Susanne FerschlDIE LINKE - Arbeit im Wandel
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Minister! Die Arbeitswelt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, hervorgerufen durch die Digitalisierung und die Klimakatastrophe. Durch die Coronapandemie sind ganze Branchen in Schwierigkeiten geraten. Die Leidtragenden sind überwiegend die Beschäftigten, die durch Arbeitsplatzverlust und Einkommenseinbußen Zukunftsängste für sich und ihre Familien haben.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Probleme schon lange existieren und erst durch Corona – wie sagt man immer so schön hier in diesem Haus? – wie durch ein Brennglas sichtbar geworden sind. Den Pflegenotstand gibt es nicht erst seit März dieses Jahres, aber seit Corona arbeiten die Pflegekräfte auch noch unter einem erhöhten Infektionsrisiko, wie die Zahlen des Robert-Koch-Instituts beweisen, und nach wie vor mit zu wenig Personal und mit zu langen Arbeitszeiten.
Die Erzieherinnen, Müllmänner und Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die immer schon sehr wichtig für diese Gesellschaft waren, wurden es unter Coronabedingungen erst recht. Wer hat denn im Lockdown die Kinder betreut, den Müll weggebracht, die Anträge auf Hartz IV und Kurzarbeit bearbeitet usw.? Und denen sagt man nun in der aktuellen Tarifrunde, dass eine Lohnsteigerung um 4,8 Prozent unangemessen sei! Anderes Beispiel: die Beschäftigten in der Deutschen Post AG. Die Deutsche Post AG hat im ersten Halbjahr 2020 eine Gewinnsteigerung von 48 Prozent erzielt. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: 48 Prozent!
(Zuruf von der CDU/CSU)
Die Beschäftigten aber will man mit einer Lohnerhöhung von 1,5 Prozent abspeisen.
(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Unverschämt!)
Es gäbe noch etliche Beispiele mehr. Diese Kolleginnen und Kollegen haben den Laden am Laufen gehalten, sie haben sich dem Risiko einer Infektion ausgesetzt, und hier im Haus hat man ihnen stehend applaudiert. Jetzt aber predigt man Verzicht. Wo bleibt denn die Initiative, über eine Vermögensabgabe die Superreichen zur Finanzierung der Krise heranzuziehen?
(Beifall bei der LINKEN)
Offensichtlich verwechseln einige die Dienstleistungsgesellschaft mit einer Dienstbotengesellschaft.
Aber kommen wir zurück zur Transformation, insbesondere in der Automobil- und Zulieferindustrie. Dort greift der Kahlschlag um sich: Conti, Schaeffler, ZF, Mahle, Schuler, Voith, Schlemmer usw. usf. Diese Unternehmen – zumindest ein großer Teil davon – nutzen Corona schamlos aus, um Arbeitsplätze abzubauen. Der Absatz sinkt bereits seit Jahren. Die Automobilindustrie leidet nicht an dem Coronavirus, sondern an einer verfehlten Modellpolitik und an einer fehlenden Unternehmensstrategie.
(Beifall bei der LINKEN)
Und wo bleibt eigentlich die Strategie der Bundesregierung? Wo ist denn das Mobilitätskonzept von Herrn Scheuer? Die Linke sagt: Der notwendige ökologische Umbau der Produktion muss mit Arbeitsplatzgarantien und Beschäftigungsgarantien verbunden werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Angesichts Tausender bedrohter Arbeitsplätze braucht es politische Entscheidungen und Weichenstellungen. Auch wenn Sie das scheuen wie der Teufel das Weihwasser: Das heißt ein Mehr an staatlicher Einflussnahme und nicht ein Weniger.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein nationaler Transformationsrat aus Gewerkschaften, Unternehmen und Umwelt- und Sozialverbänden wäre schon mal ein guter Anfang. Es ist richtig, das Kurzarbeitergeld zu verlängern und die Arbeitslosenversicherung mit Steuergeldern zu unterstützen. Aber bitte machen Sie sich doch ehrlich: Sie schieben die Probleme nur bis nach der Zeit der Bundestagswahl auf.
Es wird Zeit, Kredite und Erstattungen aus den Sozialversicherungen an Bedingungen zu knüpfen, und ich erkläre Ihnen auch, warum: Der kleine Taxiunternehmer hier aus Berlin mit 15 Beschäftigten nimmt einen Kredit auf, um die Löhne weiter bezahlen zu können. Volkswagen, Daimler und BMW hingegen verfügen insgesamt über Gewinnrücklagen von 180 Milliarden Euro, schicken die Leute in Kurzarbeit und greifen die Sozialversicherungsbeiträge ab. Bei Conti sollen 13 000 Arbeitsplätze abgebaut werden, fast gleichzeitig wird aber eine Dividende von 600 000 Euro ausgeschüttet. Nicht unerwähnt lassen will ich die 9 Milliarden Euro für Lufthansa. Und dann sagt der Wirtschaftsminister: Bloß keinen staatlichen Einfluss geltend machen. Ja, meine Damen und Herren, das versteht doch kein Mensch mehr!
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Frage ist: Wohin wandelt sich die Arbeitswelt, hin zu noch mehr unsicheren Arbeitsplätzen mit noch mehr Flexibilisierung auf dem Rücken der Beschäftigten und noch mehr Deregulierung? Die Arbeitgeberverbände fahren schon wieder die Attacke auf den Sozialstaat, mit ganz innovativen Vorschlägen wie Verlängerung der Lebensarbeitszeit, mehr Privatisierung, die ganze alte Leier. Diese alten Rezepte haben doch erst in die Sackgasse geführt und führen weiter da hinein. Das zeigen doch die Erfahrungen aus den letzten Krisen.
Wenn es der Bundesregierung nicht gelingt, darauf zu achten, dass die Beschäftigten nicht die großen Krisenverlierer werden, dann nehmen Sie billigend in Kauf, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt weiter erodiert. Notwendig sind neben dem Konzept für einen klimaneutralen Umbau mehr Mitbestimmung, Investitionen in Qualifizierung, gute Arbeit und soziale Sicherheit.
(Beifall bei der LINKEN)
Das wäre nachhaltig für Mensch und Natur.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Vielen Dank, Susanne Ferschl. – Nächster Redner: für die Fraktion der CDU/CSU Dr. Matthias Zimmer.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7470509 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 176 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit im Wandel |