10.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 173 / Tagesordnungspunkt 10

Jens BeeckFDP - Arbeitsschutzkontrollgesetz

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Hochverehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Hubertus Heil! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Lassen Sie mich gleich am Anfang noch einmal ganz deutlich sagen: Wir Freien Demokraten sind froh, jede Initiative zu unterstützen, die Arbeits- und Sozialstandards in Deutschland sichert. Deswegen haben wir uns, Herr Minister Heil, auch sehr über Ihre Initiative gefreut – und sind entsprechend enttäuscht und jetzt auch besorgt über das, was Sie heute vorlegen.

(Pascal Kober [FDP]: Hört! Hört!)

Denn schlechte, teilweise illegale Beschäftigung, wie Sie es in Ihrer eigenen Gesetzesbegründung selbst ausführen, ist eben schon heute illegal, und sie hängt nicht am Werkvertrag als Vertragsform. Der geht aufs Römische Recht zurück, ist seit dem 1. Januar 1900 bei uns im BGB enthalten und funktioniert an ganz vielen Stellen gut. Das heißt, das Verbot arbeitsteiliger Prozesse und das Verbot arbeitsrechtlicher Organisationsformen für sich bringt überhaupt keinen Gewinn für tatsächlich bessere Arbeit, tatsächlich bessere Sozialstandards. Im Gegenteil, die schwammigen Formulierungen in Ihrem Gesetz – ich bin seit vielen Jahren Jurist, habe jedoch nicht alles verstanden, was Sie damit meinen, viele andere auch nicht – führen zu weiterer Rechtsunsicherheit.

Herr Kollege, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung des Kollegen Klaus Ernst?

Das dauert dann länger als meine Redezeit. Aber immer gern.

Nee, da schaue ich schon drauf, keine Sorge! – Herr Ernst.

Herr Beeck, danke, dass Sie die Frage zulassen. Ich möchte Ihnen jetzt eine Frage stellen, weil Sie – aber auch die FDP insgesamt – sich so engagiert für Arbeitsverhältnisse einsetzen, die auf Leiharbeit oder Werkverträgen gründen. Ich habe ja Verständnis dafür, dass die FDP – Herr Cronenberg ist ja selber Unternehmer, wenn ich es richtig lese – sich einsetzt dafür, dass Unternehmer Menschen beschäftigen können. Das machen sie in der Regel dann, wenn der Mensch mehr bringt, als er kostet. Da haben Sie vollkommen recht; das ist unbestritten.

Aber warum setzen Sie sich für ein System ein, bei dem zwei Unternehmen an einem Menschen verdienen können? Das System heißt: Leiharbeit und Werkverträge. Das bedeutet, dass der einzelne Mensch zwei Arbeitgeber hat. Jeder will an ihm verdienen. Er ist deshalb aber nicht schneller und ist deshalb nicht aktiver, sondern er muss genauso arbeiten, als würde er für ein Unternehmen arbeiten. Ich verstehe das System nicht.

Wo ist Ihr Motiv, dass Sie sich insbesondere dafür einsetzen, dass an einem Menschen jeweils zwei Unternehmen – bei Sub-Sub-Subunternehmen vielleicht sogar drei oder vier – verdienen können? Können Sie sich vorstellen, dass die Menschen das vielleicht gar nicht so gut finden? Können Sie sich deshalb auch vorstellen, dass wir als Linke zusammen mit den Gewerkschaften sagen: „Es reicht, wenn ein Unternehmen an einem Menschen verdient. Es müssen nicht gleich zwei oder drei sein“?

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Jetzt haben Sie die Möglichkeit, zu antworten, Herr Beeck.

Sehr geehrter Herr Kollege Ernst, ich dachte immer, Sie wären im Wirtschaftsausschuss. Dann wüssten Sie doch, dass Arbeitsteiligkeit schon seit vielen Jahrzehnten nahezu zwingende Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit ist. Ich wehre mich auch dagegen, dass Sie immer so tun

(Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])

– Herr Dehm, stellen Sie doch die nächste Zwischenfrage, dann können wir das nacheinander abarbeiten –, als ob alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Leiharbeitsverhältnissen tätig sind, das nur tun, weil böse Arbeitgeber ihnen einen Doppelverdienst abringen wollen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht Doppelverdienst, Doppelprofit! Das ist ein Unterschied!)

Es gibt ganz viele Menschen in diesem Land, die freiwillig in Zeitarbeit tätig sind und die dort übrigens in aller Regel gut verdienen.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Kenne ich nicht! Ich kenne niemanden!)

Und es gibt eine Vielzahl von Unternehmen, nicht nur in der Industrie, sondern beispielsweise auch in der Pflege und an anderen Stellen, die nahezu darauf angewiesen sind, Spitzen in der Arbeit, die durch Krankheit oder andere Dinge entstehen, dadurch abzudecken.

Sie können jedes Instrument, jedes Arbeitsverhältnis nutzen, um Standards zu unterlaufen; da bin ich bei Ihnen. Aber es liegt nicht an der Form. Wir alle streiten gemeinschaftlich dafür – die Linken genauso wie die Freien Demokraten und alle anderen Fraktionen im Haus –, in diesem Land einen vernünftigen Konsens zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und gesamtgesellschaftlichen Interessen zu schaffen; und das hängt nicht an diesen Vertragsformulierungen. Wir haben ein gemeinsames Ziel. Daran lassen Sie uns gemeinsam arbeiten.

Kommen wir wieder zurück zum Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP – Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Antworten Sie noch auf die Frage? – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Eine große Antwort auf eine große Frage!)

– Ja, das ist so. Das können wir gerne heute Abend weiter besprechen.

Die schwammigen Formulierungen im Gesetzentwurf führen aber genau dazu, Herr Minister Heil, dass Sie wieder nicht Rechtssicherheit schaffen, dass Sie nicht ganz klarmachen, was Sie eigentlich genau meinen, was noch erlaubt ist und was nicht. Noch schlimmer ist: In Ihrem Gesetzentwurf legen Sie Hand an positive gesellschaftliche Entwicklungen, die wir alle wollen. Regionale hochwertige Produkte entstehen oft in kleineren, oft genossenschaftlichen Strukturen, die tatsächlich hohe Eigenverantwortung aller Beteiligten vom Landwirt bis zur Ladentheke verlangen. Diese Strukturen wollen Verbraucher auch und nehmen sie auch an. Genau diese positive Entwicklung erschwert Ihr Gesetzentwurf durch seine Formulierung oder macht sie sogar unmöglich. Kleine regionale Schlachthöfe vor Ort, deren Arbeitsbedingungen nicht das Problem sind,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind nicht betroffen von dem Gesetz!)

nicht die sind, die heute Grundlage unserer Diskussion sind, machen Sie möglicherweise kaputt. Jedenfalls erschweren Sie die derzeit bestehenden Modelle massiv. Im Ergebnis laufen Sie mit Ihrem heute vorgelegten Gesetzentwurf doch Gefahr, lange Transportwege zu großen Schlachtfabriken mit großer Marktmacht gegenüber den eigenverantwortlich wirtschaftenden Landwirten, gegenüber dem kleinen und mittelständischen Handel noch zu befördern, statt sie zu verhindern. Das ist schwierig und kontraproduktiv, Herr Minister.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen lassen Sie mich zum Ende kommen. Wir teilen die hier gemeinschaftlich adressierten Ziele. Damit wir das am Ende gemeinschaftlich tun können, müssen Sie noch Arbeit leisten, Herr Minister. Der jetzige Gesetzentwurf schafft das nicht. Wir erwarten eine klare gesetzliche Regelung, die gezielt die Arbeits- und Sozialstandards in unserem Land verteidigt, aber ohne gleich die eigenverantwortlichen Landwirte, Metzger, Einzelhändler und die regionalen Strukturen mit abzuschießen. Wenn Sie das schaffen, Herr Minister, haben Sie uns an Ihrer Seite. Sie müssen dafür aber noch gute Arbeit nachlegen.

Frau Präsidentin, herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Jens Beeck. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Jutta Krellmann.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7468965
Wahlperiode 19
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Arbeitsschutzkontrollgesetz
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