Lothar BindingSPD - Aktuelle Stunde – Der Fall Wirecard
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Vielleicht nur zwei Bemerkungen. Olaf Scholz ist im Moment beim Kommissionkollegium zur Vorbereitung der Ratspräsidentschaft und kann deshalb nicht hier sein. Ich glaube, dafür müssen wir hinsichtlich der übergeordneten Aufgabe Verständnis haben.
(Beifall bei der SPD)
Zum Vorwurf der mangelnden Informationspolitik gestern. Wir hatten explizit verabredet, dass das BMF unsere Fragen schriftlich beantwortet, damit wir mehr Zeit für die Befragung von Hufeld haben. Deshalb sollten wir das heute nicht zum Vorwurf machen; das finde ich nicht ganz fair.
(Beifall bei der SPD)
Wer hätte sich vor zwei Wochen vorstellen können, dass wir heute über einen solchen Betrug diskutieren! Ich hätte es mir nicht vorstellen können. Auch wenn ich alle Reden heute zusammennehme, muss ich sagen: Wir wissen alle nur: Es war komplex, es ist undurchdringlich, und es ist Bilanzmanipulation. Mehr wissen wir heute nicht. Also: Irgendwie ist der Gegenstand dieser Aktuellen Stunde noch nicht so richtig greifbar; aber wir tun immer alle so, als ob wir schon über alles richtig reden können.
Wir wissen, dass eine der Big Four, EY, jahrelang Abschlüsse testiert hat, bei denen sich dann herausgestellt hat – ja, was hat sich eigentlich herausgestellt? Die haben nicht mal „Hier!“ geschrien, als sie von Whistleblowern und von der „Financial Times“ Hinweise bekommen haben, dass da was sein könnte, sondern die haben abgewartet. Dann wurde interessanterweise die KPMG von der Wirecard AG beauftragt, sie zu prüfen, weil sie sich reinwaschen wollten, und das ist schiefgegangen. Aber wenn die sich getraut haben, die KPMG zu beauftragen, denke ich mir: Da muss was dahinterstecken; denn die dachten ja, sie könnten sich reinwaschen. Das ist merkwürdig. Aber immerhin: EY hat nicht gezuckt. Na gut: Ihre Haftungssumme beläuft sich nur auf 4 Millionen Euro.
Hans, du hast gesagt, die Wechselgeschwindigkeit sei mit zehn Jahren zu gering. Das stimmt. Wir wissen auch, dass die Prüfung und die Beratung zu trennen sind. Es gibt eine ganze Reihe von Sachen, die wir da angehen müssen.
Also: Die Wirecard AG hat jedenfalls die Hinweise der „Financial Times“ offensichtlich ernster genommen als andere.
Jetzt muss man auch die Feststellung treffen: Die Selbstreinigungskräfte der Wirtschaft haben nicht funktioniert. Das kann man sagen; das ist wirklich ein Desaster. Und dann frage ich mich, wer das eigentlich alles bezahlt. Wer ist eigentlich daran beteiligt? Sind das jetzt Laien, oder sind das Fachleute? Wer ist eigentlich in diesem ganzen Konglomerat beteiligt? Schauen wir mal auf die Aktionärsstruktur. Die Goldman Sachs Group hält 16 Prozent. Die kümmert sich ja auch darum, wo sie ihre 16 Prozent platziert, oder? Morgan Stanley, Société Générale, BlackRock, DWS Deutschland – die alle haben ihr Geld da investiert. Das sind ja Fachleute. Ich bin Laie; ich hätte es nicht gemerkt, wenn ich da eine Aktie gekauft hätte; aber das sind Fachleute. Dann: Die Commerzbank hat da einige Millionen reingegeben. Auch die Deutsche Bank, die LBBW, die österreichische Raiffeisen Bankengruppe geben Millionen in dieses Konglomerat, und keiner merkt was. Ist das nicht aberwitzig? Aber ich soll es merken, ich als Politiker, der hier sitzt? Ich kann nur sagen: Ich merke es nicht.
(Beifall bei der SPD – Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nee! Die BaFin soll es merken!)
Ich meine aber auch: Wenn die Deutsche Börse ein Unternehmen in den DAX holt – die CoBa wurde damals verdrängt –, guckt man da nicht genauer hin? Also, von mir kann man es nicht erwarten, vielleicht von keinem hier; ich weiß es nicht. Aber die Börse kann doch merken, ob da was nicht stimmt, wenn ein Drittel der Bilanz – da brennt die Hütte – irgendwie nicht nachvollziehbar ist. Da hätte ich gedacht, dass sich jemand wundert. Auch die ESMA mit dem grenzüberschreitenden Blick – das ist ja ein bisschen das Problem: die Reichweite der BaFin mit entsprechender Jurisdiktion reicht ja nur bis zur deutschen Grenze – hätte vielleicht merken können, dass da mehr ist, als wir hier sehen.
Übrigens gab es nicht nur Kritik der „Financial Times“. Es gab auch Kritik der SdK, der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. Da gibt es eine interessante Sache. Jeder weiß ja: Wenn einer einen Leerverkauf macht, also Short-Selling betreibt, dann hofft er, dass die Aktie fällt. Wenn diese Schutzgemeinschaft jetzt Kritik an einem Unternehmen übt, im Zuge dieser Kritik die Aktie fällt, gleichzeitig im Vorstand dieser Schutzgemeinschaft einer ist, der Short-Selling betreibt, dann redet er das Unternehmen schlecht, damit er selber mit Short-Selling Gewinne macht. Also, das ist eine super Kritik einer Schutzgemeinschaft. Da merkt man, wie dubios das ist. Ausschließen, dass nicht auch ein Journalist Vorteile vom Short-Selling haben kann, wenn er ein Unternehmen schlechtschreibt, kann man nicht. Ich unterstelle gar nichts – wieso sollte ich? –, aber ausschließen kann man es jedenfalls nicht.
(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Das gilt es zu prüfen.
Ich will vielleicht noch mal kurz auf etwas anderes zurückkommen. Frank, du hast, offen gestanden, dem Jens Zimmermann nichts entgegenzusetzen gehabt; das muss man sagen.
(Beifall bei der SPD)
Wir haben einen Diebstahl, und du beschimpfst die Polizei. Ich finde: Diese Trittbrettfahrernummer, zu sagen, dass, weil die BaFin in diesem Konglomerat aller Beteiligten möglicherweise nicht alle Zugriffsrechte hatte, man deshalb ja die Finanzanlagenberater nicht einfach unter Generalverdacht stellen könne, das ist ein bisschen billig. Da, glaube ich, muss man genauer nachschauen.
(Beifall bei der SPD – Kay Gottschalk [AfD]: Erst mal die Hausaufgaben machen, Herr Binding! Erst mal die Hausaufgaben machen!)
Ich glaube, diese unklare Lage dazu auszunutzen, ist schwierig.
Was die BaFin insgesamt betrifft, wäre noch nachzuweisen, ob der Fehler nicht bei uns liegt; denn die Kompetenzbeschränkung der BaFin ist für mich eine Ursache dafür, dass wir nicht rechtzeitig alles entdeckt haben.
Schönen Dank.
(Frank Schäffler [FDP]: Sie hätten die Kompetenz gehabt! – Kay Gottschalk [AfD]: Was regeln Sie denn? Sind Sie der Gesetzgeber? – Gegenruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie sind zweieinhalb Jahre hier! Wo ist Ihr Antrag, das besser zu machen? – Gegenruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD]: Sie hatten zehn Jahre Zeit! Zehn Jahre! – Gegenruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Zweieinhalb Jahre reichen für einen Antrag! – Gegenruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD]: Meine Güte! Seit acht Jahren in der Regierung!)
Vielen Dank. – Das letzte Wort in dieser Aktuellen Stunde hat nunmehr der Kollege Fritz Güntzler für die Fraktion der CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7455543 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 170 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde – Der Fall Wirecard |