10.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 173 / Tagesordnungspunkt 8

Marian WendtCDU/CSU - Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses 2019

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Übernehmen Petitionen die Aufgabe des Parlaments? Diesen Eindruck könnte man schnell gewinnen, wenn man sich das letzte Jahr, vor allem die letzten Monate, einmal näher anschaut. Besonders prominente und medienwirksame Petitionen werden von der Öffentlichkeit außerhalb des Parlaments breit diskutiert.

Die Politisierung des Petitionswesens ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Eingaben wie die zur Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes auf Periodenprodukte konnten viele Menschen mobilisieren. Noch bevor sich der Bundestag der Sache annahm, schien die Öffentlichkeit den Ausgang der Petition bereits festgestellt zu haben. Die Öffnung des Parlaments ist richtig und wichtig. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass die repräsentative Demokratie geschwächt wird.

Ich bin stolz darauf, dass kein Bundestagsausschuss eine stärkere Bürgernähe und ‑beteiligung aufweist als der Petitionsausschuss. Wir geben, anders als die bekannten Konzerne, die Garantie, dass jede Petition entgegengenommen, sorgfältig geprüft und beschieden wird. Wir sind das Original!

Lassen Sie mich kurz einige Fakten zum Jahresbericht 2019 nennen. Es freut mich sehr, dass wir wiederholt einen Anstieg der Anzahl eingereichter Petitionen auf 13 529 Petitionen verzeichnen konnten. Die Anzahl eingereichter Petitionen ist damit in den letzten fünf Jahren um 20 Prozent angestiegen. Das unterstreicht das Interesse der Bevölkerung an Politik und den Willen der Menschen beim Mitgestalten unseres Landes.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Als starker Befürworter der Digitalisierung begrüße ich es außerordentlich, dass die Zahl der digital eingereichten Petitionen weiter steigt. Auf unserer Plattform haben sich im letzten Jahr über 850 000 Nutzerinnen und Nutzer neu registriert; dies entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr von über 40 Prozent. Im Berichtsjahr wurden 929 Petitionen auf unserer Internetplattform veröffentlicht; das sind mehr als doppelt so viele wie noch 2015.

Es beeindruckt mich sehr, dass so viele Nutzerinnen und Nutzer auf diesem Forum die Petitionen, insbesondere die zur gesetzgeberischen Gestaltung, angeregt und zumeist konstruktiv diskutieren. Mit großer Freude stellen wir auch fest, dass im Vergleich zu den Einzelfallpetitionen die Anzahl der Petitionen mit klaren gesetzgeberischen Ideen, die einen Input in unser Haus bringen, deutlich angestiegen ist.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass neben diesen Petitionen zur Gesetzgebung auch zahlreiche Einzelfallpetitionen an uns herangetragen werden. Sie sind unser wichtiges Brot-und-Butter-Geschäft und haben im letzten Jahr 55 Prozent aller Eingaben ausgemacht. Dabei ging es beispielsweise um Meinungsverschiedenheiten mit der Bundesagentur für Arbeit bzw. den Jobcentern hinsichtlich der Bearbeitungsdauer von Anträgen und der Höhe von Leistungen.

Die Zahl der Mitzeichnungen hat sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Wir konnten mehr als 1,8 Millionen Mitzeichnungen bei öffentlichen Petitionen verzeichnen, darunter circa 1 Million elektronische Mitzeichnungen. Das zeigt, dass trotz aller Digitalisierung knapp die Hälfte aller Mitzeichnungen noch in Form der klassischen Unterschriftenliste, per Fax oder auch per Brief, bei uns eingehen.

Dieses Engagement der Bürgerinnen und Bürger führte dazu, dass 2019 17 Eingaben das Quorum von 50 000 Mitzeichnungen erreichten, das erforderlich ist, damit die Petition bei uns in öffentlicher Beratung behandelt wird. Das sind fast dreimal so viele Petitionen wie im Vorjahr.

Bei den mitzeichnungsstärksten Petitionen im Jahr 2019 ging es um das Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten – gut 413 000 Menschen haben mitgezeichnet –, die angemessenen Übergangsregelungen für Psychologiestudierende und Psychotherapeutinnen und ‑therapeuten in Ausbildung – hier gab es gut 84 000 Mitzeichnungen – und die Besteuerung von Periodenprodukten mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent; hier gab es gut 82 000 Mitzeichnungen. Zu all dem gab es eine breite mediale Debatte, die lebhaft geführt wurde, und zwar nicht nur auf der Homepage des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages.

Von den 17 Petitionen, die das notwendige Quorum von 50 000 Unterschriften erreicht haben, konnten wir 14 Eingaben im Rahmen einer öffentlichen Sitzung behandeln. In diesen öffentlichen Sitzungen konnte der Petent oder die Petentin sein oder ihr Anliegen persönlich vor den Ausschussmitgliedern und den anwesenden Regierungsvertretern vortragen. Themen waren unter anderem das Terminservice- und Versorgungsgesetz oder das generelle Tempolimit auf Autobahnen.

Mich persönlich freut es sehr, dass die bereits erwähnte Petition zur Besteuerung der Periodenprodukte mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz schnell und erfolgreich im Sinne des Petenten und damit auch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger abgeschlossen werden konnte. Der Petitionsausschuss war der Treiber des politischen Prozesses und eröffnete so den Bürgerinnen und Bürgern das Tor zum Deutschen Bundestag. Wir sind die Tür in unser Haus hinein.

Um Veränderungen anzustoßen – das ist sehr wichtig –, ist nicht allein die Zahl der Unterschriften maßgebend. Eine Petition mit nur wenigen Mitzeichnungen führte etwa dazu, dass die Sonderurlaubsregelungen bei Rehamaßnahmen geändert wurden.

Ein auch für mich persönlich sehr erfreuliches Ergebnis konnten wir in einem Fall der Familienzusammenführung erzielen. Der sich in Deutschland aufhaltende minderjährige Petent bat um Visa für seine Geschwister, um diesen die Einreise nach Deutschland zur Familienzusammenführung zu ermöglichen. Der Ausschuss kontaktierte verschiedene Ministerien und konnte schließlich eine Familienzusammenführung ermöglichen.

Solche Berichterstattergespräche finden oft im Hintergrund statt. Dabei werden Gespräche unter anderem mit den Ministerien geführt; in meinem Beispielfall fanden Gespräche mit dem Innenministerium statt. Mit Herrn Staatssekretär Mayer haben wir schon sehr viele gemeinsame Berichterstattergespräche geführt. Wir arbeiten eng zusammen. Für die gute Zusammenarbeit und die vielen Problemlösungen möchte ich meinen Dank aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

20 solcher Berichterstattergespräche konnten im letzten Jahr geführt werden. Dabei konnten die persönlichen Anliegen der Bürgerinnen und Bürger behandelt und einer Lösung zugeführt werden.

Natürlich können wir nicht alle Wünsche der Petentinnen und Petenten erfüllen. In diesen Fällen versucht der Ausschuss dadurch zu helfen, dass er den Bürgerinnen und Bürgern die gesetzlichen Grundlagen und die staatlichen Entscheidungen erläutert und nachvollziehbar macht. So konnte der Ausschuss beispielsweise dem Anliegen, das Streben nach Glück ins Grundgesetz aufzunehmen, nicht entsprechen. Wir antworteten dem Petenten, dass das persönliche Glücksempfinden überwiegend von privaten Umständen geprägt ist, auf die der Staat keinen oder nur bedingt Einfluss hat.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Aber es steht in der amerikanischen Verfassung!)

Der Petitionsausschuss versteht sich als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger. Wir bemühen uns mit großem Engagement darum, die bestmögliche Lösung für jede Petentin und jeden Petenten zu finden. Dabei arbeiten wir meist sehr konstruktiv zusammen, auch – und das ist die Besonderheit unseres Ausschusses – über die Fraktionsgrenzen hinweg. Wir sind uns alle einig, dass das Petitionsrecht dem Bürger eine echte Chance für mehr direkte Beteiligung bietet.

Ein Appell an die Bürgerinnen und Bürger sei mir an dieser Stelle erlaubt: Bitte nutzen Sie die Chance! Nutzen Sie die Chance, eine Petition einzureichen! Es ist ganz einfach. Seien Sie gewiss, dass jede Petition von uns ernst genommen und gewissenhaft bearbeitet wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Petitionsrecht ist eine historische Leistung unserer Demokratie. Deshalb müssen wir uns umso mehr den Versuchen entgegenstellen, das Petitionsrecht zu missbrauchen. Konzerne dürfen ihre kommerziellen Interessen nicht unter dem Deckmantel des Gemeinwohls verkaufen. Nennen wir es doch beim Namen: Betriebe und Unternehmen arbeiten in unserer sozialen Markwirtschaft gewinnorientiert, was richtig ist. Das ist auch gut so. Aber die Politik muss den entsprechenden Interessenausgleich zwischen Gewinnorientierung und Gemeinwohl schaffen. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, das werden wir auch schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Das Petitionsrecht ist Instrument der Bürgerinnen und Bürger. Das Petitionsrecht gibt ihnen die Möglichkeit, direkt mit dem Deutschen Bundestag in Kontakt zu treten. Das Petitionsrecht beteiligt sie an der Weiterentwicklung unseres Landes. Es ist aus meiner Sicht eine echte Chance für mehr Teilhabe und Partizipation.

Aber übernehmen Petitionen die Aufgabe des Parlamentes? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Petitionswesen zu stärken, heißt, unsere repräsentative Demokratie zu stärken. Deshalb ist eine Politisierung des Petitionsausschusses uns allen willkommen. Wir müssen als Parlament lernen, konstruktiv mit den öffentlichen Debatten umzugehen, ohne uns vor ihnen hertreiben zu lassen. Das ist eine Chance auch für uns, aktiv in den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern zu treten.

Der wichtigste Gedanke zum Schluss, meine Damen und Herren: Ein Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Sekretariates, unseres Ausschussdienstes.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)

Knapp 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung unterstützen die 28 Kollegen im Ausschuss bei der Bewältigung der zuletzt 13 500 Petitionen im Jahr. Eine kleine Delegation hat heute hier Platz genommen, um diesen Ausschuss zu vertreten. Einen ganz herzlichen Dank an diese Kolleginnen und Kollegen, an die Mitarbeiter des Ausschusses und alle Bürgerinnen und Bürger, die sich aktiv für unser Gemeinwohl einsetzen.

In diesem Sinne: Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wendt. – Nächster Redner ist der Kollege Stefan Schwartze, SPD.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7468920
Wahlperiode 19
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses 2019
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