02.07.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 170 / Zusatzpunkt 16

Stefan KeuterAfD - Aktuelle Stunde – Der Fall Wirecard

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir reden heute über den Fall Wirecard. Das Unternehmen ist insolvent, und es ist ein gigantischer Schaden für den Finanzplatz Deutschland entstanden, für die Anleger, sowohl die privaten als auch die institutionellen – gerade die institutionellen, die zum Teil unsere Altersvorsorge anlegen, sind hier gewaltig in Mitleidenschaft gezogen worden –, aber auch für die Kunden und Kooperationspartner der Wirecard AG.

Ein DAX-Unternehmen mit Banklizenz geht pleite. Wie kann das passieren? Lassen Sie uns einmal eine Bestandsaufnahme machen.

Bereits im letzten Jahr wurde die KPMG-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit einer Teilprüfung von Unternehmenszahlen aus dem Jahr 2018 beauftragt. Das verlief ohne Erfolg. Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young haben am 18. Juni 2020, also dieses Jahr, das Testat verweigert, weil Guthaben von 1,9 Milliarden Euro – wir lassen uns das einmal auf der Zunge zergehen: das sind 1 900 Millionen Euro – nicht auffindbar waren. Sie waren wahrscheinlich nicht existent oder sind weggekommen; ganz sicher sind wir uns da nicht.

(Fabio De Masi [DIE LINKE]: Genau wie bei euch in der Schweiz!)

Am 22. Juni dieses Jahres hat dann das Management von Wirecard eine Stellungnahme abgegeben und hat behauptet, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seien diese Gelder überhaupt nicht existent.

Die Folge war der Insolvenzantrag, der dann schnell nachgeschoben wurde – wegen drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Ja, was nun: drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung? Beides schwer vorstellbar. Die Probleme müssen aber deutlich tiefer liegen. Denn wenn ein so großes Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage gerät, dann kann man eine Kapitalerhöhung machen, dann können Gläubiger im Rang zurücktreten. Es gibt hier viele Möglichkeiten der Intervention, etwa die Stützung durch Banken. Das alles ist offensichtlich nicht gewollt. Also müssen die Probleme hier sehr, sehr tief liegen.

Die Staatssekretärin Ryglewski gibt sich die Ehre, heute anwesend zu sein, ganz im Gegensatz zu unserem Bundesfinanzminister, den ich hier eigentlich erwarte. Vizekanzler Olaf Scholz – wir haben den größten Bilanzskandal und DAX-Skandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte – hält es nicht für nötig, sich auf die Regierungsbank zu setzen. Das ist eine Riesenkatastrophe. Er war sonst auch in Sachen Wirecard relativ schmallippig, genauso wie die Staatssekretärin Ryglewski. Sie jedenfalls hat noch stockend in einer Erklärung behauptet, kritische Fragen müssten jetzt an die Wirtschaftsprüfer und die Aufsichtsbehörden gestellt werden.

(Zuruf von der AfD: Immerhin! – Metin Hakverdi [SPD]: Also, wo ist jetzt das Problem?)

Damit hat sie aber recht. Etwas substanziierter hat sich hier der Präsident der BaFin geäußert, der Felix Hufeld. Er sagte: Bereits Anfang 2019 gab es Infos von Whistleblowern, dass es ganz gigantische Probleme bei Wirecard gibt.

Wir sprachen gerade eben über das schärfste Schwert; Herr Schäffler, Sie hatten das Wort in den Mund genommen. Ich musste eben bei Ihrer Rede schmunzeln, weil genau das der Felix Hufeld sagte. Er sagte, man hätte bereits als BaFin das schärfste Schwert geschwungen und der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung, der DPR e. V., einem eingetragenen Verein, eine Aufforderung erteilt, sich doch mal Wirecard näher anzugucken. Das hat man auch getan. Da saß ein Prüfer dran. Als Anmerkung: Die Prüfdauer bei der DPR beträgt derzeit im Schnitt 13,1 Monate. Gut, die BaFin war das Problem erst mal los. Aber das eigentliche Problem ist dieses zweistufige Prüfsystem. Erst prüft die DPR, und dann erst hat die BaFin eine Zugriffsmöglichkeit. Wir können also hier von einem Versagen der DPR sprechen.

(Zuruf des Abg. Frank Schäffler [FDP])

Das hat der Felix Hufeld auch bestätigt, dass er mit diesem Zustand nicht glücklich ist.

An dieser Stelle kann ich an die Adresse der BaFin sagen: Wir sind damit auch überhaupt nicht glücklich. Die BaFin hat kein Ersatzvornahmerecht; das ist richtig. Aber die Tochter der Wirecard AG, die Wirecard Bank AG, liegt sehr wohl im Verantwortungsbereich der BaFin.

(Zuruf des Abg. Frank Schäffler [FDP])

Die hätte man prüfen können. Aber ich habe das Gefühl, dass hier der Spruch gilt: Stumpf ist Trumpf. Wir machen stumpf unsere Prüfung der Bank, gucken nicht nach links, gucken nicht nach rechts, gucken uns gar nicht die Konzernverflechtungen an. Da schickt man erst mal die DPR hin.

Das Hauptproblem aus meiner Sicht ist, dass man hier eine Einstufung als Technologieholding und nicht als Finanzholding hatte. Bei einer Finanzholding hätte die BaFin, auch ohne hier ein bisschen umsichtiger zu sein, auf die Machenschaften schon viel früher stoßen können. Der Präsident der BaFin sagte auch noch: Mit dem Wissen von heute könnte man durchaus eine Einstufung als Finanzholding rechtfertigen. Dann hätte man auch eine direkte Prüfmöglichkeit nach § 44 Kreditwesengesetz. – Das ist richtig. Aber hier erwarte ich von unserer obersten Bankenaufsichtsbehörde, dass sie ein bisschen über den Tellerrand hinausschaut, dass sie nach links schaut, dass sie nach rechts schaut und solche Skandale gerade im größten deutschen Leitindex, dem DAX, verhindert. In einem krisenhaften Umfeld ist ein zweistufiges Verfahren nicht optimal. Da stimme ich der BaFin zu.

Natürlich kannten wir Berichte. Natürlich gab es Hinweise, nicht zuletzt von dem FT-Blogger Dan McCrum.

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Ja. Herr Präsident, Sie sagten eben, dass Sie heute ein bisschen großzügiger sind.

(Lachen bei der CDU/CSU – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das hat er nicht gesagt!)

Ich sehe trotzdem zu, dass ich zum Ende komme.

Wer sind die Schuldigen? Die Schuldigen sind die Wirtschaftsprüfer. Die Schuldigen sind bei der DPR zu suchen, bei der BaFin, nicht zuletzt aber auch beim Bundesfinanzministerium und bei der Bundesregierung.

Herr Kollege!

Wir haben es hier mit einem großen Sumpf zu tun; den müssen wir austrocknen.

(Fabio De Masi [DIE LINKE]: Wo war die AfD?)

Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir einen Untersuchungsausschuss bekommen. Dann werden wir gucken, wer alles Verantwortung hierfür trägt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Wenn die AfD dann auch mal teilnimmt und nicht wie im Ausschuss immer rausgeht!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7455538
Wahlperiode 19
Sitzung 170
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde – Der Fall Wirecard
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