16.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 175 / Zusatzpunkt 1

Thomas LutzeDIE LINKE - Aktuelle Stunde - Demokratie und nationale Souveränität in Belarus

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Wochen gehen in Belarus Menschen auf die Straße, weil sie mit den Machthabern in Minsk mehr als unzufrieden sind. Es ist ein friedlicher Protest, der mit viel Kreativität und Entschlossenheit durchgeführt wird. Und es ist gut, dass wir uns hier im Parlament mit einer Ausnahme über die Bewertung dieser Proteste einig sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD] – Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Als Reaktion auf diese Proteste fällt den Machthabern nichts Besseres ein als brutale Gewalt. Demonstrationen werden niedergeknüppelt, Menschen werden verfolgt und verhaftet. Diese Gewalt ist strikt abzulehnen und durch nichts zu rechtfertigen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe im Interesse der Menschen in Belarus sehr, dass es zu einer friedlichen und demokratischen Lösung kommt. Ich bin aber leider nicht sehr optimistisch. Was passiert denn, wenn diese Protestbewegung nicht weiter in den Schlagzeilen vertreten ist? Was passiert, wenn sich die Machthaber durchsetzen und ihre Herrschaft noch repressiver gestalten? Es gibt heute viele Länder auf der Welt, bei denen wir wegschauen, bei denen wir gleichgültig geworden sind oder bei denen wir uns an Gewalt und Verbrechen gewöhnt haben. Menschenrechte sind aber unteilbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es stellt sich die Frage, was passieren muss. Dazu vier Punkte meinerseits:

Erstens: die Sanktionen. Richtig ist, dass die EU diesmal die Sanktionspolitik maßvoller einsetzt. In der Vergangenheit haben Sanktionen gegen die entsprechenden Staaten oft die Folge gehabt, dass die normale Bevölkerung stärker betroffen war als die Machthaber, die man treffen wollte.

(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Etwa in Belarus bis 2016? Die Machthaber waren alle jahrelang auf der Liste!)

Es bleibt dennoch die Frage: Wirken eigentlich die personalisierten Maßnahmen gegen diese Machthaber? Das muss für meine Begriffe mal nachgeforscht werden. Die weitere Frage ist: Warum bleibt Lukaschenko hier außen vor?

Zweitens: die Nichtanerkennung der Wahlen. Anfang August hat das Regime die Wahlen manipuliert, vermutlich nicht das erste Mal. Möglicherweise hätte Lukaschenko die Wahl zu diesem Zeitpunkt auf normalem Weg gewonnen. Er war sich aber nicht sicher, und da machte er genau das, was solche Typen dann immer machen. Und dieser Wahlbetrug begann auch nicht erst am Wahltag. Bereits im Vorfeld wurden zahlreiche Bewerberinnen und Bewerber nicht zugelassen. Ein freier und kontroverser Wahlkampf war auch nicht möglich, zumindest wenn man in Opposition zu den Machthabern stand. Die Nichtanerkennung des Wahlergebnisses ist die logische Reaktion. Bleibt aber die Frage: Mit wem spricht man, mit wem verhandelt man, wenn man zum Dialog aufruft? Das ist dann relativ schwierig.

Drittens: Dialog statt Gewalt. So alternativlos es ist, sich für Gewaltfreiheit einzusetzen, so notwendig ist es auch, einen Dialog mit den Machthabern zu führen. Voraussetzung hierfür ist aber die Freilassung aller politischen Gefangenen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es ist aber schwierig, solche Machthaber zum Dialog zu bewegen und ihnen gleichzeitig Bedingungen zu stellen. Ich bin einigermaßen ratlos, wie man damit umgehen soll.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: So ist es!)

Hinzu kommt, dass die Machthaber eine internationale Vermittlung ablehnen. Dies ist zwar ein Zeichen der Schwäche, hilft aber im konkreten Fall auch nicht weiter. Der Vorschlag, die OSZE hier einzuschalten, ist ein sehr guter Vorschlag, weil dann nicht nur die EU-Staaten am Tisch sitzen, sondern auch die osteuropäischen Staaten, die oftmals näher dran sind.

Und viertens: Belarus braucht eine europäische Perspektive. Hierbei ist nicht automatisch die EU gemeint, sondern Europa, das bekanntlich vom Atlantik bis zum Ural geht. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen – der Außenminister hat es gerade gesagt –, dass bei den Protesten im Land keine EU-Flaggen zu sehen waren – russische im Übrigen auch nicht. Die Menschen zeigen die weiß-rot-weiße Flagge, um sich von der Fahne der Machthaber abzugrenzen.

Ein Knackpunkt ist aber die Frage der Visaerteilung durch die Bundesrepublik. Zwar hat ein Vertreter des Auswärtigen Amtes gestern erklärt, dass Anfragen positiv zu bearbeiten seien. Das reicht aber nicht. Wir brauchen eine Erklärung der Bundesregierung, besser eine Kabinettsentscheidung dazu. Menschen, die verfolgt werden, müssen die Möglichkeit haben, legal auszureisen. Menschen, die vielleicht wegen eines Praktikums zu uns fahren wollen, darf das nicht mit dem Verweis auf Corona verweigert werden. Auf Corona kann man testen; hier gibt es Quarantäneregelungen. Einen Visaantrag abzulehnen, ist absolut kontraproduktiv.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Frank Schwabe [SPD] und Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zum Schluss, aber trotzdem ganz wichtig. 2021 soll die Eishockey-WM in Belarus stattfinden. Ich appelliere an alle Verantwortlichen, diese WM nicht abzusagen. Zum einen ist es fraglich, ob man dadurch tatsächlich einen Effekt in unserem Sinne auf die Machthaber ausübt; denn bei einem solchen Event muss sich das Land öffnen, was es gerade eben nicht tut. Ich hoffe sehr, dass es bis zu dieser WM in Belarus demokratische Neuwahlen gegeben hat, die Verantwortlichen für die Gewalttaten zur Rechenschaft gezogen wurden und die Bevölkerung die Gäste dann herzlich begrüßen kann.

Glück auf!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Manuel Sarrazin das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7470387
Wahlperiode 19
Sitzung 175
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Demokratie und nationale Souveränität in Belarus
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