Albrecht GlaserAfD - Änderung des Bundeswahlgesetzes
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Zeit drängt, weil sich das Zeitfenster für eine Änderung ... für die kommende Wahl im Herbst schließt.
Das schreibt dpa vor Stunden.
In Fraktionskreisen wird davon ausgegangen, dass eine Reduzierung der Wahlkreise noch möglich sei, wenn sie ... in den ersten Sitzungswochen nach der Sommerpause beschlossen wird.
Meine Damen und Herren, nach § 21 Absatz 3 Bundeswahlgesetz können ab dem 25. März innerhalb der Parteien Wahlen für Vertreterversammlungen und ab dem 25. Juni Nominierungen von Kandidaten für die Bundestagswahl 2021 vorgenommen werden. Die SPD weist darauf hin, dass dies in einigen Wahlkreisen bereits geschehen sei. Wie in Herrgotts Namen soll das geltende Bundeswahlrecht noch geändert werden und sollen insbesondere Wahlkreise noch neu eingeteilt werden? Im Gesetzentwurf der drei kleinen Parteien und nach den Gedankenspielen der GroKo, die derzeit in stündlichen Variationen durch die Luft fliegen, ist jedoch genau das vorgesehen. Eine unlösbare Aufgabe! Chaos auf allen Rängen. Was machen wir eigentlich hier, und was soll diese Veranstaltung? Es ist Mummenschanz und Irreführung des Publikums.
(Beifall bei der AfD)
Die AfD hatte in einem Gesetzentwurf vom 13. November 2019 die Verschiebung der Frist für Kandidatenaufstellungen um drei Monate vorgesehen, was verfassungsrechtlich zulässig gewesen wäre. Das hätte Luft bis zum September verschafft, um tatsächlich noch eine Wahlrechtsreform hinzubekommen. Unser Gesetzesvorschlag wurde wie üblich von allen anderen abgelehnt. Seit Januar 2018 bis heute wurde ergebnislos zwischen den Parteien verhandelt. Das ist Beschädigung des Ansehens dieses Staates und der Demokratie in Deutschland.
(Beifall bei der AfD)
Das Wahlsystem eines Landes ist ein Eckpfeiler der Demokratie. Es gibt nicht vieles, was wichtiger ist.
Die Wahlrechtsreform 2012, mit der das Verfassungsgerichtsurteil von 2011 umgesetzt worden ist, war die Lizenz zum grenzenlosen Zuwachs der Bundestagsmandate. Diese 22. Änderung des Bundeswahlgesetzes reiht sich ein in die jahrelange Flickschusterei, die den Konflikt des angestammten Verhältniswahlrechts mit Elementen einer Mehrheitswahl nicht löst. Wer Überhangmandate für Direktkandidaten zulässt, muss auch Ausgleichsmandate gewähren, um dem „Grundcharakter des Verhältniswahlrechts“, wie das Bundesverfassungsgericht es formuliert, gerecht zu werden. Damit ist der Weg frei für die demokratisch höchst fragwürdige Aufblähung des Bundestages. Die Wahl 2017 erbrachte 111 Mandate mehr als regelhaft im Gesetz vorgesehen. Das sind fast 20 Prozent . Die Stimmbasis für alle Abgeordneten wurde damit verwässert.
Eine Lösung gelingt nur, wenn man das Leitprinzip der Verhältniswahl über das Prinzip der partiellen Mehrheitswahl stellt, meine Damen und Herren. Überhangmandate dürfen gar nicht erst entstehen, dann gibt es auch kein Problem mit Ausgleichsmandaten. Dazu gibt es nur einen Weg, nämlich die Begrenzung der Zahl der Direktmandate auf die Zahl der Mandate, die jeder Partei nach dem Verhältniswahlergebnis zusteht.
Die AfD hatte im November 2018 ein Konzept zu einer solchen Lösung vorgelegt. Es fand reflexhaft Ablehnung. Nachdem 100 Staatsrechtslehrer im September 2019 die überfällige Reform angemahnt hatten, hat die AfD am 16. Oktober 2019 ihr Konzept als Sachantrag in dieses Plenum eingebracht. Es führt die Größe des Bundestages von derzeit 709 auf die festgelegten 598 Mandate zurück und verkleinert das Parlament damit um 111 Sitze. Dieser Antrag wurde am 14. November 2019 erwartungsgemäß abgelehnt. Polemisiert wurde gegen ihn auf zweifache Weise.
Erstens. Man könne einem gewählten Direktbewerber das Mandat nicht wegnehmen. Sie hören das noch durch den Saal klingen. Dies geschieht jedoch gar nicht. Es wird vielmehr zur Erringung eines Direktmandates eine Zusatzbedingung aufgestellt, die es zum Beispiel im baden-württembergischen Landtagswahlrecht seit Jahrzehnten gibt. Es kommen die Bewerber nicht zum Zuge, die innerhalb eines Bundeslandes im Kreise der Bewerber der eigenen Partei die relativ schlechtesten Ergebnisse erzielen. Dies gilt natürlich nur dann, wenn in diesem Bundesland Überhangmandate für diese Partei überhaupt entstehen würden ohne diese Zusatzbedingung. Zu bedenken ist dabei, dass Bewerber mit einer relativen Mehrheit von zum Beispiel 25 Prozent – Zahlen, die auf diesem Niveau spielen, kennen wir –, die ohne diese Einschränkung einen Wahlkreis gewinnen würden, eine Wählerschaft von 75 Prozent in ihrem Wahlkreis gegen sich haben.
Zweitens. Die auf diese Weise vorgenommene Begrenzung der Zahl der Direktmandate sei verfassungswidrig. Diese Meinung wird gelegentlich geäußert und auf eine angebliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Namhafte Experten aus der Wissenschaft sehen ein solches Problem nicht. Auch mehrere Gutachter der Anhörung zum Wahlrechtsvorschlag der kleinen Parteien wenden sich ausdrücklich gegen diese Sicht und zuletzt eine wissenschaftliche Begutachtung durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages vom 17. Dezember 2019.
Dieser Bundestag wäre also gut beraten, wenn er sich eine solche Lösung zu eigen machen würde, die hier als Zusatzpunkt 38 von der AfD auf die Tagesordnung gesetzt worden ist. Dann könnten wir uns alles andere sparen.
(Beifall bei der AfD)
Der Gesetzentwurf der kleinen Parteien, meine Damen und Herren, der im Ausschuss von der GroKo seit Wochen aufgehalten wird, ist keine prinzipielle Lösung des Problems. Er wurde bei der Sachverständigenanhörung auch als mäßig bewertet. Er sei zwar verfassungsgemäß, aber ansonsten eigentlich nicht bedeutend. Im geltenden Wahlrecht wurden lediglich zwei Zahlen verändert – eine intellektuell eher mäßige Leistung. Statt 598 soll der Bundestag in Zukunft 630 Mandate haben. Dadurch soll die Zahl der Überhangmandate sinken. Das ist genauso schlau, wie wenn man die Promillegrenze im Straßenverkehr erhöhen würde, um damit weniger alkoholbedingte Verkehrsdelikte zu haben.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Zudem soll die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 gesenkt werden. Die dann entstehenden Mammutwahlkreise stehen offensichtlich im Widerspruch zur Bürgernähe eines direkt gewählten Abgeordneten. Insgesamt also keine Lösung, sondern ein Alibi.
Das Bild der GroKo, was Lösungskonzepte angeht, ist hanebüchen. Die CDU spricht von Kappungen, von Kappungen von Direkt- wie Listenmandaten, die beim AfD-Modell noch als Teufelszeug galten.
(Marc Henrichmann [CDU/CSU]: Informationsdefizit!)
Und die SPD will das Prinzip „Jedem Bürger eine Stimme“, was jeder Demokratie eigen ist, zerstören und stattdessen Geschlechterquoten einführen. Dies alles ist die politische Niederwildjagd, die wir aus vielen anderen politischen Gebieten in diesem Hause kennen.
Fazit: Eine Problemlösung, die aus Zeitgründen ohnehin nicht mehr möglich ist, wird gar nicht gewollt. Die Beibehaltung des jetzigen Zustandes sichert Mandate und soll daher erhalten bleiben.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Der letzte Satz, Herr Präsident. – Den Rock des Gemeinwohls, wie die Staatsrechtslehrer so schön gefordert haben, zieht sich die GroKo nicht an. Ihr ist das eigene Hemd näher!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der AfD)
Der Kollege Carsten Schneider hat das Wort für die Fraktion der SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7456093 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 171 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes |