10.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 173 / Tagesordnungspunkt 15

Karl-Heinz BrunnerSPD - Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen

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Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haft – ob Untersuchungshaft oder Strafhaft –, die zu Unrecht erlitten wurde, ist das Schlimmste, was einem Menschen in einem Staat geschehen kann. Ein schlimmeres Vergehen an Menschen durch einen Staat kann ich mir nicht vorstellen: Stigmatisierung nicht nur dadurch, in Haft zu sein, den Arbeitsplatz zu verlieren, das Stigma der Bevölkerung und der Nachbarschaft zu haben und gleichzeitig soziale Kontakte zu verlieren und zu wissen, dass man eigentlich allein ist. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass der Bundesrat die Kraft gefunden hat, die kleine Zahl zwei durch die Zahl sieben zu ersetzen; denn mehr steht in dem Gesetz auch nicht. Die Entschädigung pro Tag soll von 25 Euro auf 75 Euro für zu Unrecht erlittene Haft erhöht werden. Das ist richtig so. Das ist gut so. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit, und das ist nur ein Teil dessen, was die Menschen erlitten haben.

Ich glaube, mit dieser Erhöhung gehen wir nur einen ersten Schritt. Wenn man den Mond besteigen würde wie Neil Armstrong, würde man sagen: Ein kleiner Schritt für den Menschen, ein großer Schritt für die Menschheit, wenn die Entschädigung von 25 auf 75 Euro angehoben wird. Aber wir sollten in den nächsten Wochen und Monaten darüber diskutieren – ich glaube, das ist den Schweiß der Edlen wert –, wo wir nachbessern können. Der Kollege Müller hat zu Recht angesprochen, dass die rechtsbeistandliche Vertretung eine notwendige Maßnahme ist, für die wir uns alle einsetzen sollten. Wir sollten aber auch darüber nachdenken, ob die derzeitigen Regelungen in §§ 4 und 5 des StrEG wirklich der Realität entsprechen. Dort heißt es – ich verkürze das –, dass der Strafgefangene, der im Ermittlungsverfahren lügt, damit rechnen muss, eingesperrt zu werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer Angst davor hat, zu Unrecht verurteilt zu werden, wird auf Teufel komm raus lügen und alles machen, um der Haft zu entgehen. Das ist menschlich, das ist normal, und ein sozialer Rechtsstaat muss die Größe haben, damit umzugehen, dass seine Bürgerinnen und Bürger in der Stunde der bittersten Not vor Behörden lügen. Verabschieden wir uns von dem obrigkeitsstaatlichen Denken, dass jeder Bürger im Ermittlungsverfahren aktiv mitarbeiten muss. Nicht jeder ist Jurist und weiß, was auf ihn zukommt. Versuchen wir, den Menschen nicht nur Hoffnung zu geben, sondern als Staat auch die entsprechende Größe zu zeigen, zu entschädigen und Regelungen dafür zu schaffen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brunner. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7469241
Wahlperiode 19
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
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