Barbara HendricksSPD - Entwicklung und internationale Zusammenarbeit
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zahlreichen Debatten am heutigen Tag zeigen uns, wie vielfältig unser Verständnis von Nachhaltigkeit ist. Die meisten Menschen denken vermutlich zuerst an Klima- oder Umweltschutz, also daran, was unseren Planeten ausmacht und wie wir das ökologische Gleichgewicht auf der Erde erhalten können. Wir denken an die unzähligen Pflanzen in allen Farben und Formen, an bedrohte und nichtbedrohte Tiere, Wirbeltiere, Insekten oder Korallen. Natürlich denken wir in diesem Zusammenhang auch an den Menschen. Nicht zuletzt geht es um uns selbst; denn nur, wenn wir nachhaltig leben und wirtschaften, werden wir künftigen Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlassen können.
(Beifall bei der SPD)
Vor jetzt ziemlich genau fünf Jahren haben wir in den Vereinten Nationen unsere Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit 17 Zielen festgelegt. Wir wissen alle: Die Nachhaltigkeitsziele betreffen alle Länder gleichermaßen. Industrie- und Schwellenländer und auch Entwicklungsländer arbeiten gleichberechtigt auf die Erreichung der SDGs hin. Dabei hängen die Ziele natürlich alle miteinander zusammen: Der Klimawandel führt zu Dürren oder Überschwemmungen und in der Folge zu Hunger. Dadurch werden Menschen zur Landflucht getrieben und ziehen in die Städte. Ländliche Gegenden verarmen, Bildungsangebote und Gesundheitsversorgung verschwinden. Gleichzeitig kommt es zu einer Überbevölkerung in den Städten. Das Resultat sind Konflikte um knappen Wohnraum und um Arbeitsplätze. Hinzu kommen natürlich auch Gesundheits- und Umweltprobleme.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Pflicht, im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass Menschen weltweit ein würdiges Leben führen können.
(Beifall bei der SPD)
Dies betrifft uns insbesondere, wenn es darum geht, dass wir im reichen Europa von der Ausbeutung der Ärmsten profitieren; denn nach wie vor arbeiten mehr als 70 Millionen Kinder auf Kaffee- und Kakaoplantagen, in Textilfabriken oder in Minen, in denen die Seltenen Erden für unsere Smartphones, Autos und Fernseher gefördert werden. Dazu kommt die Umweltbelastung etwa durch Chemikalien, welche die Flüsse verseuchen. Der Regenwald wird gerodet, um billiges Fleisch produzieren zu können. Für das Futter der auf deutschem Boden gemästeten Tiere brauchen wir über die uns in unserem Land zur Verfügung stehende Ackerfläche hinaus eine Anbaufläche von Millionen Hektar irgendwo auf der Welt. Zum Beispiel wird Soja aus brandgerodeten Gegenden des Amazonas nach Europa importiert und hier verfüttert, und anschließend exportieren wir die hier gemästeten Schweine wieder nach China. Ganz sinnvoll scheint das alles nicht zu sein.
Profiteure des Ganzen sind die Menschen in den Industrienationen, also auch wir. Wer sich jedes Jahr ein neues Smartphone bestellt, wer ständig neue Kleidung zu Billigstpreisen kauft und wer darauf besteht, jeden Tag Fleisch billig essen zu können, sollte sich darüber im Klaren sein, dass all das seinen Preis hat. Der Preis besteht darin, dass irgendwo auf der Welt Menschen für unseren Lebensstil ausgebeutet werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Auch wenn es einige Abgeordnete im Bundestag noch immer leugnen: Es gibt den Klimawandel, und die Auswirkungen sind spürbar. Der Meeresspiegel steigt, die Zahl von Dürreperioden und Extremwetterereignissen nimmt zu, und den Menschen fehlt es in vielen Teilen der Welt an Nahrung und Wasser. Durch unsere Wirtschaftsweise hat die Artenvielfalt in den vergangenen Jahrzehnten stark gelitten. Wir beobachten auch in Deutschland ein Insektensterben und damit die Gefahr, dass das ökologische Gleichgewicht empfindlich gestört wird. Dabei produzieren wir mehr Lebensmittel, als wir verbrauchen können, exportieren die Überschüsse zu Spottpreisen in die Länder des Südens und machen die dortige Landwirtschaft kaputt, weil die heimischen Bauern mit den Preisen der europäischen Exporte nicht mithalten können.
All die Punkte, die ich gerade aufgezählt habe, lassen sich in einem Wort zusammenfassen, das in den letzten Tagen wieder zunehmende Beachtung gefunden hat. Das Wort heißt: Fluchtursachen. Aktuell reden wir über die furchtbare Situation der Menschen in Moria. Nicht alle Menschen dort sind vor Krieg geflohen. Viele Menschen haben ihre Heimat verlassen, weil sie in Armut lebten und überhaupt keine Perspektive mehr sahen. Dabei ist es häufig unsere konsumorientierte Lebensweise, welche die Situation gerade für die Menschen in den Ländern des Südens unerträglich macht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch sollten wir bei der aktuellen Situation in Moria nicht vergessen, dass das Elend auf Lesbos keine Momentaufnahme ist. Auch vor dem Brand im Flüchtlingslager waren die Zustände unhaltbar, und die Unterbringung der Geflüchteten war menschenunwürdig.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Feuer hat das Leiden der Menschen noch verstärkt. Wir sind daher jetzt aufgefordert, unsere Menschlichkeit und Solidarität zu zeigen – also das, wofür Europa steht. Wir müssen jetzt handeln und diesen Menschen helfen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Zusage der Bundesregierung ist ein richtiger Schritt. Dabei dürfen wir auch nicht vergessen, was sich Woche für Woche auf dem Mittelmeer abspielt. Es ertrinken immer noch Menschen; seit 2014 sind es mehr als 20 000.
Kolleginnen und Kollegen, wir haben nicht nur die Pflicht, denjenigen zu helfen, die akut in Not sind. Wir müssen auch die sogenannten Fluchtursachen bekämpfen. Natürlich sind diese vielfältig – es gibt Korruption und anderes, wofür wir nicht verantwortlich sind –, aber es gibt gleichwohl konkrete Möglichkeiten, die Situation vieler Menschen zu verbessern.
Wir haben in den vergangenen Jahren viel für den Klimaschutz auf den Weg gebracht. Ich sehe nach wie vor Möglichkeiten, unser Engagement in diesem Bereich noch ehrgeiziger zu verfolgen.
Darüber hinaus ist es höchste Zeit, dass wir ein Lieferkettengesetz bekommen. Deutschland ist nach den USA und China das drittgrößte Importland und damit von großer Relevanz im Netzwerk der globalen Lieferketten.
(Beifall bei der SPD)
Trotzdem haben wir bislang auf Freiwilligkeit der deutschen Unternehmen gesetzt, wenn es um die Einhaltung von Mindeststandards im Ausland ging. Zwar gab es einige Verbesserungen, viele Unternehmen haben sich dennoch nicht an die Mindeststandards gehalten. Ich sehe den Gesetzentwurf von Hubertus Heil und Gerd Müller daher als große Chance, das Leben vieler Menschen und den Schutz der Umwelt zu verbessern.
(Beifall bei der SPD)
Kollegin Hendricks, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Ich bin mir sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen von der Union diese Erkenntnis teilen werden.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat der Kollege Olaf in der Beek für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7470555 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 176 |
Tagesordnungspunkt | Entwicklung und internationale Zusammenarbeit |