Eva Högl - Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2019
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, Ihnen zu sagen, dass es mich sehr freut, dass ich, bereits vier Wochen nachdem ich in das Amt kam, hier als neue Wehrbeauftragte zu Ihnen sprechen darf.
Ich beginne mit einem Dank, nämlich mit einem ganz herzlichen Dankeschön an die vielen Soldatinnen und Soldaten, die seit Ausbruch der Coronapandemie Amtshilfe bei der Eindämmung des Virus geleistet haben. Für diese großartige Unterstützung ein herzliches Dankeschön!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Außerdem danke ich sehr, sehr herzlich den Soldatinnen und Soldaten, die trotz Corona im Inland sowie in den zahlreichen Auslandseinsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen ihren Auftrag erfüllen und ihren Dienst leisten für Frieden, Freiheit und unsere Sicherheit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Dank gilt auch ihren Familien; denn auch sie schultern diese Belastung. Und ein Dank gilt den zivilen Beschäftigten.
Wir beraten heute in erster Lesung den Jahresbericht 2019 des Wehrbeauftragten. Das ist ein Bericht – sehr geehrter Herr Präsident, Sie haben es eben schon gesagt –, der noch aus der Feder meines Vorgängers Dr. Hans-Peter Bartels stammt. Auch ihm gilt mein ganz, ganz herzlicher Dank, und zwar nicht nur für diesen Bericht, sondern für seine engagierte Wahrnehmung des Amtes in den vergangenen fünf Jahren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
„Zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie“, das sind zusammengefasst die bekannten, seit Jahren bestehenden und leider auch weiterhin aktuellen Probleme der Bundeswehr, die der Bericht beschreibt. Seit 2016, mit den sogenannten Trendwenden „Personal“, „Material“ und „Haushalt“, arbeitet das Bundesministerium der Verteidigung engagiert an einer Verbesserung der Situation. Eine ganze Reihe von Maßnahmen wurden auf den Weg gebracht. Aber im Arbeitsalltag der einzelnen Soldatin, des einzelnen Soldaten konnten jedenfalls 2019 noch kaum konkrete Verbesserungen spürbar sein.
Ende 2031 soll die Bundeswehr vollständig aufgestellt und ausgerüstet sein. Das ist noch ein langer Weg. Das beginnt mit dem Personal. 2025 soll das Plansoll von 203 000 Soldatinnen und Soldaten erreicht werden. Auch das ist ein langer Zeitraum – im Jahr 2019 waren es 184 000 aktive Soldatinnen und Soldaten –, wenn wir uns vergegenwärtigen, vor welchen Aufgaben die Bundeswehr steht und dass die seit 2014 auch verdoppelt wurden. Neben den mandatierten Auslandseinsätzen bekommt die Landes- und Bündnisverteidigung in Europa wieder eine größere Bedeutung. Bei dieser Aufgabenfülle wiegt es schwer, meine Damen und Herren Abgeordnete, wenn 20 000 Dienstposten oberhalb der Mannschaftsebene nach wie vor nicht besetzt waren und auch die Neueinstellungen keine signifikante Steigerung bewirken konnten.
Die Bundeswehr wird älter, Schritt für Schritt. 2009 betrug das Durchschnittsalter des militärischen Personals 32,3 Jahre. Deswegen sage ich hier sehr deutlich – und das zeigt der Bericht auch –, dass es wichtig ist, dass die Bundeswehr sich als attraktiver Arbeitgeber präsentiert und als solcher wahrgenommen wird; denn das ist sie.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie ist einer der größten Arbeitgeber und auch einer der größten Ausbildungs- und Bildungsanbieter mit 260 Bildungs- und Berufsabschlüssen. Es hat mich jüngst sehr gefreut, zu lesen, dass sie bei Schülerinnen und Schülern auf Platz zwei der Beliebtheit ist. Auch das ist ein gutes Signal.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Der Anteil von Frauen in der Bundeswehr ist gestiegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, auf 12,3 Prozent – langsam, aber stetig. Ich möchte hier hervorheben, dass es wichtig ist, dass Frauen im gesamten Spektrum der Bundeswehr tätig sind, in allen Teilstreitkräften, in Führungspositionen und auch bei den Spezialkräften. Da ist noch Nachholbedarf.
Die Bundeswehr ist nach wie vor eine Pendlerarmee. Im Durchschnitt nimmt jede Soldatin und jeder Soldat täglich eine Fahrstrecke von 121 Kilometern zwischen Dienst- und Wohnort auf sich. Es gibt viele gute Ansätze – auch das möchte ich ganz ausdrücklich loben, Frau Ministerin –, diese Härten zu beseitigen. Dazu gehört auch – das finde ich ganz wunderbar – –
Frau Dr. Högl.
Ja?
Ich darf Sie kurz unterbrechen – ich halte Ihre Redezeit auch an –, weil mir berichtet worden ist, dass draußen in der Lobby AfD-Abgeordnete andere Abgeordnete dabei filmen, wie sie ihre Karten einwerfen. Ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführer, in der AfD-Fraktion darauf hinzuwirken, dass das unterlassen wird.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Kolleginnen und Kollegen können mich auch außerhalb des Saales in der Lobby hören. Ich weise die Kolleginnen und Kollegen der AfD darauf hin, dass ich von Ordnungsmaßnahmen Gebrauch machen werde, wenn das nicht unterlassen wird.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Entschuldigung, Frau Dr. Högl. Sie haben das Wort.
Das Stichwort war „Pendeln“. Ich wollte hervorheben, dass das kostenfreie Bahnfahren eine wirklich sehr gute Maßnahme ist und vor allen Dingen auch zur Sichtbarkeit der Truppe im Alltag führt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ist etwas, was in dem Bericht deutlich dargestellt wird, aber auch mir schon bei meinen Gesprächen überall vorgetragen wurde, und zwar nicht nur von jungen Frauen, sondern auch und insbesondere von jungen Männern; denn sie wollen alle ihr Leben partnerschaftlich gestalten und ihre Familie mit ihrem Dienst vereinbaren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Hier muss die Bundeswehr noch besser werden. Das betrifft vor allen Dingen – das wurde mir auch vorgetragen – die Planbarkeit.
Wir kommen zum Thema Ausrüstung. Die Lücken sind nach wie vor groß; das ist nicht akzeptabel. Es gilt der Grundsatz „Übe, wie du kämpfst“. Dieser Leitsatz ist die Basis für einen erfolgreichen Einsatz. Während wir feststellen müssen, dass die Belastung der Bundeswehr hoch ist, warten die Soldatinnen und Soldaten nach wie vor auf eine spürbare Verbesserung ihres Dienstes. Deswegen ist es ganz dringend erforderlich, dass die materielle Einsatzbereitschaft deutlich erhöht wird. Hier gibt es 2019 noch nicht ausreichend signifikante Fortschritte.
(Beifall des Abg. Dr. Eberhard Brecht [SPD])
Fehlende oder nicht einsatzfähige Fahrzeuge, Hubschrauber, Schiffe, fehlende Werkzeuge – unzureichende Ausrüstung – sind leider häufig der Grund für die berechtigte Unzufriedenheit von Soldatinnen und Soldaten. Auch die Infrastruktur muss besser werden: Ausstattung mit WLAN, Betten, Spinde, genügend Unterkünfte, Sporthallen und Schwimmbäder.
(Beifall bei der SPD)
Für diese Aufgaben muss die Bundeswehr natürlich finanziell ausreichend ausgestattet sein. Aber nicht immer liegt es nur am Geld, sondern es liegt auch an der Bürokratie. Und so steht es auch in diesem Jahresbericht wieder, wie schon vorher: Vieles dauert viel zu lange. – Es ist wirklich unverständlich, wenn es bei Beschaffungen lange dauert, selbst bei kleinen Ausrüstungsgegenständen wie Schutzwesten, Gehörschutz und Rucksäcken. Deswegen müssen die Strukturen und Prozesse bei der Beschaffung dringend verbessert werden.
(Beifall bei der SPD)
Das alles hängt zusammen.
Jetzt komme ich zum Thema „Innere Führung“, weil es natürlich eine Verbindung zwischen Innerer Führung, Material und Arbeitsbedingungen gibt. 2007 hat das Verteidigungsministerium das Projekt „Innere Führung – heute“ gestartet. In zahlreichen Workshops wurde schonungslos die Lage analysiert, wurden auch viele Reformvorschläge erarbeitet, und das, sehr geehrte Frau Ministerin, gilt es jetzt auch umzusetzen und auf den Weg zu bringen.
Diejenigen, die für militärische Auftragserfüllung verantwortlich sind, brauchen mehr Kompetenzen und mehr Ressourcenverantwortung, und da komme ich zu einem aktuellen Thema. Denn für das Prinzip der Inneren Führung und Verantwortungswahrnehmung steht auch ganz deutlich der offene Brief eines Kommandeurs des KSK, Brigadegeneral Kreitmayr, den er anlässlich rechtsextremer Verdachtsfälle in seinem Verband verfasst hat. Ein solches Vorgehen eines Kommandeurs ist vorbildlich und gelebte Innere Führung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Michael Theurer [FDP])
Ich werde nächste Woche in Calw sein und mich vor Ort informieren und mich mit den Soldatinnen und Soldaten unterhalten. Mir ist eins sehr wichtig – das möchte ich heute auch noch einmal deutlich zum Ausdruck bringen –: Es gibt keinen und es darf keinen Generalverdacht geben, weder gegenüber dem KSK noch gegenüber der gesamten Bundeswehr. Meine Damen und Herren, das ist keine Floskel, sondern es ist mein fester Standpunkt, und das sollte auch unsere Herangehensweise sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Denn die Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten – die klare, absolute Mehrheit – übt jeden Tag sehr verantwortungsvoll ihren Dienst aus für unser Land, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat; sie müssen wir stärken. Rechtsextremismus hat in der Bundeswehr keinen Platz und widerspricht Ehre und Kameradschaft.
(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deswegen muss aufgeklärt werden, muss gründlich ermittelt werden. Es müssen Reformvorschläge auf den Weg gebracht werden. Ich begrüße sehr, dass Sie, Frau Ministerin, eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen haben, die genau diesen Auftrag hat. Es ist auch zu begrüßen, meine Damen und Herren – das geht auf Anregungen meines Vorgängers zurück –, dass das BAMAD jetzt auch einen Jahresbericht veröffentlicht. Das war überfällig und ist ein wichtiger Beitrag.
Ich komme zum Fazit, zu den Schlussfolgerungen. Es gab im Berichtsjahr 2019 eine ganze Reihe von Verbesserungen für Soldatinnen und Soldaten. Das Positive muss und soll auch hervorgehoben werden – rechtlich, sozial und finanziell. Aber es bleiben auch viele Sorgen: Einsatzbelastung, Ausrüstung, Arbeitszeitfragen, das Pendeln und die Planbarkeit; darüber sprach ich. Die Zahl der bearbeiteten Vorgänge ist im Berichtsjahr leicht zurückgegangen; es sind 3 835. Die Zahl der persönlichen Eingaben liegt bei 2 459. Nicht immer kann Abhilfe geschaffen werden. Nicht alle Probleme können gelöst werden. Aber ich habe schon gesehen: In vielen Fällen helfen Erklärungen und kritisches Nachfragen, um zu Lösungen zu kommen.
Ich möchte hervorheben, dass es eine ganze Reihe von Verbesserungen gibt, die ganz konkret auf Anregungen und die Beharrlichkeit meines Vorgängers, Dr. Hans-Peter Bartels, zurückgehen und dank seines Engagements erreicht werden konnten. Nur beispielhaft – keine abschließende Aufzählung – nenne ich die Beschaffung von Schutzwesten, das sogenannte Handgeld für Beschaffungen, die Mandatierung der Mission Gazelle und die jüdische Militärseelsorge.
(Beifall bei der SPD)
Die Coronapandemie wird uns sicherlich noch eine ganze Weile beschäftigen. Ich werde sorgfältig darauf achten, dass einerseits der Schutz der Soldatinnen und Soldaten gewährleistet wird, gleichzeitig aber auch die Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig sind.
Der Bericht schreibt, wie wichtig die zahlreichen Gespräche und Eingaben sind. Sie sind eine gute Grundlage dafür, an der Lösung der Probleme zu arbeiten, Missstände aufzuzeigen und sich darum zu kümmern. Meine Damen und Herren, sehr geehrte Abgeordnete, auf dieser Basis werde auch ich das Amt ausüben, und auf der Basis der Eingaben und der vielen Gespräche werde ich mich mit meiner ganzen Kraft kümmern.
Ganz zum Schluss danke ich noch einmal. Ich danke ganz herzlich all denjenigen, die zum Jahresbericht beigetragen haben, vor allen Dingen noch einmal den Soldatinnen und Soldaten. Und ich danke an dieser Stelle ganz, ganz herzlich den Kolleginnen und Kollegen im Amt der Wehrbeauftragten für ihr Engagement.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD und der FDP)
Vielen Dank, Frau Dr. Högl. – Herr Dr. Bartels war und ist bedauerlicherweise nicht bei uns hier im Haus. Offensichtlich scheint das Demonstrationsgeschehen in Berlin die Erreichbarkeit des Reichstages vor erhebliche Probleme zu stellen. Das ist vielleicht auch für diejenigen interessant, die zu gegebener Zeit den Reichstag verlassen wollen. Richten Sie sich darauf ein, dass das etwas schwieriger wird, als es vorher vielleicht gedacht war.
Nächste Rednerin ist für die Bundesregierung die Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7453141 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 167 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2019 |