10.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 173 / Tagesordnungspunkt 20

Joe WeingartenSPD - Marktwirtschaft - Einführung einer Beteiligungsbremse

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die soziale Marktwirtschaft lebt von Wettbewerb und staatlicher Rahmensetzung, verbunden mit entschlossenem Eingreifen, wenn diese Rahmensetzungen bedroht werden. Dazu gehört auch die staatliche Bereitschaft, Unternehmen zu gründen, zu übernehmen oder sich daran zu beteiligen, wenn die Situation das erforderlich macht. Das gilt insbesondere in Krisensituationen oder bei strategischen Zielen, sehr prominent etwa bei der staatlichen Beteiligung am Volkswagen-Konzern unter dem hier schon mehrfach zitierten Wirtschaftsminister Ludwig Erhard – offenkundig auch damals sehr gut vereinbar mit der sozialen Marktwirtschaft. Daran hat sich nichts geändert.

Es gibt keine signifikante Änderung in den Zielen der Beteiligungspolitik der Bundesregierung. Die vom FDP-Antrag postulierte „Rückkehr zur Normalität“ greift ins Leere. Was es aber gibt, sind neue Herausforderungen durch die Coronapandemie und ihre weltweiten Verwerfungen durch den drastischen Rückgang internationaler Handelsströme. Darauf hat die Bundesregierung in der Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Industriepolitik entschlossen reagiert. Beteiligungen zur Abwehr von Schaden für unsere Volkswirtschaft und einzelne Unternehmen gehören dazu. Die Coronafolgen und der rapide Strukturwandel haben beispielsweise viele Unternehmen in der Automobilzulieferindustrie unter Druck gesetzt. Nicht nur in der Nahe-Region, aus der ich komme, ist das eine strategisch wichtige Industriesparte. In Bad Kreuznach, Bad Sobernheim oder Idar-Oberstein sorgt sie für eine gute Beschäftigung in hochqualifizierten Berufen, für viele Folgeaufträge in Handwerk und Dienstleistungen und dient als Träger für die Innovationen in die ganze Wirtschaft.

Diese vorwiegend mittelständisch strukturierte Branche müssen wir schützen und erhalten. Deswegen ist der Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und der IG Metall, solchen Unternehmen einen Beteiligungsfonds an die Seite zu stellen, um eine feindliche Übernahme aus einer Kapital- und Liquiditätsschwäche heraus zu verhindern, völlig richtig.

(Beifall bei der SPD – Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Warum aktivieren wir nicht privates Kapital?)

Dieser Vorschlag passt in unsere Zeit, weil er pragmatisch und effizient ist und den Unternehmen hilft.

Die Vorschläge der FDP zu dem Thema sind das Gegenteil: Sie sind ideologisch geprägt, umständlich und nützen am Ende niemandem. Es befremdet mich auch, wie wenig der Antrag der FDP auf die Interessen von mittelständischen Unternehmen eingeht. Das war mal eine von Ihnen heftig umworbene Klientel; heute ist sie Ihnen nicht mal mehr eine Erwähnung wert. Erstaunlich ist auch die Geringschätzung der öffentlichen Infrastruktur. Ausgerechnet jetzt die staatlichen Beteiligungen an Stromnetzen, an der Deutschen Bahn, an Post und Telekom infrage zu stellen, ist sachlich nicht begründbar. Im Gegenteil: Wenn nicht unter tatkräftiger Beteiligung der FDP der privatwirtschaftliche Ausbau der digitalen Netze forciert worden wäre, sondern wir beim Mobilfunk- und Glasfaserausbau mehr auf einen staatlich gelenkten Infrastrukturausbau gesetzt hätten, stünden wir heute besser da.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Bei mehr Staat und weniger gewinnorientiertem Rosinenpicken wären insbesondere die ländlichen Regionen in unserem Land bei der Digitalversorgung in einer besseren Lage.

(Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, staatliche Beteiligungen an Unternehmen und Privatisierungen dürfen nie Selbstzweck sein. Deswegen sind die Forderungen der FDP, schon jetzt feste Vorgaben für Privatisierungen bis Ende 2022 zu machen und ohne Erkenntnis der Entwicklung der Märkte Anteile von Post, Telekom und Commerzbank zu verkaufen, wirtschaftspolitisch unausgegoren.

Nein, der Weg muss ein anderer sein. Es braucht erstens behutsame, an den Erfordernissen der Branche und den Unternehmen ausgerichtete Beteiligungen, zweitens die Entsendung qualifizierter Vertreterinnen und Vertreter in die Aufsichts- und Lenkungsgremien und drittens keine unmittelbare Einwirkung auf detaillierte betriebswirtschaftliche Entscheidungen der Unternehmen. Das stärkt unsere Marktwirtschaft; denn wir brauchen gerade jetzt ruhiges und pragmatisches Handeln und keine falschen Grundsatzdebatten. Deswegen lehnen wir den Antrag der FDP inhaltlich ab.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Dr. Joe Weingarten. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Alexander Ulrich.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7468945
Wahlperiode 19
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Marktwirtschaft - Einführung einer Beteiligungsbremse
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