Achim KesslerDIE LINKE - Digitalisierung im Gesundheitswesen, Datenschutz
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister Spahn, mit der Einführung einer unausgereiften elektronischen Patientenakte gefährden Sie die Akzeptanz des gesamten Projekts, und zwar sowohl bei Patientinnen und Patienten als auch beim Gesundheitspersonal, das ja hinterher mit der elektronischen Patientenakte arbeiten muss. Das ist nicht im Sinne der Patientinnen und Patienten, und das ist absolut kontraproduktiv im Sinne einer Digitalisierung des Gesundheitssystems.
(Beifall bei der LINKEN)
Denn vorerst können Patientinnen und Patienten nur die gesamten Daten ihrer Akte freigeben oder halt eben nicht. Doch wozu braucht ein Orthopäde Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch, wozu eine Augenärztin Informationen über eine Psychotherapie? Außerdem ist die elektronische Patientenakte zunächst nichts anderes als eine völlig ungeordnete und unstrukturierte Sammlung elektronischer Dokumente.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte stellt in Ihrem Gesetz schwerwiegende datenschutzrechtliche Mängel fest. Und der Chaos Computer Club beklagt, dass beim Zugang zur elektronischen Patientenakte mit dem Smartphone nur ein mittleres Sicherheitsniveau gewährleistet ist. Außerdem sei es kaum möglich, so der Chaos Computer Club, zu überprüfen, wer sensible personenbezogene Forschungsdaten erhält. Das Gesetz, meine Damen und Herren, ist nicht im Interesse der Patientinnen und Patienten, und deshalb lehnen wir es ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist schamlos, Herr Gesundheitsminister, wie Sie und die Bundesregierung die Pandemie nutzen, um die profitorientierte Digitalisierung unseres Gesundheitssystems voranzutreiben. Zwar wurde die Corona-App vom Chaos Computer Club und anderen Expertinnen und Experten datenschutzrechtlich als unbedenklich eingestuft. Aber es geht hier doch um viel mehr. Mit der Realität in den Corona-Hotspots in der Fleischindustrie, in beengten Wohnblocks, aber auch in den Pflegeheimen hat diese Corona-App wirklich überhaupt nichts zu tun.
Auch wer sich das neueste Smartphone nicht leisten kann, ist von der Nutzung der App von vornherein ausgeschlossen. Es ist überhaupt nicht verwunderlich, wenn Amtsärzte zu Recht diese App als „ein Spielzeug für die digitale Oberklasse“ bezeichnen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Und es ist ein Skandal, meine Damen und Herren, wenn Sie mitten in einer Pandemie einen großen Teil der Bevölkerung von einer Maßnahme zur Pandemiebekämpfung ausschließen.
(Beifall bei der LINKEN)
Mir drängt sich der Eindruck auf, dass Sie diese öffentliche Debatte um die Corona-App vor allem dazu betrieben haben, um von den drängenden gesundheitspolitischen Fragen abzulenken, die ja im Moment in der Pandemie wie unter einem Brennglas sichtbar werden. Während Sie für die App 68 Millionen Euro ausgegeben haben, bekommt der Öffentliche Gesundheitsdienst gerade mal 50 Millionen Euro. Das ist verantwortungslos, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Warnmeldungen der App sind doch vollkommen nutzlos, wenn die Infektionswege nicht durch einen funktionierenden Gesundheitsdienst unterbrochen werden können. Doch den haben Sie alle gemeinsam in den letzten Jahrzehnten kaputtgespart, und das muss jetzt wirklich ein Ende haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Sowohl die Corona-App als auch das sogenannte Patientendaten-Schutz-Gesetz dienen dem Zweck, uns an die kommerzielle Nutzung und die Ausbeutung unserer Gesundheitsdaten zu gewöhnen. Meine Damen und Herren, Die Linke weist das entschieden zurück.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sorge?
Nein. Nach dem Punkt vielleicht.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Heißt das ja oder nein?)
Das neue Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion zum Gesundheitssystem spricht eine ganz, ganz deutliche Sprache. Ganz offen wird davon gesprochen, dass die Gesundheitswirtschaft Zugang zu dem – ich zitiere – Datenschatz des Forschungsdatenzentrums erhalten soll. Das sind die Gesundheitsdaten aller Versicherten.
(Sabine Dittmar [SPD]: Das steht überhaupt nicht im Gesetz!)
Damit soll nach dem Willen der Union die – ich zitiere – Innovationskraft des Standorts Deutschland im internationalen Wettbewerb gestärkt werden. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle verkommt Gesundheitspolitik zur Wirtschaftsförderung für die IT-Industrie.
(Beifall bei der LINKEN)
Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU/CSU, hat Sie denn der Skandal um Philipp Amthor wirklich überhaupt nicht zum Nachdenken gebracht?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD, ich verstehe wirklich nicht, warum Sie das auch noch mittragen. Verstehen Sie denn nicht, dass Sie mit solchem Wirtschaftslobbyismus unsere Demokratie systematisch untergraben?
(Beifall bei der LINKEN)
Alle Expertinnen und Experten sind sich einig, dass es einen hundertprozentigen Datenschutz nicht gibt und auch niemals geben wird. Aber wenn das so ist, meine Damen und Herren, dann müssen die Patientinnen und Patienten wirkungsvoll gegen Schäden abgesichert werden, die durch den Verlust ihrer Daten entstehen können. Es ist für Geschädigte so gut wie unmöglich, einen Schaden nachzuweisen, wenn sie zum Beispiel infolge eines Datenlecks ihren Arbeitsplatz verlieren. Deshalb muss die geltende Delikthaftung durch eine Gefährdungshaftung ersetzt werden. Das bedeutet, dass schon der bloße Verlust von Daten zu einem Schadensersatzanspruch führen muss.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich bin mir sicher, dass das die Motivation zum Datenschutz bei den Anbietern gravierend erhöhen würde. Ich bin mir aber vor allem sicher, dass das für Patientinnen und Patienten einen wirkungsvollen Schutz gegen den Missbrauch ihrer Daten bedeuten würde.
Von alldem, Herr Minister, ist in Ihrem Gesetz nichts zu lesen. Auch deshalb lehnen wir es ab.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Kessler. – Ist das die Anmeldung zu einer Kurzintervention? Das müsste mir dann mitgeteilt werden, Herr Kollege Sorge.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie machen das schon proaktiv, weil er ja gesagt hat, ich könne danach fragen!)
– Aber, Herr Kollege Sorge, bisher war es nicht üblich, dass man sich Zwischenfragen bestellt. Aber wenn Sie darauf gerne eingehen wollen, gebe ich Ihnen jetzt die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7456078 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 171 |
Tagesordnungspunkt | Digitalisierung im Gesundheitswesen, Datenschutz |