19.06.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 167 / Tagesordnungspunkt 28

Eberhard BrechtSPD - Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2019

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Dr. Högl! Frau Bundesministerin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! 45 Milliarden Euro gibt die Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr für Verteidigung aus. Das sind immerhin 9 Prozent des Gesamthaushaltes. Angesichts dieser enormen Summe tragen wir alle, das BMVg mit der Bundeswehr, das Bundeskabinett, der Deutsche Bundestag und hier insbesondere natürlich die Verteidigungs- und Haushaltspolitiker, eine ganz besondere Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler, aber natürlich auch gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr.

Der Bericht der/des Wehrbeauftragten sollte aber nicht nur Mängel beschreiben, sondern auch durch die Nennung von Erfolgen die Entscheidungsträger der Bundeswehr zu weiteren Reformen ermutigen. Frau Bundesministerin hat einige dieser Erfolge schon benannt: gesetzliche Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten – von der Zulagenhöhe über Trennungsgeldregelungen hin bis zu neuen PTBS-Therapieformen.

Positiv zu bewerten ist auch, dass sich nach einem langen Abwärtstrend die Zahl der Neueinstellungen von Zeitsoldaten und freiwillig Wehrdienstleistenden stabilisiert hat, wenn auch die Personalmisere damit keineswegs behoben ist. Digitalisierung kann helfen, Effektivität und Schnelligkeit zu erhöhen. Die Bundeswehr macht in diesem Bereich nicht alles, aber vieles richtig. Und schließlich dürfen wir alle stolz darauf sein, dass es nun endlich eine rechtliche Grundlage für die Militärseelsorge der circa 300 jüdischen Angehörigen der Bundeswehr gibt. Nun sollten wir uns auch darum bemühen, auch wenn es schwierig ist, dass für die 3 000 Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens eine ähnliche Regelung zustande kommt.

(Beifall bei der SPD)

Dagegen stehen nun die vom Team Bartels benannten Missstände. Ich werde jetzt auf das Thema Rechtsextremismus nicht eingehen; dazu wird mein Kollege Dr. Felgentreu noch einige Worte verlieren. Aber genauso wichtig ist es, dass wir uns zu den anderen Fragen noch mal äußern.

Es ist einfach nicht akzeptabel, wenn der Deutsche Bundestag zwischen 2014 und 2019 einerseits einem Aufwuchs des Einzelplans 14 von 32 auf 45 Milliarden Euro zugestimmt hat, die Einsatzbereitschaft aber andererseits nicht nennenswert gesteigert werden konnte. Und dieser Missstand trägt nicht gerade dazu bei, die Bundeswehr für junge motivierte Menschen attraktiv zu machen.

Ich bin auch ein Stückchen müde: Jahr für Jahr wird der Bericht des Wehrbeauftragten so kommentiert, aber die Einkaufspraxis ändert sich nicht, und man kann am Ende diese Misere nur noch sarkastisch kommentieren.

Die Bundeswehr leistet in der Coronakrise zivil hervorragende Hilfe. Nun könnte man ja auf die Idee kommen, Pakete von Amazon und Co per Luftfracht mit der Bundeswehr zuzustellen, um die am Limit arbeitende Logistikbranche zu unterstützen. Kunden, deren Paket mit dem Transportflugzeug A400M zugestellt würde, müssten sich dann allerdings auf eine Lieferzeit von 148 Monaten einstellen. Da wären all jene Onlineshopper im Vorteil, die auf eine Zustellung mit dem Transporthubschrauber NH90 gesetzt haben. Sie erhielten ihre Expressbestellung schon nach 134 Monaten. Das sind nämlich die gegenwärtigen Verspätungen beim vollständigen Einsatz der genannten Fluggeräte. Auch der Schützenpanzer Puma und der Kampfhubschrauber Tiger sind derzeit keine gefährlichen Raubtiere, allenfalls kränkelnde Hauskatzen.

Der für die Gesundheit der Soldaten zuständige Sanitätsdienst befindet sich aufgrund massiver Materialdefizite selbst im Krankenstand.

Und im Fall des seit acht Jahren undichten Tauchzentrums im Marinestützpunkt Eckernförde scheinen die Verantwortlichen abgetaucht zu sein.

Wenn man in wolkenfreien Nächten in den Winterhimmel schaut, wird man ohne Mühe das Sternbild des Orion erblicken. Nach dem P-3C Seefernaufklärer Orion wird man jedoch vergeblich Ausschau halten. Technische Risiken können nicht abgestellt werden, sodass wir in Zukunft am Nachthimmel anstelle des Orion nur ein schwarzes Loch – im militärischen Terminus: eine Fähigkeitslücke – erblicken werden.

Hoffnungen gibt es für die Fregatten vom Typ F125, von denen immerhin zwei inzwischen in den Dienst übernommen wurden. Allerdings hinkt das Projekt auch hier stattliche 64 Monate hinter der Ursprungsplanung hinterher.

Die Misere des Beschaffungswesens unserer Streitkräfte ist leider nicht nur Gegenstand parlamentarischer Debatten, sondern hat schon lange die deutsche Öffentlichkeit erreicht. So wird gefrotzelt, dass die kurzzeitig diskutierte Anschaffung eines europäischen Flugzeugträgers unrealistisch sei, weil ja ein solches Waffensystem nur eine Kombination der „Gorch Fock“ und des neuen Berliner Flughafens sei.

Genug der Satire! Wir alle können kein Interesse daran haben, wenn Steuermittel nicht effektiv eingesetzt werden und das Ansehen der Bundeswehr beschädigt wird. Ich habe durchaus Verständnis für die Besonderheiten bei der Materialbeschaffung des BMVg. Aber der Bundestag erwartet ein professionelles Vertragsmanagement mit definierten Leistungsmerkmalen, vorausschauender Ersatzteilbeschaffung, das auch Entschädigungen durchsetzen kann. Ich wünsche unserer Verteidigungsministerin Erfolg mit ihrer Initiative Einsatzbereitschaft und hoffe nur, dass im BMVg der Schwanz nicht mit dem Hund wedelt.

Die zahlreichen Kritikpunkte im Bericht des Wehrbeauftragten 2019 haben alle etwas mit der Übernahme von mehr Verantwortung zu tun. So bedürfen viele Entscheidungen der Zustimmung parallel arbeitender Strukturen. Offensichtlich hat hier der Workshop „Innere Führung Heute“ noch wenig verändert. Entscheidungen können aber auch beschleunigt werden, wenn die Verantwortung nach dem Subsidiaritätsprinzip von oben nach unten abgegeben wird. Viele der langen Prüf- und Genehmigungsverfahren sind schlicht entbehrlich. Wir sollten wieder zurückkehren zur klassischen Auftragstaktik.

Was steht eigentlich der Einführung des von Hans-Peter Bartels vorgeschlagenen Ikea-Prinzips entgegen? Warum muss jeder Rucksack, jedes Handschuhpaar erst in funktionalen Fähigkeitsanforderungen definiert, vergeben, getestet, zertifiziert und über Jahre hinweg in der Bundeswehr eingeführt werden? Und weshalb sollte ein Küchenmeister nicht mehr Verantwortung übernehmen können? Wieso soll sein Verpflegungsplan nur 10 Prozent von der zentral gesteuerten Vorgabe abweichen? Mit einer Liberalisierung könnte er zum Beispiel mehr auf regionale Produkte zurückgreifen.

(Beifall bei der SPD)

Nun noch einige Bemerkungen zur Situation der Soldatinnen und Soldaten im engeren Sinn. Die Belastung der Bundeswehr wächst ständig weiter. Ende 2019 waren 17 500 Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen gebunden. Die tendenzielle Verlängerung der Stehzeiten von vier auf sechs Monate führt nicht nur zu einem Rückgang von Freiwilligenbewerbungen, sondern auch zu gesundheitlichen und sozialen Folgeerscheinungen. Eine Einsatzdauer von vier Monaten sollte daher also wieder unser Standard sein, wobei hierbei in Verständigung mit den eingesetzten Soldatinnen und Soldaten auch flexible Lösungen denkbar sind.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, die aufgeführten Missstände sollten nun einerseits nicht etwa zu der Schlussfolgerung führen, dass diese ein 45-Milliarden-Euro-Budget nicht mehr rechtfertigen, und andererseits nicht so verstanden werden, sie offenbarten, die Bundeswehr könne den Schutz der eigenen Bevölkerung nicht gewährleisten und den Verpflichtungen gegenüber den NATO-Partnern nicht nachkommen.

Nein, trotz aller Defizite ist die Bundeswehr eine moderne Armee mit dem Anspruch auf eine qualifizierte Fürsorge ihrer Angehörigen. Insbesondere bei den internationalen Friedensmissionen zeigen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ihre Leistungsbereitschaft und ‑fähigkeit, die international und auch bei den Menschen vor Ort anerkannt sind.

Trotz der genannten Mängel bei der Beschaffung genießen die NATO im Allgemeinen und die Bundeswehr im Besonderen auch hohes Ansehen bei den Bundesbürgern. Das Militär in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen ist nicht nur auf den Rückhalt des Parlaments, wie eben von der Verteidigungsministerin angesprochen, sondern auch auf die mehrheitliche Unterstützung durch die Gesellschaft angewiesen.

Deshalb möchte ich auch im Namen der SPD-Bundestagsfraktion an dieser Stelle allen Angehörigen der Bundeswehr für ihren Einsatz danken – sei er hier in Deutschland, im NATO-Gebiet oder bei Friedensmissionen weltweit.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers [CDU/CSU])

Aber ich danke auch dem Team von Hans-Peter Bartels, das uns über Jahre hinweg ermahnte, die Reform der Bundeswehr als Daueraufgabe zu verstehen. Unserer neuen Wehrbeauftragten Frau Dr. Högl wünsche ich sehr viel Erfolg bei ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit.

Ich bedanke mich für Ihre Geduld.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Vieregge [CDU/CSU])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7453144
Wahlperiode 19
Sitzung 167
Tagesordnungspunkt Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2019
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