03.07.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 171 / Zusatzpunkt 39

Carsten SchneiderSPD - Änderung des Bundeswahlgesetzes

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wahlrecht ist das vornehmste Recht der Wähler in Deutschland, über Politik zu bestimmen, über die Zusammensetzung des Bundestages, der Abgeordneten, die sich auch heute hier versammelt haben. Das Wahlrecht ist auch ein Recht, mit dem man sehr vorsichtig umgehen sollte, insbesondere was Veränderungen angeht.

Wir haben es mit einer Größe des Bundestages von 709 Abgeordneten und unter Pandemiebedingungen im letzten Vierteljahr geschafft, Handlungsfähigkeit zu beweisen, Antworten zu geben, die dieses Land brauchte. Sie betrafen sowohl den Gesundheitsschutz als auch die ökonomischen Maßnahmen.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so durchsichtig!)

Das gilt auch für diese Woche; gerade heute Morgen haben wir den langfristigen Kohleausstieg beschlossen. All das geht.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Knapp aber!)

Und deswegen will ich klar sagen: Eine Veränderung des Wahlgesetzes, die auch wir als SPD-Fraktion anstreben, die eine Deckelung des Wachstums des Bundestages vorsieht – wir schlagen dies als einzige Fraktion so vor –, ist eine Ergänzung zu einem bewährten politischen Wahlsystem, das die Demokratie in Deutschland stark gemacht hat.

(Beifall bei der SPD)

Teile der Opposition haben einen Vorschlag eingebracht, der eine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise um 50 vorsieht, ausgehend von 299 Wahlkreisen. Das ist eine sehr deutliche Reduzierung der Anzahl bzw. eine Vergrößerung der Wahlkreise. Diese würde aber auch – auch das muss man mit betrachten – einen größeren Abstand zwischen Gewählten und Wählern zur Folge haben. Denn ein um fast ein Drittel größerer Wahlkreis bedeutet auch weniger Repräsentanz. Aus diesem Grund sind wir als SPD-Fraktion nicht für diese Reduzierung um 50, sondern wir sind dagegen. Wir lehnen dies ab.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um wie viel wollt ihr denn reduzieren? Die CDU schlägt 19 vor!)

– Ja, die CDU hat sich diese Woche geeinigt. Das haben auch wir zur Kenntnis genommen.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Was sagen Sie denn dazu, zu diesen Vorschlägen? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie dazu? Was machen Sie denn jetzt?)

– Einen Moment. Es sind so viele Zurufe hier, Herr Präsident. Auf welchen soll ich eingehen? – Der Vorschlag, den die Unionsfraktion eine Woche vor der parlamentarischen Sommerpause beschlossen hat, liegt uns als Fraktion bisher nicht schriftlich vor, und das, obwohl er eine sehr zentrale Frage des Wahlrechts betrifft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Beatrix von Storch [AfD] – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht unser Problem!)

Deswegen müssen Sie davon ausgehen, dass, wenn Sie jetzt eine Bewertung von mir wollen, ich Ihnen nur sagen kann, dass wir als SPD-Fraktion über eine am Dienstagabend um 21 Uhr oder 22 Uhr getroffene Entscheidung der Unionsfraktion – das kann sie gern machen – nicht am Mittwochmorgen im Innenausschuss entscheiden.

(Zuruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Unsere Entscheidung steht seit vier Monaten fest.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen das Wahlsystem in Deutschland erhalten, wir wollen es aber im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen mit einer festen Obergrenze des Deutschen Bundestages versehen. Auch der Vorschlag der Opposition sieht das nicht vor; ich muss das so dezidiert sagen.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele wollen Sie?)

Bei der besonderen Situation des Auseinanderklaffens zwischen Zweitstimmenergebnis und Anzahl der direkt gewählten Abgeordneten kann es sein, dass auch dann der Bundestag auf deutlich mehr als 700 Abgeordnete anwächst. Auch das muss die Opposition, glaube ich, zumindest zur Kenntnis nehmen. Aus diesem Grund ist das nicht unser Modell.

Wir sind für die Beibehaltung der 299 Wahlkreise zur Bundestagswahl 2021.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Okay!)

Das ist schon immer unsere Position gewesen. Das ist nichts Neues, Herr Kuhle. Wir sind dafür, dass der Bundeswahlleiter weiterhin – er hat schon damit begonnen – Informationen an die Parteien verschicken kann, dass Direktkandidaten zur nächsten Bundestagswahl aufgestellt werden können.

(Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn insbesondere die Frage der Repräsentanz, der Nähe der Bevölkerung zu den Abgeordneten ist für uns zentral. Deswegen setzen wir nicht bei den Wahlkreisen an.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wo denn dann?)

– Ja, ich habe Ihren Vorschlag doch gewürdigt. Aber es ist nicht unserer.

Es gibt zwei weitere Möglichkeiten. Sie können Überhangmandate nicht unbegrenzt wegfallen lassen – es gibt ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts –, aber für bis zu, sagen wir, 80 Überhangmandate wäre dies möglich. Auch das würde zu einer Dämpfung führen. Es würde aber auch zu einer Verzerrung des Wahlergebnisses an sich führen, weil die Zweitstimme die relevante Stimme für die Zusammensetzung des Deutschen Bundestags und die Abbildung des Wählerwillens ist. Wir wollen keine Wahl haben, bei der der Wählerwille durch Überhangmandate quasi nicht abgebildet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen findet auch dieser Vorschlag nicht unsere Zustimmung.

Wir wollen eine Begrenzung des Bundestages – wir bleiben bei der Regelgröße von 598 – auf maximal 690 Abgeordnete. Dieser Vorschlag liegt Ihnen vor; den kennen Sie. Wir sagen: Wenn es Überhangmandate in einem Bundesland gibt, die nicht durch Zweitstimmen der jeweiligen Partei gedeckt sind, dann wird der Wahlkreisgewinner mit dem schlechtesten Erststimmenergebnis nicht in den Deutschen Bundestag einziehen. Das ist unser Vorschlag für das Jahr 2021. Darüber reden wir hier heute.

Das garantiert die Repräsentanz der Bevölkerung. Das garantiert letztendlich auch eine wirklich feste Größe des Deutschen Bundestages.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das garantiert auch, dass wir uns hier im Bundestag nicht in der Situation wiederfinden, dass der Bundestag sehr viel größer ist als die ursprünglich geplante Regelgröße von 598 Abgeordneten.

Von daher: Für das Jahr 2021 haben wir dies so festgelegt, und das schon vor vier Monaten. Dieser Vorschlag hätte auch schon gemeinsam beraten werden können. Es hat bei der Unionsfraktion ein bisschen länger gedauert, aber gut, jeder hat seine eigene Meinungsbildung.

Für 2025 setzen wir zwei Punkte an. Unseren Vorschlag für 2021 haben Sie, glaube ich, verstanden: Deckel bei 690 Abgeordneten. Mit Blick auf 2025: Einsetzung einer Kommission,

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben schon eine Kommission! Die ist fertig!)

was in dieser Legislaturperiode schon beschlossen wird. In dieser Kommission soll das Wahlrecht, das Wahlsystem in Deutschland, insbesondere unter Berücksichtigung der Veränderungen, besprochen werden.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles nicht glaubwürdig!)

Auch dort nehmen wir die Möglichkeit durchaus in den Blick, über das Modell einer – geringen – Reduzierung der Wahlkreise vorzugehen.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Ihnen das nicht peinlich?)

Nichtsdestotrotz ist der zweite und entscheidende Punkt für uns, dass wir im 101. Jahr nach Einführung des Frauenwahlrechts insbesondere darauf achten, dass die Listen der jeweiligen Parteien quotiert sind.

(Beifall bei der SPD)

Auch dieser Vorschlag findet sich in den Oppositionsmodellen nicht; ich muss das so sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen und Linken.

Von daher: Ich wünschte, wir wären an dieser Stelle schon weiter. Es hat zumindest bei unserem Koalitionspartner ein wenig gedauert mit der Meinungsbildung. Wir werden jetzt in die Konsensfindung gehen. Diese Debatte trägt sicherlich dazu bei, die Argumente noch einmal vorzutragen. Ich freue mich auf die Gespräche. Ich hoffe, dass wir im September eine Entscheidung treffen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Straetmanns, Fraktion Die Linke.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Der spricht doch noch!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7456094
Wahlperiode 19
Sitzung 171
Tagesordnungspunkt Änderung des Bundeswahlgesetzes
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