11.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 174 / Zusatzpunkt 24

Joachim Stamp - Konsequenzen aus dem Brand in Moria

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Vielen Dank, Frau Präsidentin, auch für die freundliche Begrüßung. – Meine Damen und Herren! Ich werde nicht auf die erbärmlichen Provokationen des Abgeordneten Curio eingehen; ich finde, dafür ist die Debatte zu ernst.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gottfried Curio [AfD]: Sie heucheln lieber weiter! Sie sind Gast, Herr Stamp!)

Meine Damen und Herren, die Lage auf Lesbos ist beschämend, und das war die Lage bereits vor dem Brand. Ich bin zweimal dort gewesen, zuletzt vor einem Monat. Ich bin auch viel in anderen Ländern unterwegs gewesen. Es ist für die Europäische Union nicht akzeptabel, dass wir Migranten schlechter versorgen, als das beispielsweise die Iraker mit den Jesiden machen oder als man in Jordanien mit syrischen Flüchtlingen umgeht. Das geht nicht, das ist für die EU inakzeptabel.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Bartsch, Sie als Linke geben allein der Europäischen Union die Schuld.

(Michel Brandt [DIE LINKE]: Auf Lesbos? Ja!)

Sie zitieren hier die Bibel und Jesus Christus und nehmen für sich eine Moral in Anspruch, zu der ich dann sagen muss: Es ist Ihr Genosse Tsipras gewesen, der in einer Koalitionsregierung mit einer Art griechischer AfD dafür verantwortlich ist, dass Moria zu einem solchen Lager geworden ist. Das gehört zur Wahrheit dazu.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Michel Brandt [DIE LINKE])

Wenn Sie sich hier so moralisch positionieren, dann hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie dorthin fahren und sich selbst bei Herrn Tsipras für Verbesserungen einsetzen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der regiert schon lange nicht mehr! – Weitere Zurufe von der LINKEN)

– Ja, das ist für Sie schwer zu akzeptieren, Herr Bartsch.

(Zuruf von der LINKEN: Nein! Stimmt nur leider nicht!)

Aber wenn man sich hier moralisch so hinstellt, dann muss man vorher auch mit den Genossen dort gesprochen haben, meine Damen und Herren.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Woher wissen Sie eigentlich, dass wir das nicht gemacht haben? Da macht man sich kundig, ob das stimmt! – Michel Brandt [DIE LINKE]: Der EU-Türkei-Deal ist ein deutsches Projekt! Deswegen gibt es diese Hotspots!)

Herr Dr. Stamp, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?

Nein, ich würde jetzt gerne weiter ausführen. – Es ist auch ein Versagen der Europäischen Union, dass sie diese Entwicklung zugelassen hat. Es hat nicht an Warnungen gefehlt.

(Michel Brandt [DIE LINKE]: Deutsches Konzept, das Elend da!)

Wir haben auch seitens der Freien Demokraten – Fraktionsvorsitzender Christian Lindner und ich noch Anfang März – der Bundeskanzlerin geschrieben und auf die dramatischen Zustände hingewiesen und betont, wie wichtig es ist, dass es zu Veränderungen kommt.

Wir können uns, Herr Bundesinnenminister Seehofer, an die vollmundigen Ankündigungen erinnern, die es zur europäischen Ratspräsidentschaft gegeben hat – das gilt im Übrigen auch für Heiko Maas –, dass dieses Thema, die europäische Asylpolitik, an die Spitze der Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft kommen soll. Und passiert ist, meine Damen und Herren, bisher nichts, und wir haben bereits ein Drittel der Ratspräsidentschaft hinter uns.

(Beifall bei der FDP)

Das kann nicht unser Anspruch sein. Deswegen erwarte ich hier eine andere Aktivität. Es kann nicht sein, dass es erst jetzt nach einem Brand dazu kommt, dass Sie mit der Kommission über neue Einrichtungen auf der Insel nachdenken, dass die Sache jetzt überhaupt erst wieder ins Rollen kommt. Ich hätte von Ihnen erwartet, Herr Bundesinnenminister, dass Sie vom ersten Tag der Ratspräsidentschaft an reisen, dass Sie sich wirklich für eine neue Systematik in Europa einsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Jetzt geht es aber darum, dass wir zunächst eine Soforthilfe für obdachlose Menschen brauchen; das muss jetzt im Vordergrund stehen. Ich kann sagen: Nordrhein-Westfalen hilft mit Medikamentenspenden. Wir haben logistische Unterstützung angeboten, und wir sind auch bereit, besonders Gefährdete – Familien mit kleinen Kindern, Kranke, auf sich allein gestellte Frauen – zu evakuieren. Auch aus anderen Bundesländern und anderen Kommunen kommen entsprechende Signale.

Herr Bundesinnenminister, Sie haben recht – das möchte ich ausdrücklich sagen –, dass nicht jede Kommune und nicht jedes Land hier einfach eine eigene Flüchtlingspolitik machen kann. Das geht weder rechtlich, das geht im Übrigen auch nicht logistisch, und es ist auch nicht politisch klug; denn wir können keinen deutschen Sonderweg gehen. Wir brauchen Verbündete in Europa.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber ich würde Sie trotzdem herzlich bitten – ich habe Sie dazu auch vor zwei Tagen angeschrieben –, dass wir uns als Bund und Länder hier auf eine gemeinsame Linie verständigen. Das hilft letztendlich auch der souveränen Argumentation der Bundesrepublik Deutschland, um europäische Partner zu finden. Es ist positiv, dass sich mit Blick auf die 400 Minderjährigen jetzt zumindest in ganz kleinem Rahmen eine Entwicklung in diese Richtung andeutet.

Was ich dabei übrigens erschreckend finde, ist, dass Österreich – von den Grünen mitregiert – nicht bereit ist, einen einzigen Migranten von Moria aufzunehmen.

(Beifall bei der FDP – Christian Lindner [FDP]: Hört! Hört! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie das jetzt den Grünen in die Schuhe schieben, oder was? Sie wissen doch, dass die sich darüber streiten in der Regierung! Was soll das? Diese Regierung streitet darüber, und das wissen Sie ganz genau! Lassen Sie den Wahlkampf hier raus!)

– Wenn Sie jetzt dazwischenrufen, dann sage ich Ihnen ganz ehrlich: Vielleicht wäre es sinnvoller und würde den Menschen in Moria mehr helfen, Sie würden eine Resolution in einem Stadtrat weniger machen und stattdessen mal nach Wien fahren, um dort mit Ihrer Schwesterpartei zu sprechen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen den Wahlkampf aus NRW hier rauslassen!)

Meine Damen und Herren, es muss um Humanität und Ordnung gehen. Wir können beides miteinander verbinden. Es ist wichtig, dass europäisches Recht auch umgesetzt wird. Heute Morgen hörte ich von einem Kollegen aus dem Europäischen Parlament, dass die EU-Kommissarin Johansson gestern im Innenausschuss einräumen musste, dass unter den Migranten in Moria 2 000 anerkannte Asylbewerber sind, die von dort nicht weggebracht wurden, sondern in Moria verbleiben mussten. Das ist skandalös! Dafür müssen wir Verantwortung übernehmen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen aber genauso – das gehört zur Ordnung eben auch dazu – die Griechen unterstützen und dafür sorgen, dass die EU-Kommission hier ein anderes Engagement bei der Beschleunigung der Verfahren zeigt. Wer kein Asylrecht bekommt, der muss in die Heimat zurückkehren, nach Möglichkeit mit freiwilliger Ausreise – da versucht IOM eine ganze Menge –, aber auch mit Rückführung.

Da in diesem gesamten Komplex offensichtlich niemand wirklich den Hut aufhat, wäre mein Vorschlag, zu überlegen, hier einen EU-Sonderbeauftragten einzusetzen, der auch mit der nötigen Autorität in der Lage ist, dort zwischen den verschiedenen Stellen und Akteuren zu vermitteln und das, was für Humanität und Ordnung benötigt wird, auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Bundesminister Seehofer, ich kann das als Vertreter des Bundesrates für die Länder sagen, ich sage es aber auch als Vertreter der Freien Demokraten: Wir sind bei einer Politik von Humanität und Ordnung an Ihrer Seite. Wir erwarten aber, dass Sie handeln, und wir erwarten, dass Sie mit anderem Engagement und mit anderem Tempo handeln. Das muss der Anspruch der Bundesrepublik Deutschland und unserer Ratspräsidentschaft sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7469393
Wahlperiode 19
Sitzung 174
Tagesordnungspunkt Konsequenzen aus dem Brand in Moria
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