Friedrich StraetmannsDIE LINKE - Änderung des Bundeswahlgesetzes
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Ich kann mich den Ausführungen von Herrn Kuhle vollumfänglich anschließen. Es ist alles zutreffend, was ausgeführt wurde.
Mehr als ein Jahr Untätigkeit, sture Blockadehaltung und blinder Aktionismus auf den allerletzten Drücker: So lässt sich das fadenscheinige Vorgehen der Union bei der Wahlrechtsreform zusammenfassen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Schauen wir uns das im Detail einmal an. Im Innenausschuss vertagen die Koalitionsfraktionen den Tagesordnungspunkt wegen angeblichen Beratungsbedarfes. Über ein Jahr lang haben wir aber in der Wahlrechtskommission darüber reden wollen. Fast ein weiteres Jahr liegt der Gesetzentwurf von Linken, FDP und Grünen auf dem Tisch. Wir haben es aber auch informell versucht. Wir haben es auf der Fraktionsvorsitzendenebene versucht. Wir verschwenden immer und immer wieder unsere wertvolle Debattenzeit hier im Bundestag, weil Sie jeden Fortschritt und Austausch verhindern. Und jetzt, nach alledem, haben Sie Beratungsbedarf. Ist Ihnen das nicht peinlich, liebe Kollegen von der Union?
(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)
Dass Sie von CDU und CSU Beratungsbedarf hatten, das lässt sich ja an der letzten Fraktionssitzung am Dienstag, an den über 50 Wortmeldungen dort ablesen. Kurz vor der Sommerpause kommen Sie tatsächlich auf die Idee, zum ersten Mal intern über die Wahlrechtsreform zu sprechen. Ganz ehrlich, das wäre schon längst fällig gewesen.
Es braucht eine Wahlrechtsreform. Das sehen wir; das sehen die Menschen in diesem Land, die mit ihrem hart verdienten Geld und ihren Steuern dieses Parlament finanzieren. Und dafür müssen wir als Demokratinnen und Demokraten liefern, auch wenn vielen von Ihnen Ihre Diäten ja scheinbar nicht reichen, wie es der Kollege Amthor kürzlich bewies. Stattdessen spielen Sie hier taktische Spielchen. Ich muss Ihnen ganz deutlich sagen, dass mich das als Demokrat schwer enttäuscht.
(Beifall bei der LINKEN)
Wären wir Linke gemeinsam mit FDP und Grünen in dieser Sache nicht beharrlich geblieben, Sie hätten letztlich gar nichts unternommen. Ein Bundestag mit 850 Abgeordneten scheint Ihnen durchaus recht zu sein, weil weniger Prozente dann nicht automatisch weniger Mandate und somit weniger Geld bedeuten.
In den Gesprächsrunden, die Sie mit uns geführt haben, sind Sie nie über bloße Gedankenspiele hinausgegangen. Nicht mal auf konkrete Berechnungen wollten Sie von der CSU sich einlassen. Immer und immer wieder haben Sie unseren Vorschlag, die Anzahl der Wahlkreise zu reduzieren, zurückgewiesen. Vor rund einem Monat haben Sie dann die Anpassung der Wahlkreise hier verabschiedet, die aufgrund Bevölkerungszu- und ‑abnahme in verschiedenen Kreisen nötig war – ein rein technischer Vorgang, aber mit sehr viel Arbeit für die Verwaltung verbunden.
Herr Frieser von der CSU – ich kann ihn jetzt leider nicht sehen –
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Mit Brille!)
hat uns damals an dieser Stelle hier noch vorgeworfen, wir würden leichtfertig über solche Neuzuschnitte reden.
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Ja! „Leichtfertig“ ist an dieser Stelle genau das richtige Wort!)
Kurze Zeit nachdem dieser Vorgang für die Wahl 2021 in trockene Tücher gepackt ist, fällt Ihnen plötzlich ein: Alle reden über weniger Wahlkreise und weniger Mandate; vielleicht sollten wir da mal was machen.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Wollen Sie denn nun, dass wir was machen, oder nicht?)
Auf einmal bewegen Sie sich. Das hätten Sie schon vor einem Dreivierteljahr haben können, wenn Sie sich einfach mal ernsthaft mit unserem Vorschlag auseinandergesetzt hätten.
(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Trotzdem hat meine Fraktion, haben die FDP und die Grünen Ihnen immer wieder die Hand ausgestreckt und signalisiert, dass wir gesprächsbereit sind – ergebnislos!
Nun, kurz vor der Sommerpause, verfallen Sie in blinden Aktionismus und brillieren als Chaostruppe. Es werden plötzlich neue Vorschläge aus dem Hut gezaubert, interne Briefe geschrieben, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie zuerst den Absender oder zuerst die Presse erreicht haben. Dann schreibt das Innenministerium merkwürdige Gutachten zu – das ist doch verrückt – noch nicht einmal vorliegenden Vorschlägen des Koalitionspartners. Der Innenminister bzw. das Innenministerium behauptet dann, dass diese Vorschläge der SPD nicht verfassungsgemäß seien. Zur Verfügung wird dieses Gutachten aber keinem von uns und, ich glaube, auch nicht der SPD gestellt. Das gesamte Verhalten von Union und SPD – diese muss ich hier allerdings wieder miteinbeziehen – bei einem zentralen Thema wie dem Wahlrecht ist in keiner Weise seiner Ernsthaftigkeit und Bedeutung angemessen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Mich würde aber eher mal die Einschätzung der gesamten Koalition zu dem Kompromiss interessieren, der in der Unionsfraktion getroffen wurde. Wir wissen nicht viel darüber. Aber der Vorschlag mit den nicht auszugleichenden Überhangmandaten, die Idee, mit der Sie von der Union schon seit Langem kokettieren – jetzt sind es nicht mehr 15, sondern auf einmal nur noch 7 –, ist erkennbar verfassungswidrig.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ach, Quatsch!)
Ich möchte Ihnen dazu ein paar Dinge sagen. Der Vorschlag verhindert noch nicht mal das Schlimmste: die Aufblähung des Bundestages; er würde nur eine geringere Reduzierung aus unserer Sicht verursachen. Das müssten Sie uns aber bitte mal schwarz auf weiß mit Berechnungen präsentieren. Aber auch dazu haben Sie sich bisher nicht verstehen können, vielleicht, weil Sie nicht wollen – das wäre problematisch –, vielleicht aber auch, weil Sie es schlichtweg nicht können; das würde ich für äußerst bedenklich halten.
(Beifall bei der LINKEN)
Beides ist auf jeden Fall ein Armutszeugnis.
Doch wir müssen gar nicht großartig Kaffeesatzleserei bezüglich der Größe des Bundestages nach Ihrem Vorschlag betreiben. Ich habe es gerade gesagt: Er ist aus meiner Sicht verfassungswidrig. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012, das diese Frage aufgeworfen hat, hat das nur akzeptiert als Obergrenze bei einer unerwünschten Verzerrung eines Wahlergebnisses. Was Sie vorhaben, ist eine absichtliche Begünstigung Ihrer Fraktion bzw. Ihrer Parteien, der CDU und der CSU.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist aus meiner Sicht und nach meiner Interpretation dieses Urteils ausgeschlossen;
(Beifall bei der LINKEN)
denn das Urteil weist darauf hin, dass das Zweitstimmenergebnis korrekt widergespiegelt werden muss in der Sitzzusammensetzung des Bundestages.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden da nicht mitmachen.
Ich komme zum Ende. Dass Sie dieses Trauerspiel hier aufführen, haben allein Sie von der Union zu verantworten. Ich bin gespannt, mit welchen Absurditäten Sie uns nach der Sommerpause noch beglücken werden. Ich befürchte, dass Sie uns wieder für teuer Geld aus der Sommerpause holen. Wenn wir dann aber kommen, dann können wir gerne auch einen neuen Innenminister vereidigen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7456097 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 171 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes |