11.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 174 / Zusatzpunkt 24

Frank SchwabeSPD - Konsequenzen aus dem Brand in Moria

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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich glaube, dazu muss man nichts sagen; das ist immer dieser Wettbewerb: Wer ist der größte Menschenverächter? Das ist bitter, aber das ist leider so.

Wir müssen gucken, wie wir mit der Lage konstruktiv umgehen, wie wir den Menschen am Ende helfen. Die Welt schaut auf Moria. Ich weiß nicht, ob Sie diese Rückmeldungen nicht bekommen aus Ihren Wahlkreisen. Auch Menschen, die sonst mit Migrationsthemen nicht so viel zu tun haben, melden sich und sagen: Leute, das ist doch erbärmlich, es ist doch nicht zu ertragen, dass Kinder dort jetzt unter diesen Bedingungen auf irgendwelchen Straßenkreuzungen hausen. – Das ist wirklich ein Fanal für einen Teil der Welt, der auf der Flucht ist, und ein Fanal für das Scheitern der Europäischen Union. Ich fürchte, die Bilder werden sich einbrennen wie das Bild des toten Alan Kurdi an der Küste.

Es ist gut, dass wir helfen – klar. Das Technische Hilfswerk ist auf dem Weg. Es ist auch gut, dass sich die EU einbringt. Aber bei allem Verständnis für die Europäische Union und für die Schwierigkeiten der Positionen – ich will gar nicht in Abrede stellen, dass Versuche gemacht werden, dort zu Regelungen zu kommen –: Es ist doch völlig klar, dass wir, wenn wir warten, bis das letzte Land mitmacht, wenn wir warten, bis am Ende auch noch Orban in Ungarn bereit ist, Menschen aufzunehmen, dieses Problem nicht lösen können und mit dieser Herausforderung nicht klarkommen. Dann werden wir die Europäische Union, jedenfalls als Wertegemeinschaft, verlieren. Das ist doch völlig klar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich bin auch dafür, dass man darüber reden muss, wie wir diese europäische Lage klären. Aber jetzt ist die Situation doch so, dass Nothilfe nötig ist. Wie wäre es denn in Deutschland? Wir wäre es denn, wenn bei Ihnen zu Hause in der Stadt ein Haus brennt? Was würde man dann tun?

(Dr. Gottfried Curio [AfD]: Nicht nach Afghanistan rein!)

Man würde doch nicht anfangen, darüber zu diskutieren, wer der Brandstifter war. Das kann man alles später diskutieren, aber zuerst geht es doch darum, Menschen in dieser erbärmlichen Situation zu helfen. Das ist das, was wir als Europäische Union, als Europa insgesamt, tun müssen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das müssen wir als Deutsche tun. Wir können lange darüber philosophieren, ob wir vorangehen oder nicht vorangehen; wir müssen es tun.

Ich will für die Sozialdemokratische Partei sagen: Es ist eine Schande, dass wir dazu nicht in der Lage sind. Als ich die Zahlen gelesen habe, dass 400 Kinder von den EU-Staaten bzw. 100 bis 150 Kinder von Deutschland aufgenommen werden, habe ich es nicht glauben mögen. Ich habe gehofft, dass wir in dieser Debatte heute zu einem anderen Ergebnis kommen. Ich hätte gerne einen anderen Redetext gehabt. Es ist wirklich eine Schande. Ich will für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sagen: Wir sind nicht bereit, einen Teil dieser Verantwortung auf unsere Rechnung zu übernehmen. Wir wollen, dass die Menschen in Deutschland aufgenommen werden. Wir ermahnen die deutsche Bundesregierung, andere Angebote zu machen, als es heute der Fall war.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es ist gerade darüber diskutiert worden, dass es in der Union eine Initiative gibt. Wir hören gleich Frau Motschmann. Wenn man einmal Adam Riese bemüht und all die Angebote von Ländern und Kommunen in Deutschland zusammenzählt, dann kommen wir auf die Bereitschaft, über 5 000 Menschen aufzunehmen. Es geht nicht darum, dass die Länder das alleine machen oder die Kommunen das organisieren; das muss der Bund organisieren. Das ist gar keine Frage. Aber dann muss man doch die Solidarität in Deutschland und in der Europäischen Union stärken, wenn die Menschen entsprechend bereit sind, so zu agieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was die Europäische Union angeht, ist doch völlig klar: Erstens, wir müssen Menschenleben retten, aber nicht, indem wir die Seenotrettung behindern, vielmehr müssen wir sie fördern und unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen zweitens Regelungen an den Außengrenzen. Wir müssen sehen, dass die Situation an den Außengrenzen geordnet wird. Man muss im Übrigen auch den Griechen sagen – bei allem Verständnis –, dass sie Völkerrecht und humanitäre Grundsätze einhalten müssen. Das tun sie in vielen Fällen nicht, schon unter der vorherigen Regierung zum Teil nicht, jetzt aber noch viel weniger. Auch das ist die Wahrheit. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir EU-weite Verteilungsregelungen bekommen. Da werden nicht alle mitmachen. Darauf werden wir nicht warten können. Aber es ist richtig, glaube ich, zu sagen: Wer sich nicht an der solidarischen Lösung beteiligt, der kann auch anderes von der Europäischen Union nicht erwarten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber noch einmal: Jetzt geht es gar nicht um die langfristige Lösung. Da warte ich gerne auf die Vorschläge vom 30. September. Jetzt geht es um Not und Elend sowie um Kinder, die sich in einer erbärmlichen Situation befinden. Ich finde, dass Deutschland agieren muss. Es ist am Ende Ihre Verantwortung, Herr Bundesinnenminister.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Abgeordnete Michel Brandt das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7469398
Wahlperiode 19
Sitzung 174
Tagesordnungspunkt Konsequenzen aus dem Brand in Moria
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