Johannes SchrapsSPD - Vereinbarte Debatte/ Deutsche EU-Ratspräsidentschaft
Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir hätten uns für unsere heute beginnende Ratspräsidentschaft sicherlich andere und bessere Umstände gewünscht, klar. Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, wie lange uns diese Pandemie mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen noch weiter verfolgen wird. Wenn Deutschland ab heute für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernimmt, dann ist unsere Präsidentschaft ganz zwangsläufig auf gewisse Weise eine Coronapräsidentschaft. Ein großes Ziel ist damit für uns natürlich auch schon klar: Wir wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Europa gemeinsam und solidarisch durch diese Krise kommt.
Neben Corona gibt es noch weitere drängende Themen. Heiko Maas hat von Pflichtaufgaben gesprochen: Sowohl den Brexit und die Verhandlungen zum zukünftigen Verhältnis zwischen EU und Vereinigtem Königreich müssen wir bis Jahresende abschließen als auch die Verhandlungen für den kommenden mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union.
Diese Themen werden natürlich viele Kapazitäten binden, die wir gerne in andere Themen gesteckt hätten; doch wir haben in der Vergangenheit gelernt, teilweise lernen müssen, mit Herausforderungen und auch mit Krisen umzugehen.
Nach der Finanzkrise 2008/2009 haben wir große Fortschritte bei der Stärkung der Euro-Zone gemacht. Heute können wir uns darin bestätigt sehen, dass die Reaktionen auf die damalige Krise die richtigen waren. Die danach eingesetzten Instrumente haben uns in der aktuellen Situation die Möglichkeit eröffnet, sehr schnell auf die Krise zu reagieren. Müssten wir diese Instrumente jetzt erst einführen, wir wären lange nicht so gut auf die coronabedingte Rezession vorbereitet, wie das heute der Fall ist.
(Beifall bei der SPD – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Und die schwarze Null!)
Auch deshalb ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf das geplante EU-Wiederaufbauprogramm eine gestärkte Euro-Zone genau das, was wir jetzt brauchen.
(Beifall bei der SPD)
Gut wäre, den Recovery Fund – so wie das in den letzten Tagen besprochen wurde – tatsächlich auch über EU-Eigenmittel zu finanzieren. Wir brauchen zukünftig Gelder, die direkt in den EU-Haushalt fließen. Es wäre deshalb außerordentlich wünschenswert – die Kollegin Brantner hat es angesprochen –, wenn Finanzminister Olaf Scholz in der Bundesregierung und auch bei den europäischen Partnern Unterstützung für seine Pläne findet, europäische Steuerquellen zu erschließen. Eine Einigung auf einen Vorschlag zum Wiederaufbaufonds wäre in jedem Fall ein ganz wichtiges Zeichen europäischer Solidarität, gerade für die Länder, die bisher nicht so gut durch die Krisensituation gekommen sind wie wir.
Wir haben in den letzten Jahren aber noch etwas anderes gelernt: Wenn die EU Mittel vergibt, ohne auf die Einhaltung europäischer Werte und Prinzipien zu pochen, dann kann es passieren, dass diese Prinzipien tatsächlich vernachlässigt werden. Die EU ist aber nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft; die EU ist auch eine Wertegemeinschaft. Deswegen ist es ganz wichtig, dass Heiko Maas das eben auch auf die Nachfrage noch mal so deutlich gesagt hat. Um sie als solche auch zu schützen, halte ich es für zwingend notwendig, dass wir die Auszahlung aus dem EU-Haushalt mit Rechtsstaatskriterien verknüpfen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die EU-Mittel müssen einbehalten werden können, wenn im Rahmen eines Monitoringverfahrens substanzielle Mängel bei der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit festgestellt werden. Antidemokraten dürfen sich nicht mit EU-Geldern finanzieren können, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Florian Hahn [CDU/CSU] und Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Daran messen wir die Bundesregierung! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran messen wir die Bundesregierung!)
Wir unterstützen deshalb ganz ausdrücklich, dass die Bundesregierung auch beim Thema Rechtsstaatlichkeit einen ganz deutlichen Akzent setzt, trotz der eben genannten Notwendigkeiten, denen bis Jahresende entsprochen werden muss. Ebenso wichtig ist es, dass wir als Koalitionsfraktionen durch das Einbringen eines gemeinsamen Rechtsstaatsantrags gerade noch rechtzeitig zur Ratspräsidentschaft in dieser Woche auch ein parlamentarisches Signal in diese Richtung setzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Im Februar habe ich hier ausnahmsweise mal mit Krawatte gestanden – die einen oder anderen werden sich daran erinnern; das war die Ratspräsidentschaftskrawatte der letzten deutschen Ratspräsidentschaft von 2007 –, und das habe ich gemacht, auch wenn sie in dem Moment vollkommen aus der Mode war, um daran zu erinnern, dass wir auch 2007 unter schwierigsten Bedingungen in die Präsidentschaft gestartet sind.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Krawatte haben!)
Aber nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in den Niederlanden und in Frankreich haben wir damals gemeinsam mit Slowenien und mit Portugal den Vertrag von Lissabon auf den Weg und Europa damit wieder in die Spur gebracht, verehrte Kolleginnen und Kollegen, und das wollen wir auch diesmal wieder hinbekommen.
(Beifall bei der SPD)
Denn auch dieses Mal sind die Voraussetzungen schwierig und die Herausforderungen riesig, gar keine Frage. Aber auch dieses Mal starten wir wieder gemeinsam mit Portugal und Slowenien in eine Triopräsidentschaft, und deshalb bin ich absolut überzeugt davon, dass wir auch dieses Mal mit ganz viel Herzblut und mit ganz viel Begeisterung starke Impulse setzen können, damit auch zukünftige Generationen von der Europäischen Union mit ihren Freizügigkeiten, mit den demokratischen Grundlagen und ihrer wirtschaftlichen Stärke profitieren können.
Wir wollen ein stärkeres und innovativeres Europa, wir wollen ein gerechteres Europa, in dem es sich überall gut leben lässt. Wir wollen ein nachhaltiges Europa, das beim Klima- und Umweltschutz entschlossen vorangeht, und wir wollen ein Europa der gemeinsamen Werte.
Die Kollegin Leikert kennt die Gebrüder Grimm aus Hessen. Herr Gauland, ich komme aus Hameln. Da kennen wir den Rattenfänger, und da lernen wir von klein auf, dass dem nicht hinterherzulaufen ist.
(Beifall bei der SDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Deshalb nutzt auch kein Lamentieren über die Umstände dieser Ratspräsidentschaft, sondern es geht nur um gemeinsames Anpacken. Nur wenn es unseren Nachbarn in der EU gut geht, dann geht es auch uns gut. Seien wir also füreinander da, seien wir ein solidarisches Europa!
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der FDP die Kollegin Gyde Jensen.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7455168 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 169 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte/ Deutsche EU-Ratspräsidentschaft |