29.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 178 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 10

Heidrun BluhmDIE LINKE - Ernährung und Landwirtschaft

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Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es eben in der Rede zum Umweltetat schon gesagt: Egal in welchen Haushalt man schaut – es ist zu erkennen, dass diese Regierung ein Jahr vor der Bundestagswahl keine neuen Projekte wagt. Alle nicht exponentiell sichtbaren Probleme werden wohl an die nächste Regierung delegiert.

Aber wir alle wissen doch: Das aktuelle Haushaltsjahr ist wiederum eine große Herausforderung für die Menschen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft – zunächst die Waldkrise, dann die Coronakrise und nun auch noch die Afrikanische Schweinepest. In dieser Krise werden aber einige Dinge klar: Zusammenhalt und kooperatives Handeln sind für die Zukunft Deutschlands und Europas gerade angesichts der aktuellen, aber auch der kommenden Krisen existenziell.

(Beifall bei der LINKEN)

Und der Schutz der Natur, der Tiere sowie der Menschen in der Gesellschaft ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die Entwicklung der ländlichen Räume, insbesondere der strukturschwachen Gebiete, ist wichtiger als je zuvor.

(Beifall bei der LINKEN)

Neben der noch immer unzureichenden und nicht zielgenauen Bedarfsförderung im Osten Deutschlands zeichnet sich aber auch ab, dass sich weite Teile des nördlichen, westlichen oder auch südwestlichen Deutschlands in einem neuen Schwellenzustand befinden. Wird hier insgesamt nicht entschlossen gehandelt, um die deutlich erkennbaren Strukturschwächen anzugehen, werden die Menschen weiter stärker in die Städte ziehen. Es ist schon lange fünf vor zwölf, und für strukturschwache ländliche Räume erst recht. Das ist eine gesamtgesellschaftliche, ressortübergreifende Aufgabe, die die Regierung bis heute so nicht begriffen hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Und es stellt sich die Frage, ob dafür eine Umverteilung von Haushaltsmitteln im Einzelplan 10 ausreicht oder ob die Bundesregierung es schafft, ihren „Plan für Deutschland“, den ja auch Frau Ministerin Klöckner unterschrieben hat, als Gemeinschaftsaufgabe von historischer Bedeutung zu begreifen und entsprechend zu handeln.

Bisher ist es nicht erkennbar, welchen Kurs die Bundesregierung im nächsten Jahr einschlagen wird. Die verfügbaren Zahlen des Einzelplans 10 vor den Beratungen mit den Berichterstattern in den Ausschüssen verweisen jedoch stark auf ein Weiter-so. Hier gibt es nur wenige, marginale Veränderungen zum Vorjahresetat, was vermuten lässt, dass wir alles im Griff haben oder auch alles prima läuft. Dem muss ich leider entschieden widersprechen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie soll mit diesem Finanzpaket der dringend notwendige, aber immer wieder nur angekündigte sozialökologische Umbau der Landwirtschaft gelingen? Meine Damen und Herren, Herausforderungen werden leider nicht durch ein Weiter-so bewältigt. Was wir im nächsten Haushaltsjahr erwarten, ist die Umsetzung längst fälliger und bereits versprochener Reformen für die Bäuerinnen und Bauern, insbesondere um den sozialökologischen Umbau in der Landwirtschaft voranzutreiben.

Ich will zwei Beispiele nennen. Die Landwirtschaft kann einen entscheidenden Beitrag zur nachhaltigen ökologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung in den ländlichen Räumen leisten. Das Stichwort hierzu lautet „Regionalisierung“.

(Beifall bei der LINKEN)

Vollmundig wird sie im Koalitionsvertrag angekündigt durch ein – ich zitiere –: „klares Bekenntnis zur bäuerlichen und regional verwurzelten Landwirtschaft.“ Seit 2017 ist das ein Lippenbekenntnis, mehr leider nicht.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ja!)

Ich erinnere an unseren Antrag „Regionale Ernährungssysteme stärken“, der sich gerade im parlamentarischen Verfahren befindet. Hier zeigt Die Linke auf, was zu tun wäre, um gesunde Ernährung so zu organisieren, dass landwirtschaftliche Produktion und regionale lebensmittelverarbeitende Betriebe in den ländlichen Räumen mit den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher verknüpft und langfristig und nachhaltig gestaltet werden. Noch ist es nicht zu spät, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Nachdem Sie zumindest im Ausschuss unseren Antrag gelobt haben, um ihn dann trotzdem abzulehnen, könnten Sie in der zweiten und dritten Lesung vielleicht über Ihren Schatten springen.

(Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Mit Sicherheit nicht!)

Es ist also nicht so, dass es keine guten und machbaren Vorschläge gäbe, sie kommen halt nicht von der Regierung.

Eine regionale Produktion von gesunden Lebensmitteln ist immer stark verknüpft mit der Ernährungswirtschaft. Die Diskussion über eine Politik für eine nachhaltigere Ernährung – so lautet auch der Titel einer kürzlich veröffentlichen Studie eines komplexen Gutachtens, dass das Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat – fehlt bislang weitgehend in der öffentlichen Debatte. Das Gutachten macht aber deutlich, dass der Konsum von Lebensmitteln wesentlich von der Ernährungsumgebung – dazu gehören zum Beispiel Werbung und soziale Medien sowie der Zugang zum Angebot von Lebensmitteln – beeinflusst ist. Eine stärker konsumorientierte Ernährungspolitik würde dazu beitragen, dass die hierzulande zunehmende Ernährungsarmut verringert wird. Sie fördert die Gesundheit jedes Einzelnen und hilft darüber hinaus bei der Erreichung der Klimaschutzziele.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine beitragsfreie und qualitativ hochwertige Kita- und Schulverpflegung – das fordern wir Linke schon lange – ist eine wesentliche Empfehlung aus dem Gutachten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Ministerin wird zu dem Gutachten wie folgt zitiert: Politik muss lernen, dass Gutachter auch manchmal aufschreiben, was man nicht gern hört. – Ich sage: Politik ist gut beraten, wenn sie sich von wissenschaftlichem Sachverstand leiten lässt.

(Beifall bei der LINKEN)

Um die ebenfalls erforderliche Transformation in der Landwirtschaft ernsthaft einzuleiten, Artenvielfalt zu fördern, in Klima- und Naturschutz zu investieren und die Bäuerinnen und Bauern bei der Umstellung auf ökologische Verfahren zu unterstützen, würde die Umschichtung der Mittel von maximal 15 Prozent von der ersten Säule in die zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik auf europäischer Ebene ein Zeichen setzen. Mit der Festlegung Deutschlands auf eine Umschichtung von 6 Prozent bleiben die Bereiche jedoch massiv unterfinanziert, und die Ziele, die Frau Klöckner hier vorgetragen hat, werden dadurch sicher nicht erreicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch offene und ungelöste Aufgaben sind die Umsetzung der Ackerbaustrategie, der Umbau der Stallhaltung, des Insektenschutzes und auch die Hilfen für den Wald. Aber auch hier zeigen sich aus unserer Sicht fundamentale Fehlentwicklungen. Nun legen Sie ein dreiteiliges Förderprogramm für Wald und Holz vor. Ein Teil ist ein 500 Millionen Euro starkes Programm, das Prämien für besonders nachhaltige Forstwirtschaft vorsieht. Bisher ist aber gar nicht klar, wie die Richtlinien zur Verteilung dieser Gelder aussehen sollen. Wir reden über Hunderte von Millionen, und keiner weiß, wie sie verteilt werden sollen. Das beklagten im Übrigen auch die Agrarminister auf ihrer letzten Konferenz in der vergangenen Woche.

Stichwort „Umbau der Stallhaltung“: 300 Millionen Euro stehen für den Umbau nach der neuen Nutztierhaltungsverordnung zur Verfügung – das finden wir gut –, aber der beantragende Viehhalter oder die beantragende Viehhalterin soll binnen 15 Monaten, also bis spätestens 31. Dezember 2021, das gesamte Stallumbauprojekt umsetzen, inklusive Projektierung, Baugenehmigung, Baufertigstellung und Abrechnung. Wir alle wissen, das ist unmöglich. Allein die Einholung einer emissionsschutzrechtlichen Genehmigung dauert schon mindestens ein Jahr. Offensichtlich gab es bei der Erstellung des Programms keine Rückkopplung mit möglichen Antragstellern. Das ist weltfremd und reiner Aktionismus, oder aber es wurde bewusst gemacht, um die 300 Millionen Euro nicht zur Auszahlung zu bringen.

(Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Bösartige Unterstellung!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zurück zum ländlichen Raum. Aus Sicht der Fraktion Die Linke reicht es nicht, den ländlichen Raum mit zentral ausgedachten Förderprogrammen zu alimentieren; bei BULE wollen Sie sogar kürzen. Hier müssen wir vielmehr klotzen und dürfen nicht kleckern. Zum Beispiel mit der Ansiedlung von Bundesbehörden und Ressortforschungseinrichtungen kann der Wandel strukturschwacher Regionen angeregt werden. Erste Erfolge können wir dabei verbuchen; Vorrednerinnen und ‑redner haben darauf Bezug genommen, auch ich habe mit dem im Aufbau befindlichen Waldkompetenzzentrum in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern allen Grund, stolz zu sein. Wichtiges Ziel dabei muss sein, den ländlichen Raum in die Lage zu versetzen, die ihm innewohnenden Potenziale selbstständig und nachhaltig zu erschließen. Dazu sind Wissen und neue Denk- und Handlungsansätze notwendig, und die entstehen vornehmlich durch Forschung und Lehre. Die Ansiedlung neuer sowie der Ausbau und die Spezialisierung vorhandener Hoch- und Fachschulen im ländlichen Raum ist ein Gebot der Stunde, vor allem aber eine Voraussetzung, um Perspektiven für die Zukunft in dem ländlichen Raum zu schaffen und wissenschaftlich zu begleiten, um das gesamtgesellschaftliche nachhaltige Leben weiter zu organisieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke möchte, dass die verfügbaren Mittel so eingesetzt werden, dass durch ihre Verwendung der größtmögliche Entwicklungsschub in Richtung einer sozialökologischen und damit zukunftsfesten Agrarstruktur und eines selbstbestimmten, sich wirtschaftlich selbsttragenden Aufschwungs im ländlichen Raum genutzt werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was in diesem Etat allerdings komplett fehlt, ist ein Haushaltstitel für die Zahlung einer Weidetierprämie.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ja!)

Schäferinnen und Schäfer, die täglich mit der Weidetierhaltung auch wichtige Umweltaufgaben erledigen, werden dafür nicht honoriert. In 27 anderen europäischen Ländern ist das möglich.

Bitte kommen Sie zum Schluss.

Unser Ministerium versäumt sogar absichtlich die Anmeldefristen in Brüssel, um diesem Berufsstand die notwendige Unterstützung zu verwehren. Da meckern nicht nur die Schafe.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Bluhm-Förster. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7473267
Wahlperiode 19
Sitzung 178
Tagesordnungspunkt Ernährung und Landwirtschaft
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