Benjamin StrasserFDP - Aktuelle Stunde – Gewaltexzesse in Stuttgart
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Krawallnacht von Stuttgart hat ein Gewaltpotenzial in einer Dimension offenbart, das in meiner Heimat, in Baden-Württemberg, bisher seinesgleichen sucht. Wir haben einen Kontrollverlust des staatlichen Gewaltmonopols erlebt, das bisher seinesgleichen sucht. Fünf Stunden lang hat es gedauert, bis in Stuttgart die öffentliche Ordnung wiederhergestellt worden ist, fünf Stunden, in denen Polizisten zu Freiwild erklärt worden sind, in denen Geschäfte geplündert wurden und in denen unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger verbal, aber auch körperlich angegriffen wurden. Diese Täter haben ein widerwärtiges und schändliches Verhalten offenbart, das meine Fraktion in tiefer Abscheu verurteilt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der Polizei den Rücken stärken – das wurde richtigerweise in den vergangenen Tagen von unterschiedlichen Fraktionen in diesem Haus gesagt, und dahinter versammeln wir uns. Aber es darf auch keine leere Worthülse werden. Wer in einer wichtigen Rassismusdebatte in unserem Land einseitig und stigmatisierend die Polizei in eine Ecke stellt – wie die SPD-Vorsitzende Esken –,
(Widerspruch bei der SPD)
der stärkt der Polizei eben nicht den Rücken.
(Beifall bei der FDP und der AfD sowie des Abg. Marc Henrichmann [CDU/CSU])
Wer mit Schaum vor dem Mund Thesen vertritt, wie wir es gerade gehört haben, der stärkt der Polizei nicht den Rücken. Aber auch wer Scheuklappen aufsetzt und Ursachen nicht sehen will, die dazu geführt haben, der stärkt der Polizei ebenfalls nicht den Rücken. Man stärkt vielmehr der Polizei den Rücken, wenn man sachlich aufklärt, was tatsächlich geschehen ist, und die notwendigen Konsequenzen zieht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Diese sachliche Aufklärung habe ich bei Verantwortlichen durchaus vermisst. Da war die Rede von einer „Partyszene“, die für diese Taten verantwortlich gewesen sein soll. Liebe Kollegen, ich war als junger Mann auch mal Teil dieser Stuttgarter Partyszene, und ich kann Ihnen sagen: Die trifft sich nicht am Eckensee in Stuttgart; die trifft sich in der Theodor-Heuss-Straße oder beim Hans-im-Glück-Brunnen oder woanders. Aber umso mehr hätte ich mir schon gewünscht, dass gerade der grüne Oberbürgermeister Kuhn hier mal ein Wort spricht; der sollte die Verhältnisse eigentlich kennen. Dass dieser Mensch schweigt, das zeigt auch eine bestimmte Einstellung, weil das Wort „Partyszene“ nicht nur junge Menschen diskreditiert, die friedlich feiern wollen, sondern weil es ein Problem verharmlost, das aus meiner Sicht in Stuttgart besteht.
Peinlich und unprofessionell war aber vor allem der Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Herr Thomas Strobl, der sich in einem SWR-Interview zu Wort gemeldet hat und sagte – Zitat –: „Ich habe mich schon im letzten Jahr darüber gewundert, was sich gerade in den Abendstunden dort tut.“ Wir fragen uns: Was hat eigentlich Thomas Strobl im vergangenen Jahr gemacht? Wo war denn der Anlauf einer Sicherheitskooperation in Stuttgart? Er hat schlicht und einfach die Hände in den Schoß gelegt und damit die Polizistinnen und Polizisten in Stuttgart im Stich gelassen, liebe Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Es geht ja noch weiter. Strobl vor einigen Tagen in den „Stuttgarter Nachrichten“ – Zitat –: „Da ist alles dabei – vom Betrunkenen bis zum gewalttätigen Linksextremisten.“ Die Linksextremisten hätten „keine untergeordnete Rolle gespielt“, so Strobl. Das ist ja ein alarmierender Befund.
Wir haben im Innenausschuss mal nachgefragt bei der Bundesregierung: Was sind denn das für linksextremistische Gruppen, die dahinterstehen? Antwort: Wir haben keine Erkenntnisse. – Das Land Baden-Württemberg hat momentan keine Erkenntnisse. Lieber Herr Strobl, wenn Sie Erkenntnisse besitzen, dann müssen Sie sie offenlegen, und wenn Sie keine haben, dann gebietet es, dass sich ein Innenminister nicht an Mythenbildung beteiligt, sondern faktenbasierte Aufklärung der Vorwürfe voranbringt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)
37 von 500 Tatverdächtigen sind ermittelt. Es ist klar: Wir sind am Anfang der Aufklärung, und wir erwarten, dass alle diese 500 Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir müssen auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen; das ist klar geworden. Herr Frei hat einige Punkte genannt, was die Stadt Stuttgart angeht. Aber zur Wahrheit gehört auch: Wenn die Polizei in Stuttgart beispielsweise die fehlende Schutzausrüstung in dem Einsatz bemängelt, dann ist nicht die Stadt Stuttgart verantwortlich, sondern der Innenminister Strobl. Wenn wir zu wenig Richter- und Staatsanwaltstellen in Baden-Württemberg haben – wir brauchen genügend Stellen, damit die Strafe auf dem Fuß folgen kann –, dann ist nicht die Stadt Stuttgart verantwortlich, dann ist Justizminister Guido Wolf von der CDU verantwortlich, liebe Kollegen.
Wir müssen uns auch im Bund die Frage stellen: Wo können wir besser werden? Beispielsweise beim Thema „Abschiebungen von vollziehbar Ausreisepflichtigen“. 16 Tatverdächtige haben keinen deutschen Pass, und da müssen wir genau hinschauen, an was das gelegen hat.
Aber alles in allem: Es ist ein gesellschaftliches Problem, dem wir uns stellen müssen. Da helfen auch keine Verschärfungen von Strafnormen, sondern da hilft eine gesellschaftliche Debatte, die mehr Rechtsstaat täglich einfordert.
Und Ihre Redezeit ist jetzt auch abgelaufen.
An dieser Debatte werden wir uns beteiligen.
(Beifall bei der FDP)
Das Wort hat die Kollegin Ute Vogt, SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 171 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde – Gewaltexzesse in Stuttgart |