Hubertus Heil - Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in verschiedenen Debatten gesagt worden, aber in dieser muss es auch noch mal gesagt werden: Diese Coronakrise ist wirklich wie ein Brennglas für den Blick auf unsere Gesellschaft: Wir sehen im Guten, was los ist; wir sehen im Schlechten, was los ist. Und ich muss schon sagen: Es ist, wie ich finde, bitter für unsere Gesellschaft, dass einige erst in dieser Coronakrise gelernt haben, was in der Fleischindustrie los ist.
Es ist ja nicht so, dass es in der Politik nicht schon Anlässe und auch Vorstöße gegeben hätte, mit den Verhältnissen in diesem Bereich aufzuräumen, so von Andrea Nahles 2017 zusammen mit Karl Schiewerling an der Stelle hier im Parlament. Es gab immer wieder Aktionen. Aber wir haben dann immer zwei Dinge erlebt: Im parlamentarischen Verfahren haben Lobbyisten versucht, Gesetze abzuschleifen. Wenn sie es mal nicht geschafft haben, haben sie mit neuen Sub-Sub-Subunternehmerkonstruktionen bestehendes Recht umgangen.
Und deshalb sage ich: Spätestens jetzt muss Schluss sein. Die Bundesregierung ist entschlossen, in diesem Bereich gründlich aufzuräumen, meine Damen und Herren, und das werden wir auch tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Und das heißt im Einzelnen, dass es um Verantwortung geht. Es geht um die Verantwortung von Unternehmern in allererster Linie für ihre Beschäftigten.
Herr Minister Heil, entschuldigen Sie.
Ja.
Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Ich würde gerne den Gedanken zu Ende führen und dann gerne eine Frage gestatten.
Ich sage noch mal: Es geht hier um Verantwortung der Unternehmer für ihre Beschäftigten. – Hören Sie erst mal zu. Vielleicht kommt ja meine Antwort auch noch. Aber vielleicht haben Sie eine vorbereitete Frage.
(René Springer [AfD]: Es geht um Kontrollen!)
Es geht mir um die Verantwortung der Unternehmen für ihre Beschäftigten.
Es geht – Kollege Laumann, da sind wir uns einig – auch um die Verantwortung der Länder für Kontrollen. Und wenn wir ganz ehrlich sind, bei allem Engagement, das Sie in diesem Bereich gezeigt haben und das ich schätze: In vielen Bundesländern, auch in NRW – muss man ganz offen sagen –, sind Arbeitsschutzbehörden nicht so stark ausgestattet, wie sie es sein müssten.
Deshalb haben wir uns miteinander verständigt, dass es verpflichtende Prüfquoten für die gesamte Wirtschaft geben muss,
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie brauchen Durchgriffsrechte!)
weil Arbeitsschutz wichtig ist. Auch das haben wir alle gelernt: Vor Corona haben einige noch über Arbeitsschutz gesprochen, als sei es Bürokratie; da hat man sich über Paternoster und Teeküchen lustig gemacht. Heute sehen wir: Arbeitsschutz ist verdammt wichtig für unsere Gesellschaft und für die Beschäftigten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zweitens. Wir werden die digitale Arbeitszeiterfassung – –
Herr Heil, ich frage jetzt ein letztes Mal, weil es inzwischen schon zweimal das Begehren gibt, Ihnen eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen, einmal aus der AfD-Fraktion –
Ja.
– und einmal von Kollegen Ernst aus der Linken.
Wen nehmen wir denn zuerst, Frau Präsidentin?
Natürlich denjenigen, der sich zuerst gemeldet hat.
Das habe ich nicht gesehen. Wer war denn das?
Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Minister, am 3. Februar im Jahr 2015 besuchte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Tönnies-Fleischbetrieb in Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen. Das Thema dort waren unter anderem die Werkverträge. Ich möchte kurz aus einer Regionalzeitung zitieren:
Das System an sich nannte Gabriel ein „sinnvolles Instrument“. Dessen Missbrauch allerdings müsse bekämpft werden – wenn etwa mit Werkverträgen eine Scheinselbstständigkeit vorgegaukelt werde, Arbeitszeiten nicht korrekt erfasst oder Löhne nicht wie vereinbart gezahlt werden. Hier, kündigte Gabriel an, sollen die Kontrollen verschärft werden.
In der Aussage der Bundesregierung in einer Drucksache wird nachgewiesen, dass die Zahl der Kontrollen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit in NRW in dem Jahr, wo Sigmar Gabriel dort in der Fleischfabrik war, bei 98 lag. Im Jahr danach ist sie gesunken auf 38 Kontrollen, im Jahr danach auf 32 Kontrollen. In der Drucksache steht, im Jahr 2019 waren es 30 Kontrollen.
Die Frage, die ich an Sie stellen möchte, ist: Warum kündigt ein SPD-Minister hier eine Verschärfung der Kontrollen an, und dann passiert genau das Gegenteil? Und wenn wir die Auswirkungen sehen, die sich über lange Zeit daraus ergeben haben, stellt sich mir auch die Frage: Warum werden die Probleme in der Verantwortung von SPD-Ministern nicht kleiner, sondern größer?
Vielen Dank.
Sehr geehrter Kollege, wenn Sie erlauben – da waren ja ein paar Unterstellungen drin –, würde ich Ihnen gerne antworten.
Das Erste ist die Frage: Wie hält man es mit Werkverträgen? Werkverträge sind tatsächlich im Wirtschaftsleben etwas total Normales; sie wird es auch in vielen Bereichen weiter geben. Ich mache Ihnen mal ein Beispiel: Wenn Sie eine Firma hätten und sich einen Handwerker bestellen, der eine Sicherheitsanlage einbaut – das ist ein ganz normaler Werkvertrag. Das wird es immer geben. Im Rahmen der Vertragsfreiheit ist das vollkommen in Ordnung.
Hier haben wir es mit dem Missbrauch von Werkverträgen in hohem Maße zu tun, mit Sub-Sub-Subunternehmern. Deshalb sage ich Ihnen – danke, dass ich die Gelegenheit habe, Ihnen das zu sagen –: Ich werde mit Werkverträgen und mit Leiharbeit in der Schlachtbranche Schluss machen. Wir werden das verbieten in diesem Bereich, weil wir das erlebt haben.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zu Ihrer zweiten Frage zu den Kontrollen. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten unter Führung des Bundesfinanzministers Olaf Scholz, der für den Zoll zuständig ist, die Fleischbetriebe in Deutschland kontrolliert. Über 130 Razzien hat es gegeben.
Ich habe vorhin gesagt: Es sind verschiedene Behörden zuständig: für den Arbeitsschutz die Länder, der Zoll für die Schwarzarbeitskontrolle. Es sind erhebliche Verstöße ans Licht gekommen. Wir haben den Zoll personell aufgestockt. Und deshalb ist die Erfahrung, die wir in dieser Branche haben: Es nützen die schärfsten Regeln nichts, wenn man nicht auch kontrolliert. Das werden wir tun. Darauf können Sie sich verlassen.
(Beifall bei der SPD)
Der Kollege Ernst bekommt das Wort zu einer Frage oder Bemerkung. Allerdings werde ich weitere Fragen und Bemerkungen im Rahmen der Rede des Ministers nicht zulassen.
Schade eigentlich, Frau Präsidentin.
Ich ahnte das schon.
(Heiterkeit bei der SPD)
Sehr geehrter Minister, Sie haben gerade angesprochen, dass eigentlich das Problem schon länger bekannt war. Ich zitiere aus der Zeitung:
Schlechte Bezahlung, unwürdige Unterkünfte, Erniedrigung und Erpressung: Was sich in Schlachthöfen abspielt, ist für viele Kritiker mehr als Ausbeutung. Die Rede ist von Menschenhandel und organisierter Kriminalität.
Man meint, das wäre gestern oder vorgestern in der Zeitung gestanden. Das ist vom 23. Juni 2013. Damals habe ich dazu eine Rede gehalten. Deswegen habe ich mich auch jetzt zu einer Bemerkung und zu einer Frage gemeldet. Ich habe damals eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt; darauf habe ich eine Antwort bekommen. Aber Sie haben damals nicht regiert, sondern das waren die FDP und der Koalitionspartner, den Sie jetzt haben.
Und dieser Koalitionspartner hat mir in Gestalt des Arbeitsministeriums geantwortet, nachdem ich das angesprochen habe, nachdem das alles bekannt war, vor sieben Jahren: Die Bundesregierung sieht zum jetzigen Zeitpunkt keinen Bedarf, den Abschluss von Werkverträgen stärker zu regulieren. Unternehmen steht es im Rahmen der geltenden Gesetze grundsätzlich frei, zu entscheiden, ob sie Tätigkeiten durch eigene Arbeitnehmer ausführen lassen oder Dritte im Rahmen von Werkverträgen beauftragen. – Das war die Antwort Ihres jetzigen Koalitionspartners.
Sind Sie mit mir der Auffassung, Kollege Heil, dass, wenn Ihr jetziger Koalitionspartner und die FDP, die damals mitregiert hat und jetzt teilweise eine große Lippe riskiert, damals schon gehandelt hätten, wenn die damals schon so weit gewesen wären wie Sie heute und wie Herr Laumann heute – Gott sei Dank, dass Sie das Werkvertragsunwesen einschränken wollen –, dann das, was jetzt in der Fleischindustrie passiert, nicht mehr hätte passieren können, wenn man das früher geregelt hätte?
(Beifall bei der LINKEN)
Und sind Sie – ich bin noch nicht ganz fertig – mit mir der Auffassung, dass wir jetzt wirklich alles tun müssen – denn die Verschlechterer von Gesetzentwürfen sind ja alle noch am Werke –, dass wir all denjenigen, die die alten Verhältnisse festschreiben wollen, übrigens nicht nur in der Fleischindustrie, sondern auch bei den Werften, zum Beispiel bei der Meyer Werft in Leer-Papenburg, jetzt wirklich die Fesseln anlegen müssen, sodass sie nicht wieder ein Gesetz verhindern, das sinnvoll und notwendig ist?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Lieber Kollege Ernst, angesichts der Katastrophe – und ich sage „Katastrophe“ –, die wir gerade erleben, die der Kollege Laumann beschrieben hat, dass aus einem System der organisierten Verantwortungslosigkeit zur Ausbeutung von Menschen inzwischen sogar ein allgemeines Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung geworden ist, und der Tatsache, dass ganze Landkreise wieder in den Lockdown mussten, weil sich welche nicht an die Regeln halten, widerstehe ich in diesem Zusammenhang mal der kleinkarierten Betrachtung, wer mal wo was gesehen hat. Ich kann nur allgemein feststellen, dass es leider Gottes manchmal Katastrophen bedarf, damit Menschen dazulernen. Das war zum Beispiel beim Atomausstieg bei einigen so, die das früher anders gesehen haben.
Wichtig ist, dass dieses Parlament jetzt gemeinschaftlich handelt. Und dafür stehe ich in der Verantwortung – heute, nicht 2013.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es muss jetzt gehandelt werden. Das müssen wir gemeinsam machen.
Lieber Klaus Ernst, parteipolitische Auseinandersetzungen sind wichtig in diesem Parlament. Aber Verantwortung ist jetzt zu übernehmen. Ich habe vorhin von der Verantwortung der Unternehmer gesprochen. Die sind in allererster Linie in Verantwortung.
Erstens geht es um die Verantwortung der Länder, und zwar egal wie sie regiert sind: schwarz, rot, grün. Ich gucke mal nach Baden-Württemberg; da wünsche ich mir auch schärfere Arbeitsschutzkontrollen. Das, was die Kollegin Mast in Pforzheim erlebt hat, ist nicht in Ordnung.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Das war weit vor Tönnies übrigens.
Alle müssen sich ans Portepee fassen, und wir müssen dafür sorgen, dass die Einhaltung des Arbeitsschutzes in jedem Bundesland scharf kontrolliert wird – ob rot-rot-grün, ob rot-schwarz, was auch immer.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Da muss jede Landesregierung ran, und das werden wir per Bundesgesetz festlegen.
Zweitens. Ich werde mich nicht davon abbringen lassen, im Kernbereich des Schlachtens und Zerlegens in der Fleischindustrie die Werkverträge und die Zeitarbeit, die Leiharbeit zu verbieten – ohne Wenn und Aber.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Meine Bitte an dieses Parlament ist: Ich werde im Juli den Gesetzentwurf dafür vorlegen. Wir werden das auf Basis der Eckpunkte im Kabinett beschließen. Die Frage, wann das in Kraft tritt, liegt dann auch in der Verantwortung dieses Parlaments – je schneller, desto besser. Aber meine Bitte ist, sich dann auf der Strecke des parlamentarischen Verfahrens tatsächlich nicht von irgendwelchen Lobbyisten, die viel Geld für Rechtsgutachten aufwenden werden, die viel Geld für Kampagnen aufwenden werden – –
(Zuruf des Abg. Stephan Protschka [AfD])
– Ich sage Ihnen mal was an dieser Stelle: Sie sind doch ein Lobbyist dieser Branche; das haben wir doch hier im Parlament gelernt. Da sollten Sie sich mal ganz zurückhalten.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Ich will das mal an dieser Stelle sagen. Jeder kehre vor seiner eigenen Haustür an dieser Stelle. Ich bin Bundesminister für Arbeit und Soziales, und ich bin entschlossen, meiner Amtsverantwortung für die arbeitenden Menschen, und zwar egal wo sie geboren sind und wo sie herkommen, gerecht zu werden. Es ist nämlich tatsächlich eine Schande, dass Menschen aus Mittel- und Osteuropa, aus Bulgarien und Rumänien, in dieser reichen Gesellschaft ausgebeutet werden!
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das machen die freiwillig!)
Das werden wir beenden, sage ich an dieser Stelle.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Dritte ist – das will ich Ihnen auch sagen –: Dieses Verhalten hat außenpolitischen Schaden angerichtet. Ich werde im August nach Rumänien fahren, da mich die Arbeitsministerin von Rumänien darum gebeten hat. Sie ist hergekommen, sie ist mit dem Auto von Bukarest nach Berlin gefahren. Das ist dort ein großes innenpolitisches Thema.
Ich sage noch einmal: Egal wo die Menschen herkommen, die bei uns arbeiten, sie haben die gleichen Rechte und übrigens auch den gleichen Lohn verdient und vor allen Dingen den gleichen Gesundheitsschutz. Das ist keine Frage der Nationalität, das ist eine Frage des Anstands. Dafür interessieren Sie sich gar nicht; das wissen wir doch.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Deshalb, Kollege Laumann: Wir wollen das gemeinsam machen. Wir stehen alle in der Verantwortung. Die Bundesregierung wird diesen Gesetzentwurf beschließen. Dazu gehört übrigens auch, dass die Menschen, die in dieser Branche arbeiten – die Menschen in anderen Branchen übrigens auch –, egal wo sie herkommen, um ihre Rechte wissen. Deshalb hat der Deutsche Bundestag mit dem Entsendegesetz die faire Mobilität, die Beratung von Menschen aus Mittel- und Osteuropa gesetzgeberisch verankert und die Mittel dafür aufgestockt und heute mit dem Nachtragshaushalt – gestern im Haushaltsausschuss – noch mal aufgestockt. Ich finde das ganz, ganz wichtig, dass Menschen wissen – im Zweifelsfall auch in ihrer Muttersprache –, welche Rechte sie haben, wenn sie hier bei uns arbeiten.
Wir werden in diesem Bereich aufräumen; das habe ich vorhin gesagt. Dazu sind wir entschlossen. Ich bitte dieses Parlament um Unterstützung. Ich bitte auch den Bundesrat um Unterstützung. Wir beide, Kollege Laumann, kommen aus Bundesländern – ich aus Niedersachsen, Sie aus Nordrhein-Westfalen –, in denen es Fleischstandorte größeren Umfangs gibt. Das Land soll auch Fleischstandort bleiben, aber zukünftig mit anständigen Arbeitsbedingungen, mit anständigen Löhnen, mit Kontrollen in den Unterkünften,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
mit Standards für die Unterkünfte, mit digitaler Arbeitszeiterfassung und mit anständigen Arbeitsverträgen ohne Subunternehmertum. Dafür werden wir sorgen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Carl-Julius Cronenberg das Wort.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7455505 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 170 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie |