10.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 173 / Tagesordnungspunkt 22

Mahmut ÖzdemirSPD - Änderung des Bundeswahlgesetzes

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Inhalt des Gesetzentwurfs wurde schon einiges gesagt, und abermals dazu vorzutragen, halte ich nicht für notwendig.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Du hast doch sieben Minuten!)

Deshalb möchte ich Ihnen lieber die Beweggründe meiner SPD-Bundestagsfraktion mitteilen, warum wir dieses Änderungsgesetz einbringen.

Die Covid-19-Pandemie hat dazu geführt, dass wir in vielen Lebensbereichen unsere Gewohnheiten ändern mussten, und sie hat das öffentliche Leben teilweise zum Erliegen gebracht. Wir haben Entscheidungen in diesem Hause allerdings immer ohne Unterbrechungen und auch ohne nennenswerte Brüche treffen können. Die Parteiendemokratie war immer intakt, und Wahlen dürfen ebenfalls unter keinen Umständen beschränkt werden. Vielmehr ist es auch unsere Aufgabe als Hort der Demokratie, hier die entsprechenden sicheren Lösungen dafür zu finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde, wir haben gelernt, dass die Durchführung größerer Versammlungen, wie zum Beispiel Mitgliederversammlungen oder Parteitage, durch die derzeitige Situation und insbesondere auch durch die Verordnungen in den Ländern zu Versammlungen einerseits organisatorisch, andererseits aber natürlich auch gesetzlich und finanziell unmöglich wird bzw. vor schwierigste Herausforderungen gestellt ist. Die Verfassung kennt solche Lagen als Naturkatastrophen oder Ereignisse von ähnlich höherer Gewalt.

Diese Änderung des Bundeswahlgesetzes ist jetzt der Versuch, einen pragmatischen Lückenschluss zu finden, um mehr Rechtssicherheit hinzukriegen, und Rechtssicherheit für die Bundestagswahlen und auch für deren Vorbereitung ist unsere vornehmste Pflicht hier in diesem Haus.

Ich finde, wir müssen für 2021 – und das ist das oberste Gebot – gucken: Was regelt das Bundeswahlgesetz eigentlich? Das Bundeswahlgesetz regelt, wann wir Bewerberinnen und Bewerber aufstellen dürfen, wann wir Vertreterinnen und Vertreter wählen dürfen, um die Versammlungen zu bevölkern, die sie wählen sollen, und wann diese Versammlungen frühestens stattfinden können.

Herr Haug, Sie haben gerade davon gesprochen, dass das nicht hinreichend bestimmt sei. Ich weiß nicht, ob Sie das Grundgesetz nicht gelesen und das System von Gesetz und Verordnungsermächtigung nicht verstanden haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Enrico Komning [AfD]: Er ist Volljurist!)

Aber in § 52 Bundeswahlgesetz steht die Verordnungsermächtigung, und diese sorgt dafür, dass technische Anweisungen zum formellen Wahlrecht auch vom Bundesinnenministerium getroffen werden können.

Mit diesem Änderungsgesetz verfeinern wir das Regelungsgefüge, und wir bauen zusätzlich eine demokratische Absicherung ein – und das Ganze eben für den Fall, dass ganz oder teilweise eine Unmöglichkeit besteht, solche Versammlungen bzw. Veranstaltungen durchführen zu können. Derartige Unmöglichkeiten dürfen Parteien nicht der Möglichkeit berauben, Bewerberinnen und Bewerber aufzustellen.

(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])

Wenn Versammlungen von Anwesenden nicht möglich sind – beispielsweise aus Gründen des Gesundheitsschutzes –, müssen wir hier neue Wege einräumen und auch gehen. Viel mehr noch: Wir müssen in jeder Situation und in jeder Lage die Parteiendemokratie, die Willensbildung innerhalb der Parteien, angepasst ermöglichen.

(Karsten Hilse [AfD]: Ihr wollt schon vorsorgen! Echt mal! Das ist so durchsichtig!)

Ich finde, der neue Absatz 4 genügt diesen Ansprüchen, die ich gerade formuliert habe und die die SPD-Bundestagsfraktion mitträgt.

Wir haben die Regelung auf die Aufstellung von Wahlbewerberinnen und Wahlbewerbern begrenzt und sind im Rahmen eines gestuften Verfahrens auch gerne dazu bereit, den Bundestag anstelle des Wahlprüfungsausschusses einzusetzen bzw. den Wahlprüfungsausschuss nachgelagert vorzusehen.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Sehr großzügig!)

Das alles sind Einlassungen und Diskussionsentwürfe im Rahmen der ersten Lesung. Kein Gesetzentwurf verlässt dieses Haus so, wie er reingekommen ist. Das ist die Struck’sche Regel, und daran halten wir Sozialdemokraten uns natürlich diszipliniert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])

Wir wollen eine bundeseinheitliche Regelung schaffen, damit in allen Bundesländern die gleichen Vorschriften gelten, aber wir wollen nicht, dass aufgrund von Coronaverordnungen irgendwelche Versammlungen in einem Bundesland möglich, aber woanders nicht möglich sind oder Parteien zu kreativen Regelungen greifen müssen. Was beispielsweise in Nordrhein-Westfalen jetzt durch eine Anpassung der Coronaregelungen möglich geworden ist, war in anderen Bundesländern nicht möglich, und das darf nicht sein. Wenn wir unsere Demokratie bundeseinheitlich zu jeder Zeit ins Werk setzen wollen, müssen wir hier als Bundesgesetzgeber auch tätig werden.

Gesetze sind keine Satzungen der Parteien. Es wäre geradezu widersinnig, wenn wir hier ein Gesetz machten und am Ende des Tages sich Parteien wieder zusammensetzen müssten, um ihre Satzungen anzupassen, um von dem, was im Gesetz steht, Gebrauch machen zu können.

Wer diesen zwei Sätzen gerade folgen konnte, dem möchte ich noch sagen: Eine Partei kann in einer Notlage – und nichts anderes als einen Notmechanismus wollen wir herstellen – vom Gesetz direkt Gebrauch machen. Die leitenden Gremien einer Partei müssen von diesen gesetzlichen Grundlagen unmittelbar Gebrauch machen dürfen.

Das ist ein Gesetzentwurf zur Gesetzesänderung, der Lehren aus der aktuellen Covid-19-Pandemie zieht.

(Thomas Seitz [AfD]: Welche Pandemie? – Lachen bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

– Humor am Abend,

(Enrico Komning [AfD]: Der war gut!)

auch wenn es schwarzer Humor ist!

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Brauner!)

– „Brauner“ Humor. Ich finde, das ist einfach die Verneinung von Wahrheiten; das muss man hier in diesem Haus, glaube ich, auch mal öffentlich machen. Das, was diese Kolleginnen und Kollegen hier machen, ist einfach die Verneinung der Wahrheit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hoffe inständig, dass wir von diesem Änderungsgesetz und von diesen Regelungen nie Gebrauch machen müssen.

(Karsten Hilse [AfD]: Ihr widersprecht euch!)

– Ich würde meine Rede gerne fortsetzen.

(Karsten Hilse [AfD]: Können Sie gerne machen!)

Sie können gleich gerne weiterpöbeln, aber ich würde gerne meine Rede halten, und Sie können sich dem demokratischen Diskurs im Ausschuss gerne stellen.

Das ist ein Notmechanismus. Er hat enge Voraussetzungen, einen begrenzten Anwendungsbereich und eine demokratische Absicherung durch den Wahlprüfungsausschuss, damit er eben nicht zweckentfremdet werden kann.

Die erste Lesung ist zugleich immer auch ein erster Aufruf des Themas, und weitere Themen liegen weiterhin auf dem Tisch. Ich spreche nur mal an, dass vereinsrechtliche Regelungen und Anpassungen insbesondere für Parteien weiterhin notwendig sind, insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung. Ich sehe, dass auch die Selbstvergrößerung des Deutschen Bundestages nach der jüngsten Einigung im Koalitionsausschuss als ein weiteres Thema für diesen Regelungskomplex auf dem Verhandlungstisch liegt,

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie ja total versagt!)

und ich sehe auch, dass wir Lücken im Parteienrecht – und das wird die AfD-Fraktion sicherlich besonders interessieren – zu schließen haben und schließen wollen, insbesondere was den Missbrauch von Wahlwerbung, Unterstützung durch Dritte und Finanzierung durch Dritte betrifft. Bei diesem Thema würde ich mir von der AfD den gleichen Eifer wünschen, den Sie heute gezeigt haben, und dass Sie in Sachen Transparenz im Parteienrecht eng an unserer Seite in diesem Haus streiten.

Ich finde, wir haben über Parteigrenzen hinweg sehr gute überparteiliche Gespräche zu diesem Thema angestoßen. Dass sich eine bestimmte Partei nicht sachdienlich an diesem Diskurs beteiligen will, weil sie Wahrheiten verneint, nehme ich hier zur Kenntnis.

Herr Kollege.

Ansonsten bitte ich um konstruktive Diskussionen im Ausschuss. Ich freue mich bereits jetzt auf die zweite und die dritte Lesung und bedanke mich beim Präsidenten, dass er mir 25 Sekunden zusätzlich gewährt hat.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Jetzt waren es 30 Sekunden, aber das ist völlig egal. – Vielen Dank, dass Sie zum Ende gekommen sind, Herr Kollege Özdemir.

Als nächster Redner erhält von mir der hellwache Kollege Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7469310
Wahlperiode 19
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Änderung des Bundeswahlgesetzes
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