18.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 177 / Tagesordnungspunkt 24

Matthias HöhnDIE LINKE - Stand der Deutschen Einheit 2020

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Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir in diesen Tagen und Wochen nach Osten schauen, nach Belarus, dann wissen wir, dass wir sehr dankbar dafür sein können, dass das vor 30 Jahren hier bei uns in Ostdeutschland so friedlich abgelaufen ist. Dafür können wir heute noch dankbar sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Mark Hauptmann [CDU/CSU])

Mit Blick auf meinen Vorredner will ich sagen: Ein großer Erfolg von 1989/90 ist, dass nun jeder seine Meinung sagen kann; das wollen wir auch nicht ändern. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn der einzige Applaus von rechts kommt, dann sollten Sie überlegen, was Sie hier äußern.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der AfD: Besser als von links!)

Wer die Jahre 1989 und 1990 im Osten bewusst erlebt hat, der weiß sehr genau, dass die alte Gesellschaft der DDR wenig oder gar keine Zukunft hatte, und der weiß sehr genau, wie grundlegend erschüttert der Glaube der meisten DDR-Bürgerinnen und ‑Bürger an die Zukunft dieses Landes war. Allerdings wird er sich auch daran erinnern, wie groß die Zuversicht war, wie groß die Hoffnung war und wie groß das Selbstvertrauen war, als Ostdeutsche in diese deutsche Einheit zu gehen. Umso schwerer wiegt und wog schon damals die Enttäuschung, die schnell eingetreten ist – Stichwort „Treuhand“: kaum eine Institution hat in so kurzer Zeit das Leben von Millionen so dramatisch verändert –, und umso schwerer wiegt, dass die Enttäuschung bis heute fortwirkt.

Die Bundesregierung hat schon letztes Jahr, zum 30. Jahrestag des Mauerfalls, Zahlen veröffentlicht: 57 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland sehen sich immer noch als Bürger zweiter Klasse; 22 Prozent sind mit der Demokratie heute zufrieden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Bundesregierung, das sind dramatische Zahlen. Deswegen muss man überlegen, woher sie kommen. Was mir nicht reicht, Herr Wanderwitz, ist der Ruf nach politischer Bildung. Da stört mich schon der Gestus Richtung Ostdeutschland: Ihr habt es immer noch nicht verstanden. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht haben diese Zahlen etwas mit der Politik der Bundesregierung in den letzten 30 Jahren zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben zu dieser Debatte einen Antrag eingereicht.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Frau Budde?

Immer gerne. – Bitte schön.

Sehr geehrter Kollege, ich hätte die Frage eigentlich gern am Schluss Ihrer Rede gestellt, weil ich eine Detailfrage habe, die mich umtreibt. Es geht um die Vertragsarbeiter.

Ich möchte meiner Frage eine Bemerkung vorausschicken. Sie wissen sicherlich, wie der Vertrag zwischen Mosambik und der DDR zustande gekommen ist: Dieser Vertrag wurde ganz bewusst zwischen beiden Staaten geschlossen und beinhaltete, dass Mosambik seine Schulden gegenüber der DDR begleichen sollte, und zwar über die Einbehaltung von Lohn. Das war ein Vertrag zwischen den beiden Staaten. Die Menschen wussten nichts davon. Das war echter Beschiss an den Menschen, muss man schlichtweg sagen.

Ich stelle Ihnen die Frage, weil Sie sich in Ihrem Antrag auf dieses Thema beziehen. Ich möchte gern wissen, ob Ihnen bekannt ist, dass das Abkommen zwischen der DDR und Mosambik quasi ausfinanziert und ausbezahlt ist und dass die Bundesrepublik sogar danach noch – als nämlich die Betriebe, die Verpflichtungen hatten, nach 1990 nicht mehr da waren – dafür einstand und den Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern alle ausstehenden Summen über ihren Staat zugesprochen und ausgezahlt hat. Ist Ihnen außerdem bekannt, dass die Bundesrepublik auch die zusätzlichen Schulden Mosambiks erlassen hat?

Somit können wir als Bundesrepublik rein finanziell überhaupt nichts mehr machen. Ich möchte Sie aber gern fragen, ob Sie mit mir der Meinung sind, dass das ein gutes Thema ist, mit dem sich die Bundesstiftung Aufarbeitung im Rahmen der Aufarbeitung beschäftigen sollte, als Teil der Verträge, die die DDR mit anderen Ländern geschlossen hat. Im Grunde ist es wirklich bloß noch ein moralisches Thema; wir können es finanziell nicht mehr lösen.

Herr Kollege.

Liebe Kollegin Budde, ich bin Ihnen aufgrund meiner kurzen Redezeit dankbar, dass Sie mir mit Ihrer Frage mehr Zeit geben, um über unseren Antrag zu sprechen.

So viel kriegen Sie nicht. Sie haben jetzt die Möglichkeit, zu antworten. Danach bleiben 39 Sekunden.

Ja, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Budde, ich freue mich zunächst einmal, dass wir uns einig sind, dass es ein wichtiges Thema ist, wie wir mit der Frage der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter umgehen. Ich stimme Ihnen allerdings nur zur Hälfte zu: Es ist nicht nur eine Frage der Aufarbeitung, sondern ich finde schon, dass wir auch heute eine politische Verantwortung dafür haben, was mit den ehemaligen Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern geschieht, die heute noch ihr Recht einfordern und darum bitten, dass das, was sie geleistet haben, nachträglich anerkannt, auch materiell, und ihr Unrecht damit ausgeglichen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

In welcher Form wir das am Ende als Bundesrepublik leisten können oder leisten wollen, darüber können wir gern in die politische Debatte einsteigen. Aber ich finde, die Verantwortung stellt sich nicht nur rückblickend im Sinne der Aufarbeitung, sondern auch aktuell: Was können wir heute tun?

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank.

Damit bin ich bei meinem letzten Punkt. Wir haben als Fraktion Die Linke einen Antrag zu diesem Tagesordnungspunkt eingereicht. Zentral ist, dass wir an dem Punkt, der in der Gesellschaft nach wie vor wie ein Spaltpilz wirkt, besser werden und Erfolge zeitigen. Es geht um Teilhabe, es geht darum, gleichen Lohn in Ost und West sicherzustellen, gleichen Lohn für Mann und Frau. Es geht um eine gerechte Rentenreform, die auch Ungerechtigkeiten in Ostdeutschland hinsichtlich der Rentenüberleitung nach 1990 endlich beseitigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil die FDP hier von einer „Ostquote“ geredet hat: Es geht nicht darum, Ostdeutschen einzureden, dass sie jetzt in Spitzenfunktionen kommen, nur weil es eine Quote gibt. Ich freue mich, dass die Leistungspartei FDP dieses Thema entdeckt. Wir haben 30 Jahre lang die Situation gehabt, dass Leistung nicht gezählt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Wenn sie denn gezählt hätte, dann hätten wir nicht nur 3 Prozent Ostdeutsche in Spitzenfunktionen, sondern deutlich mehr. Darüber sollten Sie nachdenken.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank Matthias Höhn. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Claudia Müller.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7470921
Wahlperiode 19
Sitzung 177
Tagesordnungspunkt Stand der Deutschen Einheit 2020
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