Doris BarnettSPD - EZB-Politik
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist mal wieder ein typischer AfD-Antrag: Er ist ein bisschen sozialheuchlerisch; denn er spricht von Steuern, dabei geht es wie immer, wenn es um die EU geht, gegen die EU. Sie sind nämlich eher eine Europazerstörerpartei. Sie sind nicht der strahlende Retter, sondern eher der Retter in der rostzerfressenen Rüstung.
(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der AfD)
Diese Partei lässt keine Gelegenheit aus – und sei sie noch so klein –, auf die EU einzudreschen. Die EU ist aber eine Wertegemeinschaft.
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Na klar!)
Für Sie hat die EU keinen Wert; das wissen wir. Einen Wert hat sie höchstens dann, wenn Sie sich mit Gleichgesinnten auf EU-Ebene treffen.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Zur Sache! Negativzinsen!)
Mit dem Antrag wettert die AfD nun gegen die EZB wegen der Negativzinsen, dabei müssten Sie tosenden Beifall klatschen. Deshalb will ich Ihnen und den Zuschauern mal ganz langsam erklären, worum es geht. Es geht nicht um Steuern. Negativzinsen sind ein Instrument, mit dem Deutschland, die Schweiz, Dänemark, Japan und andere Länder schon länger arbeiten, und selbst in den USA denkt man jetzt darüber nach.
Dieses Instrument funktioniert wie folgt: Ich will als Staat nicht, dass die Geschäftsbanken ihr Geld bei mir bzw. bei der Zentralbank nur bunkern. Verbieten kann ich das nicht. Weil die Geschäftsbanken nicht bzw. nicht genug in die Wirtschaft investieren, kann ich das als Staat natürlich auch tun, in die Infrastruktur zum Beispiel.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Erklären Sie das mal Ihren Wählern und den Sparern! Die freuen sich!)
Ich müsste dazu aber Kredite von den Banken aufnehmen, die das Geld gerade bei mir bunkern. Das kostet mich Geld, nämlich Zinsen.
Aber ich kann es als Staat auch andersherum machen: Ich gebe Anleihen heraus. Weil die Geschäftsbanken wissen, dass meine Staatsanleihen sehr solide sind, verspreche ich den Geschäftsbanken dann allerdings keine Zinsen, sondern fordere von ihnen umgekehrt Prämien, also umgekehrte Zinsen, sprich: Negativzinsen. Die Geschäftsbanken nehmen das sogar an.
Ich will Ihnen sagen, dass im Jahr 2014 in nur acht Monaten das Schuldenmanagement des Bundes auf diese Weise immerhin 3,8 Milliarden Euro gutgemacht hat. Seit 2014, nachdem Lehman Brothers zusammengebrochen war und dies eine Wirtschafts- und Finanzkrise ausgelöst hat, verlangt die EBZ keine Zinsen – das sind also Nullzinsen –, wenn sich Banken bei ihr Geld leihen. Mit diesem kostenlosen Geld sollen sie in ihren Ländern der Wirtschaft wieder auf die Beine helfen.
Aber was machen die Banken? Sie sparen das Geld und legen es lieber auf die hohe Kante.
(Christian Dürr [FDP]: Ja, total freiwillig!)
Das nützt den Unternehmen und den Volkswirtschaften im Süden Europas und natürlich auch der deutschen recht wenig. Also macht die EZB das, was verschiedene Staaten auch schon längst tun: Sie arbeiten mit Negativzinsen, um ebendiese Geschäftsbanken zu bewegen, ihr Geld nicht zu horten, sondern in ihren Volkswirtschaften anzulegen, um Unternehmen, Existenzgründer, Mittelständler usw. zu unterstützen. Denn die gleichen Banken, die das Geld irgendwo horten, reden uns Kleinsparern ja dauernd ein, wir sollten das Geld nicht sparen, sondern wir sollten es irgendwo investieren, was riskieren.
Das müssten die Geschäftsbanken auch tun, aber sie machen es nicht.
(Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Für sie ist es besser, wenn der Nationalstaat das Risiko übernimmt, also bei ihnen Kredite mit Zinsen aufnimmt, woran sie dann wieder verdienen, statt das Geld selbst in Unternehmen zu investieren. Dabei könnten sie jetzt in die Wasserstoffindustrie, in die E-Mobilität usw. sehr nachhaltig investieren. Das sind keine Zombieunternehmen.
Aber warum tun die Banken das nicht? Die EZB will, dass das Bunkern von Geld bei ihr unattraktiv wird und die Geschäftsbanken in Europa mehr Kredite zu guten Konditionen – sie selbst zahlen ja bei Kreditaufnahme null Zinsen an die EZB – in den Nichtbankensektor vergeben. Damit wird die Wirtschaft angekurbelt, Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen.
Auch Ländern wie Spanien, Griechenland, Italien und den vielen anderen, die in einer wirtschaftlichen Krise stecken, könnte dadurch geholfen werden. Das müsste Sie von der AfD doch ganz besonders freuen. Denn wenn das so gelänge, bräuchten wir nicht extra Mittel aus dem EU-Haushalt für diese Länder, damit die Wirtschaft dort angekurbelt wird. Das ist das ganze Geheimnis hinter Negativzinsen.
Ich könnte jetzt Ausführungen dazu machen, dass die EZB einen Freibetrag auf die negativen Zinsen für Banken eingeführt hat, aber das ist eher ein Thema für Feinschmecker. Um diese Details geht es auch nicht. Für die AfD geht es nur mal wieder darum, die Europäische Union und ihre Einrichtung mieszumachen, schlechte Stimmung zu schüren und hochkomplexe Themen auf ein Schlagwort zu reduzieren.
Die AfD hat aber, wenn es um Europa geht, nie Gutes im Sinn. Nationalisten können mit einem friedlichen Zusammenleben von Völkern, mit freiem Warenverkehr, mit solidarischem Miteinander nichts anfangen. „ Ich zuerst!“ – und dann lang, lang nichts: Das ist Ihr Mantra. Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Das ist doch ein sehr simples Weltbild.
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unserer großen Unternehmen – von der BASF, Lufthansa, Airbus, VW, Daimler usw. bis hin zu den Pfalz-Flugzeugwerken –, unserer Mittelständler und der vielen anderen Tausend Unternehmen in Deutschland wissen, wie es um ihre Arbeitsplätze stünde, könnten sie sich nicht auf den europäischen Markt verlassen. Das Schlimme ist, dass viele von Ihnen in der AfD das auch wissen und somit wider besseres Wissen lieber Unfug verbreiten, weil das besser in Ihr Weltbild passt. Sie tun mir leid: Sie sind leider Kleingeister und bleiben es!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ihr Antrag kennt nur eine Befassung: gleich in die runde Ablage.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: „Kleingeister“ hat mir gut gefallen!)
Nächster Redner ist der Kollege Fabio De Masi, Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 177 |
Tagesordnungspunkt | EZB-Politik |