Olaf Scholz - Aktuelle Stunde zu den Cum Ex Steuerdeals
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh darüber, dass wir dieses wichtige Thema heute diskutieren. Ich finde es auch ausgesprochen angemessen, dass wir dreimal darüber reden: im Ausschuss, bei der Regierungsbefragung und jetzt in der Aktuellen Stunde. Denn es geht in der Tat um etwas, das uns alle gemeinsam zu Recht empört. Cum/Ex – das ist hier schon mehrfach gesagt worden, aber ich will es noch mal unterstreichen – ist von Anfang an kriminelles Handeln gewesen. Ich will ausdrücklich sagen: Ich kann mir nicht vorstellen, wie man auf den Gedanken kommen kann, dass man Steuern, die man gar nicht gezahlt hat, erstattet bekommen kann. Das ist etwas, was in irgendeiner Weise jedem offensichtlich sein muss. Deshalb bin ich auch sehr sicher, dass es durch die vielen Verfahren, die mithilfe der Tätigkeit der Finanzämter, der Steuerfahndung an den Gerichten jetzt anhängig sind und die die Staatsanwaltschaften voranbringen, gelingen wird, Stück für Stück all die offenen Fälle aufzuklären und Milliarden an Steuergeld zurückzuholen. Die ersten Erfolge sind da; aber wir werden weitermachen, und das ist auch richtig so.
(Beifall bei der SPD)
Wenn wir über Cum/Ex reden, zeigt sich natürlich auch, dass eine große Zahl derjenigen, die Entscheidungen zu treffen haben, offenbar nichts dabei finden, wenn sie irgendwie mit Steuervermeidung zu tun haben. Das ist nicht in Ordnung. Das ist keine Sache, die man akzeptieren kann. Wir müssen dafür sorgen, dass es fair zugeht in unserem Land. Das heißt auch, dass sich nicht diejenigen, die über besonders viel Technik, Anwälte, Informationen und sonst was verfügen, auf irgendeine Weise darum drücken. Noch weniger ist es akzeptabel, dass sie das mit illegalen Handlungen tun.
(Beifall bei der SPD)
Ich glaube deshalb, dass es richtig war, all die Gesetze auf den Weg zu bringen, die zum Beispiel konkret mit Cum/Ex und verschiedenen anderen Steuergestaltungen umgehen. Ich finde, dass wir auch da immer weitermachen müssen. Denn aus meiner Sicht ist das Schlimmste, was uns passieren kann, dass wir irgendwie das Gefühl haben: Eines Tages ist die Sache vorbei, und so was passiert uns nie, nie wieder. Wir müssen davon ausgehen, dass es immer wieder so sein wird, dass ziemlich viele unterwegs sind und versuchen, solche Betrugsmanöver auf den Weg zu bringen. Deshalb müssen wir mit vielen energischen Schritten dazu beitragen, dass wir besser aufgestellt sind.
Eine der Maßnahmen, die wir erst jüngst beschlossen haben und die uns heute hilft, ist zum Beispiel die Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltung. Ich finde, das ist eine große Reform. Wir haben jetzt die ersten Meldungen bekommen, nicht so viele, wie einige befürchtet haben, aber doch ziemlich viele, sodass man damit Arbeit hat. Diese zeigen uns, dass da was zu tun ist. Ich glaube auch, dass wir weitermachen müssen und dass wir mindestens, wenn wir Erfahrungen gewonnen haben, gucken müssen, ob solche Anzeigepflichten uns nicht auch im Inland weiterhelfen.
Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, zum Beispiel um Umsatzsteuerbetrug im Onlinehandel aufzugreifen. Kaum sind die Regelungen, die wir beschlossen haben, in Kraft gewesen, haben sich Tausende gemeldet, die bisher gar nicht an Steuerzahlungen in dieser Frage gedacht haben. Das Finanzamt Berlin hat mehrfach darüber berichtet, in welchem Umfang das geschehen ist, einfach aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung. Und wir werden im europäischen Rahmen dafür sorgen, dass das so weitergeht.
Wir haben eine Taskforce gegen Steuerhinterziehung gebildet mit all den verschiedenen Behörden des Bundes, was notwendig ist, weil der Bund selbst fast nie – in vielen Fällen schon, aber nicht in denen, an die wir jeden Tag denken – für die Steuern zuständig ist. Aber es ist auch in einem föderalen Land mit der Zuständigkeit der Länder wichtig, dass wir Zusammenarbeit organisieren, dass wir unser Wissen austauschen und dass wir damit umgehen.
(Beifall bei der SPD)
Aus meiner Sicht gehört in diesen Zusammenhang auch vieles von dem, was wir jetzt bereits in anderen Feldern auf den Weg gebracht haben. Ich will nur mal das Gesetz über illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit und Sozialleistungsbetrug anführen. Hier ist gesetzgeberisch und personell viel gemacht worden.
Zurück zu unserem Thema Cum/Ex. Es war illegal – ich will es ausdrücklich sagen –, und wir müssen mit unseren Möglichkeiten dafür Sorge tragen, dass wir all die Aufklärungsarbeit leisten, die jetzt erforderlich ist. Natürlich gilt dabei auch immer wieder, dass wir Wege finden, wie es gelingen kann, das umzusetzen.
Da gibt es ein Prinzip, und dieses Prinzip ist für mich und viele andere wichtig. Das Prinzip lautet: Diese Entscheidungen sind von den Finanzämtern zu treffen. Sie müssen nach Recht und Gesetz entscheiden, und sie müssen sich darauf verlassen können, dass es keinen politischen Einfluss gibt, keinen, der ihre Entscheidungen beeinflusst, zum Beispiel zugunsten derjenigen, die etwas tun, was nicht verantwortbar ist. Deshalb sage ich: Das darf nicht passieren, und – ich ergänze – es ist nicht passiert.
(Christian Dürr [FDP]: Ah!)
Das ist das, was in diesem Fall wichtig ist.
(Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Herr Scholz, Sie haben persönlich dazu beigetragen, Sie persönlich!)
Natürlich ist es so, dass, wenn ein Verdacht geäußert wird, wenn Erwägungen angestellt werden, alles Mögliche aufkommen kann. Aber am Ende zählen immer die Tatsachen.
(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP] – Zuruf von der AfD: Sagen Sie auch noch was zu Warburg?)
Und zu den Tatsachen, über die überall berichtet worden ist, gehört, dass es eben nicht der Fall gewesen ist, und – ich will das noch mal unterstreichen – das muss auch so sein.
(Christian Dürr [FDP]: Warum haben Sie die Treffen 2016 verschwiegen? Herr De Masi hat das doch gerade zu Recht gesagt, Herr Scholz! Warum haben Sie das verschwiegen?)
Deshalb kann sich jeder darauf verlassen, dass wir in der weiteren Beschäftigung mit diesem Thema das auch immer wieder neu feststellen werden.
Eines ist klar: Wer als Politiker Verantwortung hat, ob nun als Abgeordneter oder als jemand, der in einer Regierung ist, der trifft sich mit vielen, die in dieser Gesellschaft Interessen haben. Die Frage ist nicht, ob wir uns treffen. Die Frage ist, wie wir innerlich eingestellt sind und ob wir uns davon beeindrucken und beeinflussen lassen.
(Christian Dürr [FDP]: Drei Tage später!)
Natürlich ist es so, dass, wenn man sehr viel zu tun hat und sehr viel Verantwortung hat, es ziemlich viele Gespräche gibt.
(Christian Dürr [FDP]: Drei Tage später gab es die Anweisung!)
Umso wichtiger ist die klare innere Einstellung in dieser Frage.
Ich jedenfalls will dazu sagen, dass ich sehr störrisch sein kann und mich noch lange nicht beeindrucken lasse. Ich kann Ihnen berichten, dass zum Beispiel – um mal ein Thema zu nehmen – die Frage der Bankenabgabe und ihrer steuerlichen Berücksichtigung mich schon als Abgeordneter, als ich mit diesem Thema gar nichts zu tun hatte, erreicht hat. Als Bürgermeister haben mich viele angesprochen und auch jetzt als Minister. Trotzdem bin ich, trotz all dieser Ansprachen, immer bei der Haltung geblieben: „Es bleibt bei der Regelung, wie sie ist“, und habe sie nicht geändert. So muss das sein, und darauf müssen sich alle Bürgerinnen und Bürger verlassen können.
(Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Aber daran erinnern Sie sich! Das ist spannend, Herr Scholz!)
Das, meine Damen und Herren, ist das, worum es hier geht.
Wir sollten uns allerdings aus der Diskussion, die wir jetzt führen, auch noch ein paar Aufträge mitnehmen. Zu diesen Aufträgen gehört, nicht nur den Weg weiterzugehen, den ich eben beschrieben habe, sondern wir müssen auch im internationalen Bereich dafür Sorge tragen, dass all diese Gestaltungsmodelle nicht mehr weiter funktionieren.
(Christian Dürr [FDP]: Es würde schon reichen, wenn sich Politiker nicht in den Dienst von Steuerhinterziehern stellen!)
Darum wird zum Beispiel eine der großen Fragen sein, die auf der Agenda heute steht: Kriegen wir das hin, in Europa und weltweit so etwas wie eine globale Mindestbesteuerung zu vereinbaren, damit nicht durch den Auszug in Steueroasen vermieden werden kann, Steuern dort zu zahlen, wo die Wertschöpfung stattfindet? Ich bin froh, dass wir dort so weit sind, wie wir noch nie waren, und wir werden diesen Weg zu Ende gehen müssen.
(Beifall bei der SPD – Volker Münz [AfD]: Darum geht es hier doch gar nicht!)
Ich will ergänzen, dass wir auch auf andere Weise in Europa solche Zusammenarbeiten brauchen, zum Beispiel, wenn es darum geht, dass wir jetzt daran arbeiten, dass es Mindeststandards für Plattformbetreiber gibt. Gerade haben einige eine Meldung darüber bekommen – übrigens auf Veranlassung der Hamburger Finanzbehörden –, wie da hinterhergegangen worden ist, dass an Plattformen Umsätze für Vermietungen bei Airbnb gemeldet oder nicht gemeldet worden sind. Das ist ein mehrjähriges Verfahren gewesen, das jetzt gewissermaßen mit der Datenlieferung begleitet worden ist, und wir werden sehen, dass wir bei der Steuerehrlichkeit ein paar große Fortschritte machen.
Wir müssen jetzt erreichen, dass das in Europa nicht so kompliziert ist, und wir müssen Austauschregelungen vereinbaren, die das schnell und zügig möglich machen.
Meine Damen und Herren, ich komme zurück zu der Debatte, die wir hier führen. Ich finde, es ist wichtig, dass wir unseren Kampf gegen solche Steuerbetrügereien zusammen führen. Wir sollten uns nicht ablenken lassen. Und Sie können sich darauf verlassen, dass ich an vorderster Stelle all derjenigen stehe, die diesen Kampf führen.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Olaf Scholz. – Der nächste Redner steht schon da: für die FDP-Fraktion Dr. Florian Toncar.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 172 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den Cum Ex Steuerdeals |