10.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 173 / Tagesordnungspunkt 15

Friedrich StraetmannsDIE LINKE - Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren und Kollegen! Wir beraten heute über mehrere Vorlagen zum Thema „Entschädigung für zu Unrecht erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen“ oder einfacher gesprochen: zur Haftentschädigung. Wir begrüßen, dass der Bundesrat die Entschädigungsleistungen erhöhen möchte. Dies geht uns jedoch nicht weit genug, weswegen wir Linken einen eigenen Antrag vorlegen.

Wir beantragen, die Situation von Menschen zu verbessern, die zu Unrecht in Haft saßen. Wir fordern eine gestaffelte Entschädigung, die bei 150 Euro pro Tag beginnt und auf bis zu 250 Euro pro Tag steigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Staffelung ist uns wichtig, weil die psychischen und physischen Schäden bei längerer Haft meist deutlich höher sind. Eine Inhaftierung hat einen schwerwiegenden Einfluss auf das Leben eines Menschen, egal ob sie rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Auch wer zu Unrecht in Haft saß, ist oft sein Leben lang Vorurteilen ausgesetzt, verliert Arbeit und soziale Kontakte.

Das Problem zeigt sich besonders drastisch an dem folgenden Fall: Monika de Montgazon wurde 2005 wegen Mordes an ihrem Vater vom Landgericht Berlin mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt. Das Gericht ging davon aus, dass sie ihren Vater durch Brandstiftung umgebracht hatte. Hierbei stützte es sich auf ein Gutachten des Landeskriminalamts. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil – einstimmig und ohne Verhandlung – auf. Aufhebungsgrund war die unzureichende tatrichterliche Würdigung von widersprüchlichen Gutachten; denn das LKA-Gutachten erwies sich als fehlerhaft. Das muss man sich mal vor Augen führen: von der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zur Aufhebung ohne Verhandlung. So einfach geht das manchmal. Insgesamt saß Frau de Montgazon durch dieses Fehlurteil fast 900 Tage in Haft. Nach dem Urteil konnte sie nicht mehr als Arzthelferin weiterarbeiten. Sie versuchte, eine Diskothek zu betreiben, und scheiterte. Ich zitiere aus der Wochenzeitung „Die Zeit“:

Kurz nach Silvester 2016 wurde die 61-Jährige tot in ihrer völlig verwahrlosten Wohnung gefunden. Es war kein gewaltsamer Tod. Niemand hatte sie erschlagen, erwürgt oder vergiftet. Sie war nur – aufgrund systematischer Schlamperei und Arroganz – aus ihrem sozialen Gefüge katapultiert worden.

Ein drastisches Beispiel, aber solche Fälle gibt es tatsächlich, und das ist eines sozialen Rechtsstaats nicht würdig.

(Beifall bei der LINKEN)

Daher – so finden meine Fraktion und ich – müssen solche Fehlentscheidungen auch Konsequenzen nach sich ziehen, die für Justiz und Verwaltung spürbar sind und dadurch zu einer sorgfältigeren Entscheidungsfindung zwingen.

Darüber hinaus schlagen wir die Einrichtung von Anlaufstellen vor, vergleichbar mit Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfern.

Neben der materiellen Entschädigung fordern wir eine Pflicht zur offiziellen staatlichen Entschuldigung, die auf Wunsch zu veröffentlichen ist. Das ist angesichts des Stigmas einer zu Unrecht verbüßten Freiheitsstrafe das Mindeste, was wir als Staat tun sollten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Personen

Dokumente

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Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7469239
Wahlperiode 19
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
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