Sören PellmannDIE LINKE - Aktuelle Stunde – Extremismus bekämpfen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.
Das sagte der Autor und Holocaustüberlebende Primo Levi in seinen warnenden Worten, als er mahnte, eine schleichende Wiederkehr von Nazismus, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus schon im Aufkommen zu verhindern. Gewiss, Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins, doch fest steht: Über das Anfangsstadium sind Neonazismus und Rechtsradikalismus in unserem Lande weit hinaus.
Frech und anmaßend schickten sich unter den Fahnen des Kaiserreichs, die ja traditionell in der rechten Szene nur die Ersatzsymbole verbotener nazistischer Symbole sind, Rechtsradikale an, gar die Stufen des Bundestages und mithin der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik zu stürmen. Damit haben sie nicht nur symbolisch eine neue Stufe der Herausforderung der Ordnung der Bundesrepublik erreicht. Sie nutzten in gefährlicher Weise die Demonstrationen gegen die Pandemiemaßnahmen, um darin ihren Ungeist zu verbreiten, und viele – viele – sahen weg oder machten sich gar mit ihnen gemein. Das ist die neue Qualität dieser Bedrohung.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Gebäude, in dem wir uns hier befinden, war ein Symbol für die Demokratie Weimars, aber auch für deren Zerstörung. Die Bilder des 29. August 2020 müssen ein Weckruf für alle Demokratinnen und Demokraten in unserem Land sein.
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Ja, wir haben auch weitere Probleme politisch motivierter Gewalt in unserem Land. Diese müssen wir – da werden wir uns nicht scheuen – ausgiebig thematisieren. Nie jedoch werden wir deshalb die größte Bedrohung des Friedens in unserem Lande relativieren lassen: Was zum NSU-Terror, zu den Verbrechen von Hanau, Halle und München führte und, nicht zu vergessen, schon lange zuvor zu den Taten von Mölln und Solingen, zu über 200 Todesopfern seit 1990, das sind Rechtsradikalismus und Neonazismus.
Jetzt könnten wir das Problem weiter erörtern, aber der Titel dieser Aktuellen Stunde ist anders gewählt – und das ganz bewusst, und das empfinde ich als Problem. Bereits wenige Tage nach dem Bewusstwerden der rechten Bedrohung auf den Stufen des Bundestages, dieses Hohen Hauses, lag der bundesweite mediale Fokus auf den sogenannten Krawallnächten in meiner Heimatstadt und meinem Wahlkreis Leipzig. Dort wurde im Leipziger Osten in der Ludwigstraße 71 – sie befindet sich übrigens nicht in Connewitz – ein Haus besetzt, welches trotz drückender Wohnungsknappheit und Mangel an bezahlbarem Wohnraum über 20 Jahre leer stand.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Und dann ist es in Ordnung, so was?)
Die Folgen sind Ihnen bekannt: Räumung, drei Tage Proteste, beginnend im Leipziger Osten, hin nach Connewitz, inklusive gewalttägiger Auseinandersetzungen gegenüber der Polizei und Sachbeschädigungen. Die Ereignisse in diesen Tagen habe ich persönlich erlebt.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Mitgemacht? – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Ich möchte an dieser Stelle den Einsatzkräften vor Ort – hören Sie gut zu! – für ihr Handeln ausdrücklich meinen Dank aussprechen.
Auch an dieser Stelle wiederhole ich klar – und da gibt es keine zwei Meinungen –: Die Linke ringt um gesellschaftliche Mehrheiten für eine soziale, eine friedliche und eine demokratische Politik. Diese Gewaltexzesse behindern, dass wir unsere Ziele erreichen. Sie haben in einem demokratischen Staat nichts verloren!
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wer sich hierzu hinreißen lässt, kann nicht an unserer Seite für diese Ziele streiten.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Bei der Einschätzung der Ursachen für die Gewalt in Leipzig und die notwendigen Schlussfolgerungen gehen die Meinungen allerdings auseinander. Konservative fordern nach jeglichen Krawallen sehr schnell reflexhaft mehr Polizei und Justiz und sparen bei der Brandmarkung insbesondere des Stadtteils Connewitz nicht mit bürgerkriegsähnlichen Berichten. Betrachten wir die konkrete Politik der CDU in Sachsen, dann sehen wir: In den letzten Jahren wurde die Spar-Axt insbesondere bei Polizei und Justiz angesetzt. Die Forderungen der Aktuellen Stunde heute können wir insbesondere für Sachsen teilen und erwarten insbesondere Handeln der Regierung in Dresden.
Bleiben wir beim Abgleich von medialem Postulat und den Meinungen einzelner Vertreterinnen hier im Haus mit der Realität. Ich halte die direkte und indirekte Gleichmacherei von Autonomen und der übergroßen Mehrheit von politisch links gesinnten Menschen innerhalb und außerhalb auch meiner Partei, die grundlegend friedlich sind und auch friedlich agieren, für einen schweren Fehler.
(Beifall bei der LINKEN)
Verallgemeinerungen, Pauschalisierungen, Auslassungen sowie Kriminalisierung ganzer Stadteile helfen uns nicht weiter. Vielmehr müssen Gewalt, Aggression und Steinwürfe gegen Polizeibeamte eher als Symptom denn als Ursache verstanden werden.
Ich will an dieser Stelle insbesondere auf das Thema Wohnen – es gibt hier einen Zusammenhang – eingehen; es zumindest benennen. Der Bestand der Sozialwohnungen befindet sich auf einem historischen Tiefstand – das war ein Mitauslöser für diese Situation –, obwohl Sozialwohnungen gerade angesichts der Mietenexplosion dringend gebraucht werden. Hier haben wir ein Problem in den Großstädten, und auch hier stiehlt sich der Bund immer mehr aus der Verantwortung.
Abschließend noch ein kleiner persönlicher Einblick. Leipzig ist eine stolze Bürgerstadt. Das Gewandhaus, die Leipziger Messe sind weltbekannt. Unsere Sportvereine, aber auch der Stadtteil Connewitz gehören zu Leipzig wie Johann Sebastian Bach. Gern lade ich Sie alle nach Leipzig und nach Connewitz ein, um es gemeinsam anzusehen und sich eine persönliche Meinung zu bilden. Sie werden sehen und erleben, dass die hier geführten Debatten nicht selten an der Realität vorbeigehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der LINKEN: Bravo!)
Der Kollege Dr. Konstantin von Notz hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7469003 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 173 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde – Extremismus bekämpfen |