kluge Politik nicht bedeutet: Ich gebe jegliche Verhandlungsmasse auf und mache dadurch die Welt besser.

Ich möchte mal ein Beispiel bringen. Wenn ich Karten spiele und bei dem Kartenspiel ein gutes Blatt habe – ich habe mir sagen lassen, da ich aus Bayern komme, dass Schafkopf und Skat natürlich ganz unterschiedlich gespielt werden –, dann werde ich bei diesem guten Blatt nicht die Joker, also die guten Karten, die ich habe, aus der Hand geben, um dann zu verhandeln. Ich sage ganz deutlich mit Blick auf Europa: Wie könnte Deutschland auf Nuklearwaffen verzichten und dabei sagen: „Wir geben auf und haben jetzt eine bessere Verhandlungsposition mit der Russischen Föderation,

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, aber Sie verhandeln ja nicht!)

wenn diese gleichzeitig in Kaliningrad einen Sprengkopf hat?“ Da muss ich was im Köcher haben, um verhandeln zu können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wenn ich abrüsten will, muss ich Maßnahmen zur Verhandlung und Einrichtungen zum Verhandeln haben, und dazu dient die nukleare Teilhabe.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was haben Sie denn verhandelt, Herr Brunner?)

Ich sage auch ganz klar für die deutsche Sozialdemokratie und für unsere Fraktion in diesem Hohen Haus: Sicherheitspolitik und nukleare Teilhabe in Deutschland und in Europa bedeutet auch, dass wir mit den Parteien diese Maßnahmen verhandeln –

Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.

– danke, Herr Präsident, ich komme zum Ende – und dass wir letztendlich – last, but not least – unser Ziel eines atomwaffenfreien Europa und atomwaffenfreien Deutschland nicht aus den Augen verlieren.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was haben Sie denn bisher verhandelt?)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit für die namentliche Abstimmung geht allmählich zu Ende. Wer noch nicht abgestimmt hat, sollte jetzt aufbrechen. Herr Kollege Bijan Djir-Sarai von der FDP, haben Sie schon abgestimmt?

(Bijan Djir-Sarai [FDP]: Ja, habe ich!)

– Das ist gut. Dann erteile ich Ihnen jetzt das Wort.

(Beifall bei der FDP – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sehr fürsorglich, Herr Präsident!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7453016
Wahlperiode 19
Sitzung 166
Tagesordnungspunkt Nuklearwaffen
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta