02.07.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 170 / Tagesordnungspunkt 11

Friedrich OstendorffDIE GRÜNEN - Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich, endlich sind die Zustände, die viele von uns schon lange kannten, für jeden sichtbar: menschenverachtende Arbeits- und Lebensbedingungen zum einen, zum anderen super organisierte Verantwortungslosigkeit. Besonders die Zerlegebereiche in den Großschlachtstätten haben sich zu Turbovirenschleudern entwickelt.

Täglich – das müssen wir uns einmal vorstellen! – wurden in Rheda-Wiedenbrück bei Tönnies 25 000 Schweine geschlachtet; jeden Tag, Tag für Tag. Tönnies hat offiziell 10 bis 12 Euro Schlachtkosten pro Tier; das sind die geringsten Schlachtkosten Europas. Jeder, der die Branche kennt, weiß, dass die Schlachtkosten gegen null gehen, weil es ja noch die Vermarktung des fünften Viertels gibt. Aber wir nehmen einmal die offiziellen Zahlen. Belgien, Dänemark und Holland beklagen seit Langem die extreme sklavische Ausbeutung, die hier in Deutschland mit Werkvertragsarbeitnehmern vorgenommen wird.

Unsere handwerklich orientierten mittelständischen Schlachter, die es ja auch noch gibt, haben zum Vergleich rund 25 Euro Kosten, um ein Tier zu schlachten. Wie sollen sie dem Druck dieser Konkurrenz standhalten, der im Wesentlichen auf dem Rücken der Werkvertragsarbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien ausgetragen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen?

Den Preis dieses Billigfleischsystems, den bezahlen die Menschen, den bezahlen die Tiere, und den bezahlt auch die Natur. In der Landwirtschaft, ihrem nachgelagerten Bereich, gilt nur eine Maxime: Wachstum, Effizienz, Billigfleisch, Ausrichtung am Weltmarkt. Das brachte extrem spezialisierte Betriebe hervor, oligopolartige Marktstrukturen folgten. Wir sehen es in der Fleischindustrie, bei den Molkereien, wir sehen es im Lebensmitteleinzelhandel.

Zwei Drittel, meine Damen und Herren, des Schweinefleisches werden über Sonderangebote verramscht. Mitte jeder Woche kommen ja die Angebote ins Haus geflattert; jeder kennt es. Diese Preise lügen, Kolleginnen und Kollegen. Sie lügen, das System ist schwach, das System ist krank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Konsequenz daraus kann heute für uns doch nur die Wende sein, der Neubeginn: Raus aus diesem kaputten System!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, wir müssen Lebensmittelproduktion in der Breite endlich neu denken. Wir müssen aufhören, an freiwilligen Vereinbarungen leidenschaftlich herumzubasteln, wie unsere Landwirtschaftsministerin das gerne gut, die sowieso nie kommen. Doch der Ernst der Lage, das Ausmaß der Katastrophe werden für viele erst jetzt sichtbar: wie hoch die wirklichen gesellschaftlichen Kosten dieser Produktion sind und wer sie eigentlich bezahlt.

Wir brauchen den grundlegenden Wandel. Wir brauchen die große Veränderung in der Fleischproduktion. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir dieser menschenunwürdigen, tierverachtenden, naturzerstörenden Ungerechtigkeit ein Ende bereiten wollen, dann müssen wir das „Schneller, höher, weiter“, an das sich so viele in der Branche klammern, endlich beenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es hat mich gefreut, dass einige CDU/CSU-Agrarpolitiker – ich hatte es nicht erwartet – offensichtlich eine Diskussion entfachen wollen – da kann man sie nur bestärken –, regionale Schlachthofstrukturen zu fördern und neu aufzubauen.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Spannend!)

Viele Bäuerinnen und Bauern – das will ich Ihnen sagen – wollen die Veränderung; sie sind lange auf dem Weg. Helfen wir Ihnen doch gemeinsam!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Max Straubinger das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7455513
Wahlperiode 19
Sitzung 170
Tagesordnungspunkt Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie
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