Konstantin KuhleFDP - Änderung des Bundeswahlgesetzes
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, was der Kollege Schneider hier gerade am Rednerpult erklärt hat.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)
Carsten Schneider hat gerade hier im Deutschen Bundestag den Vorschlag der Unionsfraktion zur Reform des Wahlrechts abgeräumt. Es wird bei der Bundestagswahl 2021 – hat er gerade hier gesagt – keine Reduzierung der Wahlkreise geben. Ein wesentlicher Teil der Pressemitteilung aus der Unionsfraktion ist eine Reduzierung der Wahlkreise. Damit ist die Sache vom Tisch. Damit ist die Sache tot.
(Beifall bei der FDP)
Damit bleibt es dabei: Der einzige heute beschlussfähige Vorschlag kommt von Grünen, Linkspartei und FDP.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Er sieht eine Reduzierung der Wahlkreise vor. Er begrenzt den Anstieg der Gesamtsitzzahl, und er führt am Ende dazu, dass es schon bei der Bundestagswahl 2021 zu einer Reduzierung der Gesamtzahl der Abgeordneten kommen wird.
Meine Damen und Herren, es ist ja spannend, über welche Themen sich dieses Haus hier immer wieder unterhält. Wir sprechen jetzt zum wiederholten Male über das Wahlrecht. Eigentlich – das ist auch die Auffassung vieler Menschen im Land – gibt es ja wichtigere Themen. Gerade in der Coronazeit sollten wir vielleicht darüber sprechen, wie viele Menschen Probleme mit der Kinderbetreuung haben, wie viele Menschen sich am Bildungssystem abarbeiten, weil da nicht genügend Digitalisierung betrieben wird. Wir sollten darüber sprechen, wie viele Menschen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Wir sollten darüber sprechen, wie viele Betriebe schon schließen mussten, darüber, was passiert, wenn die Pflicht zur Stellung von Insolvenzanträgen wieder besteht. Stattdessen beschäftigt sich dieses Parlament zum wiederholten Male mit sich selbst. Dafür haben die Bürgerinnen und Bürger kein Verständnis mehr.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE])
Deswegen müssen wir dieses Thema heute abräumen, indem noch vor der Sommerpause ein Gesetzentwurf beschlossen wird, der eine Reduzierung der Zahl der Mitglieder des Deutschen Bundestages bewirkt.
Ich will das einmal ganz deutlich sagen: Es gibt in allen Fraktionen hier im Haus Menschen, die ernsthaft an einer Reform des Wahlrechts arbeiten. Mein Dank geht ausdrücklich auch an die Kolleginnen und Kollegen in der SPD, in der CDU/CSU, die das ernst meinen. Aber ich habe mal eine Frage: Wo waren Sie eigentlich die letzten zwei Jahre?
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wo waren Sie eigentlich seit der Bundestagswahl 2013, seit der dieses große Thema besteht?
Das, was jetzt vorgelegt worden ist, ist zu wenig, und es kommt zu spät. Es kommt zu spät, weil es keine Drucksachennummer gibt. Es ist hier gerade gesagt worden, es könnte möglicherweise noch ausreichen, das Ganze in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause zu beschließen. Wie soll das eigentlich funktionieren? Im Regelverfahren brauchen wir zwei Wochen. Wir könnten das so machen wie bei der Coronagesetzgebung. Aber glauben Sie wirklich, dass die Opposition da mitmacht, im Eilverfahren nach der Sommerpause innerhalb einer Woche eine Reform des Wahlrechts zu beschließen? Das ist doch unwürdig für dieses Haus. Das müssen wir jetzt vor der Sommerpause beschließen.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir dürfen es nicht weiter auf die lange Bank schieben, so wie es hier bisher gemacht wurde.
Es ist nicht nur zu spät, weil wir nach der Sommerpause überhaupt keine Zeit mehr haben. Es ist auch zu spät, weil in einzelnen Wahlkreisen schon Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt werden. Der Parlamentarische Staatssekretär Marco Wanderwitz hat sich in seinem Wahlkreis schon aufstellen lassen.
Wir haben also eine Fraktion im Deutschen Bundestag, die erzählt, sie würde mit ihrem Vorschlag einen Neuzuschnitt der Wahlkreise für 2021 anpeilen, und parallel dazu lassen sich einzelne Mitglieder dieser Fraktion in ihrem Wahlkreis schon aufstellen. Wen wollen Sie eigentlich verschaukeln? Das ist doch kein ernsthafter Vorschlag.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und wenn Sie dann ernsthaft sagen, wir müssten bei den Wahlkreisen, in denen jetzt über den Sommer schon Kandidaten aufgestellt werden, nach einer Reform des Wahlrechts einfach noch mal eine Aufstellungsversammlung machen:
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bei 19 Wahlkreisen muss doch nicht jeder Wahlkreis neu zugeschnitten werden!)
Man kann doch in Coronazeiten keinem erzählen, dass man in Wahlkreisen zwei Aufstellungsversammlungen machen muss,
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD])
für die man zweimal die Stadthalle oder die Sporthalle mieten muss. Das ist eine Farce; es ist eine reine Show, die hier aufgeführt wird, weil Sie den Eindruck erwecken wollen, Sie würden vor der Sommerpause am Wahlrecht noch was drehen.
In Wahrheit läuft es der SPD doch eiskalt den Rücken runter, weil Sie von der Union diese Pressemitteilung, die überhaupt nicht beschlussfähig ist, auf den Weg gebracht haben und die SPD sich jetzt dazu verhalten muss. Jetzt hat sie gesagt: Wir wollen das nicht.
Aber wir sind in einer Situation, in der am Ende nur ein einziger Gesetzentwurf beschlussfähig ist; das ist der Gesetzentwurf von der FDP, von den Grünen und von der Linkspartei. Er sollte heute beschlossen werden. Wir sollten ihn heute hier gemeinsam auf den Weg bringen.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will aber gerne noch mal was dazu sagen, was in dem Nichtvorschlag aus der Unionsfraktion – denn es ist ja nur ein Einigungskorridor; es gibt keine Drucksachennummer; es liegt kein Gesetzentwurf vor – inhaltlich drinsteht. Es steht drin, dass am Ende eine Zahl von sieben Überhangmandaten nicht ausgeglichen werden soll. Das bedeutet am Ende nichts anderes, als dass der nächste Deutsche Bundestag nach Ihrer Auffassung
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts!)
nicht das Wahlergebnis repräsentieren, sondern dass es zu einer Verzerrung der Zusammensetzung des Bundestages im Vergleich zum Wahlergebnis kommen soll.
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Deswegen empfehlen wir die Lektüre! – Gegenruf des Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Genau! Lesen Sie mal das Bundesverfassungsgerichtsurteil!)
Und das ist für die demokratische Opposition in diesem Haus nicht akzeptabel.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und dass das Bundesverfassungsgericht sagt, dass im alten Wahlrecht 15 Mandate hinzunehmen sind, heißt doch nicht, dass im neuen Wahlrecht sieben gehen müssen. Das ist ein Schluss, den man so aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einfach nicht ziehen kann.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Denken Sie über die Grundsätze mal nach!)
Dieser Schluss ist unzulässig; er ist auch undemokratisch, und er setzt das Wahlrecht unter das Risiko, wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert zu werden. Dann haben wir diese Diskussion in der nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages wieder, und das wäre dieses Hauses unwürdig, und es wäre im Hinblick auf die dringend erforderliche Reform des Wahlrechts unwürdig.
Meine Damen und Herren, wie gesagt: Es gibt hier in allen Fraktionen Menschen, die an einer ernsthaften Reform in der Sache interessiert sind. Und so hat sich mein direkt gewählter Wahlkreisabgeordneter Thomas Oppermann ja schon dazu bekannt, dass er heute für den Entwurf von FDP, Grünen und Linken stimmen will.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da haben wir uns gedacht: Das ist ja super; dann müssen wir den auch zur Abstimmung stellen; denn sonst kann ja Thomas Oppermann und können auch die Kollegen aus der Union, die zwischenzeitlich gesagt haben, dass sie dafür stimmen, das gar nicht wahrmachen. – Wir wollten das machen, aber dann haben Sie den im Innenausschuss des Deutschen Bundestages abgesetzt.
Jetzt haben wir uns was einfallen lassen, wie man das Ganze heute doch noch zur Abstimmung bringen kann. Deswegen werden wir heute beantragen, direkt nach dieser Debatte in die zweite Lesung und in die Abstimmung einzutreten, damit Thomas Oppermann für den Gesetzentwurf von Linken, Grünen und FDP stimmen kann
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und sich gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, die an einer ernsthaften Reform des Wahlrechts interessiert sind, daran beteiligen kann, dass wir diese Reform hinbekommen.
Das wäre das richtige Zeichen vor der Sommerpause; denn für viele Menschen in diesem Land ist die Frage, ob das Parlament in der Lage ist, sich selber zu reformieren, nicht die wichtigste Frage in ihrem Leben, aber ein Symbol dafür, wie reformfähig die demokratischen Strukturen in unserem Land insgesamt sind. Deswegen haben die Menschen in diesem Land das legitime Interesse daran, dass der Bundestag das heute, vor der Sommerpause, beschließt. Wir bitten um Unterstützung und freuen uns über Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt ist der nächste Redner der Kollege Friedrich Straetmanns, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7456096 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 171 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes |