03.07.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 171 / Zusatzpunkt 26

Sabine PoschmannSPD - Bürokratieabbau

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Detox für Deutschlands Bürokratie? Ich muss schon sagen, meine Damen und Herren von der FDP: Das klingt sehr populistisch.

(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])

Denn Detox im gesundheitlichen Sinne ist ja eine Entschlackung des Darms.

(Reinhard Houben [FDP]: Nein! Nicht nur des Darms!)

Der Vergleich zur deutschen Wirtschaft hinkt etwas, finde ich.

Die FDP impliziert also praktisch mit ihrem Antrag, Bürokratie sei Gift, welches man ausspülen sollte. Wenn das Ihr Ansatz zur Bewältigung unserer Krise ist, na, dann gute Nacht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Man muss sagen: Es gibt ja auch Gründe für Bürokratie. Regeln gibt es nicht zum Spaß der Abgeordneten in diesem Parlament, sondern sie geben Sicherheit. Häufig gab es einen Vorfall, und der Gesetzgeber wurde zum Handeln aufgefordert. Sie sorgen aber auch für Gerechtigkeit; denn es gibt Strafen für die, die sich nicht daran halten; sonst würde es ungleiche Wettbewerbsbedingungen geben.

Die FDP macht also die Mottenkiste auf und will die Dokumentationspflichten für den Mindestlohn vereinfachen. Wer hätte das gedacht, meine liebe FDP?

(Reinhard Houben [FDP]: Das ist leider immer noch richtig!)

Übersehen wird dabei, dass fast 2 Millionen Menschen keinen Mindestlohn erhalten, weil sich Unternehmer nicht an die Regeln halten.

(Beifall bei der SPD)

Zudem unterbieten Unternehmer Preise durch die Nichteinhaltung des Mindestlohns. Das kann nicht im Sinne vieler rechtschaffener Unternehmen sein. Eine Reduzierung der Dokumentationspflichten würde beide Probleme eher verschärfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich zitiere an dieser Stelle mal aus dem Antrag der FDP:

Der Abbau von Bürokratie ist folglich die günstigste aller konjunkturwirksamen Maßnahmen. Im Gegensatz zu staatlichen Investitionen ist er kostenneutral und kann im Ergebnis sowohl den Steuerzahler als auch die Unternehmen entlasten.

Da frage ich Sie doch mal: Auf wessen Kosten denn? Bezahlen muss immer einer; das müssen Sie doch im Leben gelernt haben. Entweder ist es, wie in diesem Fall, der Arbeitnehmer, der Verbraucher, der Steuerzahler, oder es geht auf Kosten der Umwelt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer Bürokratie verteufelt, macht es sich also zu einfach. Regeln sind kein Selbstzweck. Würden Aufsichtsräte und Vorstände von sich aus für eine höhere Frauenquote sorgen, müsste der Staat nicht intervenieren.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Würden keine Steuern hinterzogen, könnte die Aufbewahrungsfrist für steuerrelevante Unterlagen natürlich verkürzt werden. Würde in bestimmten Bereichen nicht systematisch Verantwortung an Subunternehmer abgegeben, gäbe es vielleicht andere Lösungen hinsichtlich der Nutzung von Werkverträgen und Leiharbeit. So ist das mit vielen Dingen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Vorgaben gibt es nicht aus sadistischen Gründen.

Deswegen muss man das differenziert betrachten. Nur unnötige Bürokratie kann und muss abgebaut werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Reinhard Houben [FDP]: Dann fangen Sie doch mit der mal an, Frau Poschmann!)

Hier, lieber Herr Houben, sind wir seit Längerem dran – das wissen Sie – und haben auch spürbare Erfolge erzielt. Deshalb soll ein Viertes Bürokratieentlastungsgesetz folgen, aber eben nicht auf Kosten der Steuerzahler und der Arbeitnehmer.

(Beifall bei der SPD)

Der Abbau muss natürlich auch Wirkung zeigen. Deswegen wundere ich mich über die Anträge zur Verschiebung der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge. Die Debatten und Anhörungen in den vergangenen Jahren haben doch ein recht klares Bild ergeben: Die Maßnahme hätte nicht die positiven Effekte, wie FDP und AfD hier denken. Die Studie, die im FDP-Antrag erwähnt wird, zeigt zudem, dass das aktuelle Verfahren kaum aufwendiger ist als das alte.

(Reinhard Houben [FDP]: Das ist derartig praxisfremd, Frau Poschmann! Das ist kaum auszuhalten!)

Darüber hinaus haben sich Unternehmen nach 15 Jahren auf die Regelungen eingestellt, und es gab bereits effektive Vereinfachungen.

(Tino Chrupalla [AfD]: Was denn?)

Jetzt umzustellen, würde einen hohen einmaligen Aufwand für Unternehmen bedeuten.

(Tino Chrupalla [AfD]: So ein Blödsinn!)

Das halte ich in der aktuellen Krise für keine gute Idee.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Außerdem würde die Verlegung des Fälligkeitstermins der Sozialversicherungsbeiträge auch die Sozialversicherungskassen stark belasten. Das ist ebenfalls keine gute Idee in der Krise.

(Beifall bei der SPD)

Wir investieren dagegen jetzt in Maßnahmen, die in der Krise direkt und effektiv beim Mittelstand ankommen, beispielsweise durch Überbrückungshilfen, gute Kreditmöglichkeiten, Stundungsmöglichkeiten, Stärkung der Kommunen – das sichert nämlich Aufträge im Mittelstand –, ein erweitertes Kurzarbeitergeld, steuerliche Verlustrückträge – das schafft Liquidität –, günstige Abschreibungsmöglichkeiten, Ausbildungsprämien und, und, und. Das Paket setzt gleichzeitig strukturell auf Nachhaltigkeit und Erneuerung und bringt so den erwarteten Modernisierungsschub. Das sind wichtige Weichenstellungen für Mittelständler, und das ist richtig; denn sie spielen beim Umbau der Wirtschaft eine wichtige Rolle.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In so einer Phase, meine Damen und Herren, Forderungen aufzustellen, über die wir schon des Öfteren diskutiert haben, macht zum einen die Vorschläge nicht besser und hilft zum anderen auch nicht dabei, die Krise zu überwinden. Richten wir uns doch lieber mit den Maßnahmen im Konjunkturpaket Richtung Zukunft aus. So können wir gemeinsam die Krise überwinden: mit Verstand, sozialer Verantwortung und Optimismus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karlheinz Busen [FDP]: Fangen Sie mal damit an!)

Aus Effizienzgründen beende ich meine Rede jetzt schon etwas eher und wünsche Ihnen und uns eine schöne Sommerpause.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich fand das jetzt vorbildlich.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Falko Mohrs [SPD]: Auch der Inhalt! – Reinhard Houben [FDP]: Keine Bewertungen durch den Präsidenten, bitte!)

Nächster Redner ist der Kollege Klaus Ernst, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7456061
Wahlperiode 19
Sitzung 171
Tagesordnungspunkt Bürokratieabbau
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