Ulrike BahrSPD - Ganztagsbildung im Grundschulalter
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kollegen und Kolleginnen! Es ist, denke ich, nicht mehr strittig, dass wir ausreichende Angebote für gute Ganztagsbildung in ganz Deutschland brauchen. Darum haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, einen Rechtsanspruch ab 2025 im SGB VIII zu verankern. Aber auf dem Weg dahin muss allen klar sein: Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten müssen. Es geht nur miteinander.
Ein großer Teil des Geldes für die Investitionskosten ist schon bereitgestellt. 750 Millionen Euro aus dem Konjunkturprogramm sollen fließen, sobald sich Bund und Länder entsprechend verständigt haben. Das ist doch ein gewaltiger Anreiz, sich jetzt zügig auf Rahmenbedingungen zu verständigen; denn wir können uns hier viele schöne Anträge ausdenken – auch ich habe viele gute Ideen –, aber das bringt alles nichts, solange es keine verbindliche Einigung darüber gibt, wie es in Länderverantwortung umgesetzt werden soll. Auch die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung sind hier sehr wohl gefragt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Neben Investitionskosten in Höhe von insgesamt 3,5 Milliarden Euro in den Haushaltsjahren 2020 und 2021 hat unser SPD-Bundesfinanzminister Olaf Scholz ja auch bereits signalisiert, dass der Bund sich dauerhaft an den Betriebskosten beteiligen wird.
„Gemeinsam“ kann aber nicht heißen, dass die Länder ganz aus der Pflicht entlassen werden. Das wäre sehr ungerecht gegenüber denen, die bereits viel getan haben. In Hamburg, aber auch in Thüringen, Sachsen oder in Berlin ist der Bedarf an Ganztagsplätzen in Grundschulen weitgehend gedeckt. Hier geht es eher darum, das Angebot noch einmal zeitlich und qualitativ zu verbessern. Dagegen hinken besonders die südlichen Bundesländer leider sehr hinterher. Das grün regierte Baden-Württemberg findet sich bei der Ausstattung mit Ganztagsschulen auf dem letzten Platz, auf dem Platz 16.
(Gabriele Katzmarek [SPD]: Genau!)
Die Ganztagsbetreuung und ‑bildung für Grundschüler und Grundschülerinnen ist wichtig für die Eltern, für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit auch für die Wirtschaft, die dringend Fachkräfte braucht. Sie ist aber vor allem auch eine Chance für Kinder, wenn sie sich dem Dreiklang von Bildung, Erziehung und Betreuung stellt und den Kindern partnerschaftlich begegnet.
Ich wünsche mir Formate, die jedem Kind individuellen Raum für seine Entwicklung bieten, die neben der schulischen auch die sportliche und musische Bildung berücksichtigen und daneben Freiräume und Anregungen für die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit bieten, wie es unser Kinder- und Jugendhilferecht als Leitbild vorgibt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dazu brauchen wir zunächst einmal die Menschen, die das vor Ort umsetzen, also Fachkräfte: Lehrer und Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen, Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen, gut ausgebildet und fair bezahlt. Daran hängt alles, und vielfach ist das auch die größte Schwierigkeit für die Kommunen. Allerdings lässt sich auch hier die Zuständigkeit für die Aus- und Weiterbildung nahezu ausschließlich bei den Ländern verorten.
Bildungs- und Betreuungskonzepte im Ganztag dürfen den Kindern nicht einfach übergestülpt werden. Gerade wenn sie den größeren Teil des Tages in Institutionen zubringen, müssen Kinder beteiligt werden. Viele Schülerinnen und Schüler wissen auch mit sechs oder sieben Jahren schon erstaunlich gut, was sie wollen, was sie brauchen und was ihnen guttut. Zentral ist auch, dass die Zeit nach der Ganztagsschule dann wirklich Familienzeit sein kann und nicht darüber hinaus mit vielen Terminen und Pflichten belastet wird. Neben Angeboten an sportlicher und musischer Bildung ist es darum auch wünschenswert, dass zusätzliche Förderangebote in den Ablauf integriert werden. Schon lange klagen Eltern darüber, dass Kinder mit Teilleistungsstörungen von der Schule unzureichend gefördert werden und zusätzliche Angebote meist mühsam und teuer privat organisiert werden müssen. Im Bereich Ganztag gibt es nun endlich genug Zeit, auf Kinder mit Lernschwierigkeiten individuell einzugehen und auch Angebote in Kooperation mehrerer Schulen zu gestalten. Bei uns in Bayern hat zum Beispiel der Landkreis Eichstätt ein Programm in Zusammenarbeit von Schul- und Jugendamt aufgelegt, das erfolgreich Entlastung für die betroffenen Familien schafft. Solche Ansprüche lassen sich nur mit einem entsprechenden Raumangebot bedienen. Viele Kommunen müssen deshalb bauen und in kindgerechte Räume und Außenanlagen investieren, die einerseits das Lernen fördern, andererseits aber auch zu Kreativität, Spiel und Entspannung einladen. Es eilt darum mit der Einigung zwischen Bund und Ländern; denn erst dann kann das Geld fließen, und jedes Bauvorhaben braucht Zeit.
Die Länder haben bislang unterschiedliche Wege eingeschlagen, wenn es um die Organisation von Ganztagskonzepten geht: Offene und gebundene Ganztagsschulen stehen je nach Bundesland einer zum Teil sehr guten Hortinfrastruktur gegenüber.
Viele Wege führen zum Ziel. Bedingung ist für mich lediglich, dass Schule und Jugendhilfe sich auf Augenhöhe begegnen und verbindliche Kooperationen vereinbaren. Dafür müssen sich auch die Schulen öffnen und als Teil von Netzwerken begreifen, die gute Ideen und Engagement für Kinder zusammenbringen. Hier gibt es schon viele gute Beispiele. Ich halte es nämlich für sehr wichtig, dass Grundschulkinder nicht nur im schulischen Raum bleiben, sondern auch ihre Umwelt erkunden und erobern können. Ein Ganztagsangebot muss auch dafür Zeit und Gelegenheit bieten.
Angesichts der vielfältigen Aufgaben und Ansprüche sind mir zwei Dinge besonders wichtig:
Erstens. Wir brauchen klare Qualitätskriterien, wo es hingehen soll. Darum hoffe ich auf baldige Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe und nachfolgend auf den Gesetzentwurf aus dem BMFSFJ.
Zweitens dürfen wir aber auch nicht Opfer der eigenen Perfektionsansprüche werden. 2025 ist nicht mehr weit weg. Eine große Menge Geld ist bereits im Haushalt eingestellt. Darum heißt es jetzt auch: Loslegen und dabei flexibel bleiben!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In den beiden letzten Jahren habe ich Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in Bayerisch-Schwaben besucht. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung macht ihnen Sorgen. Sie sehen aber auch die berechtigten Forderungen der Eltern, die Bedarfe der Kinder und die Wünsche der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Sie brauchen deshalb schnell Rechtssicherheit und Mittel für die anstehenden Investitionen. Ermutigend ist dabei: Wir haben fast überall gute Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit, der Schulsozialarbeit, der kulturellen Kinder- und Jugendbildung. Dieses große Kapital der selbstorganisierten und ehrenamtlichen Arbeit darf nicht verloren gehen zugunsten einer 08/15-Betreuung ohne Fantasie und Mitsprache.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es wird eine große kommunale Herausforderung, hier mit Vernetzung und verlässlicher Finanzierung eine bunte Landschaft zu erhalten und auszubauen.
Schließlich: Den Anspruch von Kindern auf gutes Aufwachsen, Bildung, Förderung und Beteiligung können wir auch stärker machen, wenn wir ihn endlich in das Grundgesetz schreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, auch damit können Sie unserem gemeinsamen Anliegen der guten Ganztagsbildung noch mehr Schwung geben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der FDP der Kollege Matthias Seestern-Pauly.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7468979 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 173 |
Tagesordnungspunkt | Ganztagsbildung im Grundschulalter |