10.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 173 / Zusatzpunkt 9

Christine Lambrecht - Aktuelle Stunde – Extremismus bekämpfen

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Charakter zeigt sich in der Krise.“ Unsere Demokratie hat sich in der Coronakrise sehr charakterfest gezeigt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik mussten wir die Freiheit von so vielen Menschen so schmerzlich einschränken. Doch unsere Demokratie hat diese gewaltige Herausforderung gemeistert: ruhig, besonnen und mit Augenmaß, allein zum Schutz von Leben und Gesundheit. Unser demokratisches Gemeinwesen war lernfähig. Gab es neue wissenschaftliche Erkenntnisse, haben wir die Maßnahmen angepasst. Die gerichtliche Kontrolle hat durchgehend funktioniert. Die Maßnahmen wurden überwiegend von den Gerichten bestätigt. Wenn ausnahmsweise einmal nicht, dann wurden sie korrigiert. Und die demokratische Debatte? Sie war so lebhaft wie selten. Wann können wir die Maßnahmen endlich lockern? Brauchen wir eine Maskenpflicht? Wenn ja, wo? Was bedeutet die Kontaktbeschränkung für die Familien? All das und vieles mehr wurde ausgiebig und energisch diskutiert: in Zeitungen, in Kneipen, im Internet und auf Demos, zustimmend und kritisch. Wir können mit Fug und Recht stolz sein auf diese Demokratie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eines kann ich Ihnen versichern: Wir sind stärker als der Hass und die Hetze von irgendwelchen Extremisten;

(Beifall bei der SPD)

denn auch unsere Gesellschaft hat sich in dieser Krise sehr charakterfest gezeigt. Wir erleben eine beeindruckende gesellschaftliche Solidarität. Die Menschen haben ihre Gewohnheiten aus Einsicht geändert. Sie haben sich aus Überzeugung eingeschränkt, und zwar, um sich gegenseitig vor dem gefährlichen Virus zu schützen.

(Beifall bei der SPD)

Neun von zehn Menschen stehen hinter den Maßnahmen zum Schutz vor Corona. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Unser gesellschaftlicher Zusammenhalt ist in dieser Krise sogar noch gewachsen. – Die Menschen müssen wegen der Pandemie große Opfer bringen. Umso beeindruckender finde ich diese Solidarität, diesen Zusammenhalt in diesen schwierigen Zeiten.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen, verehrte Bürgerinnen und Bürger, aus tiefstem Herzen: Danke für diese Solidarität.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, diese solidarische Mehrheit ist nicht laut und aggressiv, sie ist rücksichtsvoll und friedliebend. Diese solidarische Mehrheit schafft es daher nur selten auf die Titelseiten. Von ihr gehen auch keine aufwühlenden Bilder um die Welt. Heute möchte ich diese solidarische Mehrheit würdigen; denn ich bin es leid, ich bin es wirklich leid, dass eine extremistische Minderheit so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wer ist denn diese solidarische Mehrheit? Es sind die neun von zehn Menschen in Deutschland, die sich zu unserem Grundgesetz bekennen: zu Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat. Es sind die Menschen, die, wie es der Bundespräsident auf den Punkt gebracht hat, die Probleme nicht nur benennen und mit dem Finger auf andere zeigen, sondern die sich auf die Problemlösung konzentrieren, die mit anderen gemeinsam die Dinge zum Besseren verändern wollen. Das ist diese solidarische Mehrheit. Es sind die Eltern, die ihre Kinder zu Toleranz, Mitmenschlichkeit und Respekt erziehen, und alle, die sich tagein, tagaus bemühen, einen konstruktiven Beitrag – einen konstruktiven Beitrag! -

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

zu leisten. Ich kann all diejenigen nicht hier aufzählen.

Diese solidarische Mehrheit ist keineswegs homogen, meine Damen und Herren. Sie ist bunt, und sie ist vielfältig, nicht nur in ihren politischen, in ihren gesellschaftlichen und religiösen Überzeugungen. Sie ringt um den richtigen Weg, und sie streitet, und zwar lebhaft. Aber in einem ist sich diese solidarische Mehrheit einig: Es gibt keine Toleranz für Hass, Hetze und Menschenfeindlichkeit. Es gibt null Toleranz gegenüber Extremisten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE])

Daher steht diese solidarische Mehrheit auch geschlossen hinter den Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes ihren Kopf hinhalten, um unsere Freiheit, unsere Sicherheit, unsere Demokratie gegen Extremisten zu verteidigen, nämlich hinter den Polizistinnen und Polizisten, die sich einer aufgestachelten Meute mutig und entschlossen entgegenstellen, vor dem Reichstag und auch auf den Straßen von Connewitz oder sonst wo, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Und deswegen, verehrte Polizistinnen und Polizisten, auch dafür ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, unsere Demokratie und unsere Gesellschaft sind stark und charakterfest. Aber wenn Rechtsextremisten vor dem Reichstag den Aufstand proben,

(Zurufe von der AfD: Oh!)

wenn krude Verschwörungstheorien zu Corona Hand in Hand gehen mit antisemitischer und rassistischer Hetze, dann müssen wir alarmiert sein. Denn zu oft mussten wir erleben, wie dieser Hass zum Nährboden für schreckliche Gewalttaten wurde: der Terror des NSU, der Mord an Walter Lübcke, die Anschläge von Halle und Hanau. Seit der Wiedervereinigung haben Rechtsextremisten mehr als 200 Menschen getötet. Das ist unerträglich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Juni haben wir hier im Bundestag das Gesetzespaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität beschlossen. Damit können Polizei und Justiz konsequent gegen Gewalthetze vorgehen. Das Bundeskriminalamt rüsten wir personell in diesem Kampf auf, und zwar deutlich. Mit dem Pakt für den Rechtsstaat werden in dieser Legislaturperiode 2 000 Stellen für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte geschaffen. So stärken wir Polizei und Justiz. Und so stärken wir die Menschen, die tagein tagaus ihren Kopf hinhalten, um unsere Freiheit, unsere Sicherheit, unsere Demokratie zu verteidigen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Mein Kollege Krings hat eben aufgefordert, konkret zu werden, und gefragt, was wir denn tun können. Dabei ist ihm der Verfassungsschutz eingefallen. Ich glaube, wir müssen auch noch einen anderen Blick auf die Dinge haben. Wir müssen nämlich dafür sorgen, dass die Menschen in diesem Land gar nicht erst in die Fänge von Extremisten, Rassisten und Antisemiten geraten.

(Uli Grötsch [SPD]: Sehr richtig!)

Das geht nur mit zivilgesellschaftlichem Engagement, mit Aufklärungs-, Bildungs- und Erziehungsarbeit. Daher brauchen wir – da werde ich jetzt sehr konkret –jetzt das Demokratiefördergesetz, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin überzeugt: Eine stetige, verlässliche Demokratieförderung ist auf lange Sicht die stärkste Waffe im Kampf gegen Hass, Hetze und extremistische Gewalt; für eine solidarische Gesellschaft und für eine charakterfeste Demokratie, auch in Zukunft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der FDP die Kollegin Linda Teuteberg.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7469000
Wahlperiode 19
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde – Extremismus bekämpfen
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta