16.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 175 / Tagesordnungspunkt 5

Konstantin KuhleFDP - Demokratie, handlungsfähiger Staat, Finanzen

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir in dieser Woche über das Thema Nachhaltigkeit sprechen – wir tun dies aus Sicht der Innen- und Rechtspolitik –, dann bedeutet dies: Widerstands- und Regenerationsfähigkeit unserer Demokratie und ihrer Institutionen. Wenn wir über diese Institutionen sprechen, dann müssen wir – das spiegelt sich in den Vorlagen wider, die auf dem Tisch liegen – über das Parlament sprechen. Wir müssen über die Presse und den Rundfunk sprechen. Wir müssen über unterschiedliche Ebenen unseres Staates sprechen: über Justiz und Polizei.

Ich will aber beginnen, indem ich über eine Ebene spreche, die in den letzten Tagen aufgrund der Kommunalwahl in NRW eine besondere Rolle gespielt hat. Das ist die Kommunalpolitik; denn nirgendwo sind die Repräsentantinnen und Repräsentanten unseres Staates so dicht dran wie in den Kommunen. Die Widerstands- und Regenerationsfähigkeit unseres demokratischen Systems beginnt auch mit einer Stärkung der Kommunalpolitik. Deswegen sollten aus diesem Haus ein Dank und ein Zeichen des Respekts gegenüber der Kommunalpolitik ausgehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist nicht so einfach. Wer sich mit Kommunalwahlkämpfern unterhält – wie gesagt, in diesem Jahr haben Kommunalwahlen in NRW und Bayern stattgefunden; nächstes Jahr sind Hessen, Niedersachsen und Berlin an der Reihe – oder selber im Wahlkampf aktiv ist, der wird sehr schnell merken, dass man auf eine Menge Unverständnis stößt. Man bekommt Sachen zu hören, wie: „Das tue ich mir doch nicht an“, dass man auf Ablehnung stößt, dass man teilweise sogar auf körperliche Gewalt stößt. – Im aktuellen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 steht auf Seite 47: Aus Todes- und Feindeslisten erwachsen „keine konkreten personenbezogenen Gefährdungsaspekte“, sondern sie führen lediglich zu Einschüchterung. Wenn Kommunalpolitiker das lesen müssen, dann frage ich mich doch: Hat unser Staatswesen eigentlich verstanden, wie krass die Bedrohung für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker ist? Walter Lübcke hat auch auf einer Todesliste gestanden. Es ist an der Zeit, dass wir unsere Institutionen gegen diejenigen verteidigen, die versuchen, sie zu zerstören: von den Rändern und ganz besonders von der rechtsextremen Seite.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist so billig!)

Ich glaube, dass die Frage der Widerstands- und Regenerationsfähigkeit unserer Demokratie auch etwas damit zu tun hat, dass wir im Parlament das Thema Nachhaltigkeit unserer Entscheidungen, aber auch Nachhaltigkeit unserer Entscheidungsprozesse reflektieren. Ja, ich halte es für einen Fehler, dass dieser Deutsche Bundestag die epidemische Lage von nationaler Tragweite immer noch nicht wieder aufgehoben hat, obwohl die Voraussetzungen längst nicht mehr bestehen.

(Beifall bei der FDP)

Wir können es doch in Nordrhein-Westfalen beobachten. Dort ist auf Landesebene die epidemische Lage von landesweiter Tragweite aufgehoben worden, während der Bund weiter daran festhält. Das macht keinen Sinn. Es ist gerade in Coronazeiten auch Zeit für parlamentarisches Selbstbewusstsein. Wir haben Demonstranten, die durch Berlin laufen und legitime Fragen stellen. Wir haben auch Leute, die keine legitimen Fragen stellen, komische Sachen machen und auf die Reichstagstreppe marschieren. Aber es sind Leute dabei, die von uns wissen wollen: Was macht ihr da? Wir müssen mit denen debattieren. Wir müssen mit denen auch ins Gespräch kommen. Damit zusammen hängt auch, dass wir uns nicht in einer Art legislativen Notstand befinden und diese parlamentarische Situation nutzen, um die epidemische Lage von nationaler Tragweite zu beenden. Morgen ist mit einem Antrag der FDP-Fraktion dazu Gelegenheit.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, zu guter Letzt hat Nachhaltigkeit unseres demokratischen Systems auch etwas damit zu tun, wie hoch das Ansehen und die Attraktivität unserer liberalen Demokratie in der Welt sind. Erst wenn eine demokratische Entscheidung, erst wenn das Handeln der Exekutive gebunden ist an den Rechtsstaat, an eine Verfassungsordnung, an Menschenrechte, wird aus einer Demokratie eine liberale Demokratie. Es ist nicht zu fassen, dass wir in Zeiten von Corona über chinesische Masken, über russische Impfungen und gar über kubanische Ärzte sprechen, aber nicht über die Vorteile einer demokratischen Verfasstheit der Europäischen Union. Autokratische Regime und ihre Freunde, auch im Deutschen Bundestag, haben doch ein Interesse daran, dass die Europäische Union in Pandemielagen wie jetzt doof dasteht. Die Europäische Union insbesondere unter deutscher Ratspräsidentschaft muss mehr investieren in Aufklärung gegen Desinformation, in eine Stärkung von Rundfunk und Presse, in Public Diplomacy, in die Stärkung der Zivilgesellschaft und in die IT-Sicherheit, damit unsere liberale Demokratie gegen ihre Feinde auf der Welt verteidigt wird. Das hat auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun. Wenn wir uns unserer eigenen Funktion selbst bewusst sind, dann können wir unsere demokratische Ordnung auch nachhaltig verteidigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Die nächste Rednerin ist die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Hagl-Kehl.

(Beifall bei der SPD)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7470437
Wahlperiode 19
Sitzung 175
Tagesordnungspunkt Demokratie, handlungsfähiger Staat, Finanzen
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