02.07.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 170 / Tagesordnungspunkt 8

Gesine LötzschDIE LINKE - Corona-Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Monaten bewegen wir hier gigantische Summen. Aber bei Menschen, die in Armut leben, kommt wenig oder gar nichts an, und das kann nicht richtig sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke fordert einen Pandemiezuschlag in Höhe von 200 Euro pro Monat für Menschen, die von Hartz IV oder Grundsicherung leben müssen. Das wäre christlich und sozial, meine Damen und Herren von der Union.

(Beifall bei der LINKEN)

Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, hat uns vorgerechnet: Bei voller Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung – aber nur bei dieser! – hätte ein Hartz-IV-Empfänger dann 8,52 Euro mehr im Monat. Arme Menschen, die keinen Anspruch auf kostenfreie Masken haben, könnten sich also davon gerade einmal acht Einmalmasken kaufen, um sich vor dem Virus zu schützen. Auch dieses Beispiel zeigt, dass wir vor dem Virus nicht alle gleich sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich denke auch an die vielen Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten müssen. In der Mehrheit sind das Frauen. Frauen sind die Hauptverliererinnen dieser Krise, und das können wir als Linke nicht hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn diese Niedriglöhnerinnen und Niedriglöhner jetzt hören, dass der Mindestlohn zum 1. Januar 2021 um 15 Cent pro Stunde angehoben werden soll, dann muss das doch wie Hohn in ihren Ohren klingen. Der Mindestlohn soll bis 2022 auf 10,45 Euro steigen. Das müssen wir uns mal vor Augen halten: In siebeneinhalb Jahren eine Steigerung von 1,95 Euro. Das ist wirklich nicht genug, und darum fordern wir als Linke einen Mindestlohn von 12 Euro, und zwar sofort.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Petry [SPD])

Gerade Menschen im Niedriglohnsektor sind besonders hart von Arbeitslosigkeit betroffen. Nicht alle haben Anspruch auf Kurzarbeitergeld; Minijobber haben darauf gar keinen Anspruch. Doch auch das Kurzarbeitergeld reicht für viele Menschen nicht, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Eine Küchenhilfe zum Beispiel mit einem Nettoeinkommen von 1 300 Euro im Monat bekommt 780 Euro Kurzarbeitergeld. Wenn man dann die Miete abrechnet, ist mit dem Geld im Monat nicht mehr viel zu machen.

Kollege Rehberg hat ja an alle appelliert, sie sollen jetzt mal ordentlich einkaufen gehen. Ich glaube, Menschen mit diesem Einkommen haben andere Sorgen, als in Einkaufscenter zu fahren. Sie müssen Essen und Trinken kaufen und können nicht mit dem Auto irgendwo hinfahren und die Taschen vollhauen. Das war, glaube ich, für viele ein etwas zynischer Appell, Kollege Rehberg.

(Zuruf des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU])

Besonders hart trifft die Krise den Einzelhandel und die Gastronomie. Jetzt, im Windschatten der Pandemie, sollen 62 der 172 Kaufhof-Filialen geschlossen werden. 6 000 Beschäftigte, darunter wiederum viele Frauen, fürchten um ihre Arbeitsplätze. Die Vertreter des marktradikalen Flügels zucken da nur mit den Schultern. Wir aber sagen: Lebendige Städte brauchen eine lebendige Verkaufskultur, und Amazon schafft Geisterstädte. Das wollen wir verhindern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir hatten ja am Montag eine Anhörung im Haushaltsausschuss. Da haben uns viele Ökonomen kluge Sachen gesagt. Zum Beispiel hat die Ökonomin Friederike Spiecker darauf verwiesen – ich darf zitieren, Herr Präsident –:

Wer in einer fragilen gesamtwirtschaftlichen Situation Lohnzugeständnisse gegen Beschäftigungserhalt einzutauschen versucht, scheitert gesamtwirtschaftlich.

Und darum, sagen wir Ihnen, ist unsere Forderung ökonomisch mehr als sinnvoll, das Kurzarbeitergeld auf einheitlich 90 Prozent des Nettoentgeltes anzuheben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

In dieser Woche rief mich eine 85-jährige Rentnerin an. Sie war völlig entsetzt, dass von einer Rentenerhöhung von 24,18 Euro durch Gegenrechnung von Sozialleistungen nur 3,85 Euro übrig bleiben. Sie könne schon lange nicht mehr ins Theater gehen, und die Haare würde sie sich auch selbst schneiden. Die Rente reiche vorne und hinten nicht. So geht es vielen Armutsrentnern in Deutschland. Und das ist für unser reiches Land eine Schande, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Da grenzt es ja schon fast an ein Wunder, dass die Grundrente heute beschlossen werden soll. Die Union hat dem SPD-Minister bis zum Schluss ein Bein gestellt. Er geht jetzt etwas humpelnd vom Platz; denn die Kürzungswut der CDU hat dazu geführt, dass viele Menschen, die darauf gehofft hatten, die Grundrente nicht bekommen werden und in der Grundsicherung feststecken. Wir brauchen also endlich eine armutsfeste Rente. Das sind wir den Menschen in diesem Land schuldig, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben. Die Linke fordert eine solidarische Mindestrente von 10,50 Euro im Monat.

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: 1 000!)

- 1 050 Euro. Das war jetzt der Test, ob alle auch gut zuhören.

(Heiterkeit)

Wir fordern also eine solidarische Mindestrente von 1 050 Euro im Monat.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In unserem Entschließungsantrag fordern wir auch einen Rettungsschirm für Solo-Selbstständige und Studierende. Alle diese Forderungen sind begründet und finanzierbar.

Es gibt ja einiges im Nachtragshaushalt, was auch wir unterstützen; darüber haben wir gestern im Ausschuss diskutiert. Aber anderes stößt auf unseren entschiedenen Widerstand. Sie von der Koalition wollen zum Beispiel rund 10 Milliarden Euro für verschiedene Kriegsgüter ausgeben. Wir brauchen diese Kriegsgeräte nicht, um unsere Sicherheit zu garantieren. Ich sage Ihnen, was das in Wirklichkeit ist: Das sind die teuersten Beruhigungspillen, die je einem cholerischen US-Präsidenten von der Bundesregierung angeboten wurden. Aber sie werden nicht wirken; da bin ich mir ganz sicher. Lassen Sie uns das Geld sinnvoller ausgeben! Gestern haben mir gegenüber wieder viele junge Menschen zum Ausdruck gebracht: Wir wollen eine soziale und eine ökologische Zukunft; wir wollen einen sozialen und ökologischen Umbau. – Das unterstützt Die Linke, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen auch: Die beste Sicherheitspolitik ist eine konsequente Friedenspolitik. Auch dafür steht Die Linke.

Ich will noch etwas zur Lufthansa sagen. Die Bundesregierung hat zugelassen, dass der Milliardär und Lufthansa-Großaktionär Thiele die Lufthansa in Geiselhaft genommen hat. Er hat sich bis zur außerordentlichen Hauptversammlung von Lufthansa gegen den Einstieg des Staates gewehrt. Er hat bis zum Schluss hoch gepokert, um noch mehr Zugeständnisse von der Bundesregierung zu erzwingen. Er befürchtete zu viel Einfluss des Staates auf die Lufthansa. Augenscheinlich haben die Minister Scholz und Altmaier dem Spekulanten Thiele versprochen, dass der Staat im Aufsichtsrat gar keine Rolle spielen wird, keine aktive Rolle, also: Klappe halten und zahlen. Ich finde, das ist der falsche Weg. So darf man mit 9 Milliarden Euro Steuermitteln nicht umgehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Lufthansa befindet sich jetzt in der Geiselhaft eines einzelnen raubeinigen Großaktionärs. Dessen oberstes Prinzip ist der Personalabbau. Ich finde, das muss die Bundesregierung verhindern. Wir können nicht so viel Geld in die Hand nehmen und dann zusehen, wie 22 000 Beschäftigte ihre Arbeit verlieren. Darauf haben wir nicht gewettet. Die Lufthansa muss kontrolliert werden. Unser Geld, unser Steuergeld darf nicht dafür verwendet werden, dass Arbeitslosigkeit entsteht. Dagegen müssen wir uns entschieden zur Wehr setzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist auch klar, dass nach der Bundestagswahl die Rechnung präsentiert wird. Die Union leidet ja jetzt schon – auch das haben wir am Montag in der Anhörung bemerkt – unter der fehlenden schwarzen Null. Sie würde lieber heute als morgen wieder kräftig die Schuldenbremse wie Daumenschrauben anziehen. Unsere Position ist ganz klar: Die Schuldenbremse ist ein ökonomischer Irrweg. Wenn wir schon über das Grundgesetz in Zukunft mehrfach abstimmen, dann lassen Sie uns doch etwas Vernünftiges entscheiden, nämlich die Schuldenbremse endlich wieder aus dem Grundgesetz zu streichen.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

– Ja, ja.

Wir wissen, dass 45 Deutsche genauso viel Vermögen haben wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung insgesamt. Ich glaube, aus dieser Rechnung allein wird ganz deutlich, dass die Forderung der Linken nach einer Vermögensabgabe mehr als gerechtfertigt ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie ist auch von unserem Grundgesetz gedeckt. Eines kann ich Ihnen versprechen: Die Linke wird immer für ein gerechtes, soziales und solidarisches Land kämpfen. Darauf können Sie sich verlassen.

(Beifall bei der LINKEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ich würde mich nicht darauf verlassen!)

Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7455437
Wahlperiode 19
Sitzung 170
Tagesordnungspunkt Corona-Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket
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