10.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 173 / Tagesordnungspunkt 22

Jochen HaugAfD - Änderung des Bundeswahlgesetzes

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung vorab, Herr Frieser: Ich bin jetzt schon ein bisschen erstaunt. Sie sprechen hier an, es werde nichts an das Bundesinnenministerium delegiert und der Gewaltenteilungsgrundsatz sei gewahrt. Es ist natürlich genau das Problem, dass das hier in keiner Weise der Fall ist; aber darauf werde ich gleich in meiner Rede eingehen.

Meine Damen und Herren, Demokratie lebt von Präsenz, von der Zusammenkunft zur selben Zeit am selben Ort, sei es in einer Versammlung der Bürger, sei es in einer Versammlung der Abgeordneten im Parlament oder in einer Versammlung der Partei. Hier werden die gemeinsamen Angelegenheiten beraten und entschieden. Folgerichtig schreibt auch das Bundeswahlgesetz vor, dass Kandidaten zur Bundestagswahl in Versammlungen bestimmt werden müssen. Die Koalitionsfraktionen legen nun im Zuge der Coronakrise einen Gesetzentwurf vor, der die Möglichkeit der Abweichung hiervon schaffen will.

Was genau steht in diesem Gesetzentwurf? Das Bundesinnenministerium soll im Falle einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses – wir alle wissen: es ist an Corona gedacht – ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung Regelungen zur Benennung von Wahlbewerbern ohne Versammlungen zu treffen. Voraussetzung soll die Feststellung des Wahlprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages sein, dass die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich sei.

Nun ist sicherlich nichts dagegen einzuwenden, für Krisensituationen Notfallregelungen zu treffen. Was Sie hier heute aber vorlegen, ist verfassungswidrig.

(Beifall bei der AfD)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der parlamentarische Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selber treffen. Er darf sie nicht anderen Normgebern oder der Exekutive überlassen. Die Delegation wesentlicher Entscheidungen käme einem Akt der Selbstentmachtung gleich.

Eine Neuregelung des Wahlrechts, genauer gesagt: der Kandidatenaufstellung – und hier geht es um eine Neuregelung –, ist ein Paradebeispiel für die Wesentlichkeit unter Grundrechts- und Demokratieaspekten. Es ist eine Operation am Herzen der Demokratie. Sie muss vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst verantwortet werden. Keinesfalls darf sie der freien Rechtsschöpfung durch die Exekutive überlassen werden. Somit scheidet eine Regelung durch Verordnungsermächtigung, wie sie hier von Ihnen vorgesehen ist, bereits grundsätzlich aus.

(Beifall bei der AfD)

Nun könnte man die Prüfung des Gesetzentwurfs an dieser Stelle beenden, wenn er nicht auch noch in sonstiger Weise völlig missraten wäre. Er verstößt nämlich auch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.

Nur einmal angenommen, eine Regelung durch Rechtsverordnung wäre hier rechtlich zulässig. Dann müssten nach Artikel 80 Grundgesetz Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Mit anderen Worten: Der parlamentarische Gesetzgeber müsste der Verwaltung ein Programm vorgeben. Daran fehlt es hier völlig. Der Gesetzestext selbst verliert kein einziges Wort darüber, auf welchem Wege die notwendigen Aufstellungsversammlungen ersetzt werden sollen. Lediglich in einem kurzen Absatz der Begründung sind Alternativen vage angedeutet, etwa eine Vorstellung der Kandidaten auf schriftlichem oder elektronischem Wege mit anschließender Briefwahl. Über die Praktikabilität ähnlicher Dinge: kein Wort. Dies kann dem Bestimmtheitsgrundsatz selbstverständlich nicht Genüge leisten.

Man muss sich das im Übrigen vor Augen führen: Sie wollen hier die Möglichkeit der Abweichung von demokratischen Spielregeln einführen, die sich über Jahrzehnte herausgebildet haben, und dann sagen Sie im Gesetzestext nicht einmal näherungsweise, wie Sie sich ein Aufstellungsverfahren ohne Präsenzveranstaltung vorstellen. Das ist grotesk.

(Beifall bei der AfD)

Was bleibt abschließend zu sagen? Der vorliegende Gesetzentwurf enthält in einem der sensibelsten Bereiche der Demokratie quasi eine Blankovollmacht für das Bundesinnenministerium. Er verstößt gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz und das Demokratieprinzip.

Wir lehnen ihn selbstredend ab.

Danke schön.

(Beifall bei der AfD)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Haug. – Nächster Redner ist der Kollege Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7469309
Wahlperiode 19
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Änderung des Bundeswahlgesetzes
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