Ursula SchulteSPD - Ernährung und Landwirtschaft
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Haushalt des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Das Ministerium wird in der Öffentlichkeit vorrangig mit dem Thema Landwirtschaft in Verbindung gebracht. Das spiegelt sich auch in den Zahlen des Haushaltsplans wider. Allein für die landwirtschaftliche Sozialpolitik geben wir über 4 Milliarden Euro aus und stellen damit den größten Teil unserer Haushaltsmittel für diesen Bereich zur Verfügung.
Dagegen stehen lediglich 212,5 Millionen Euro für den gesundheitlichen Verbraucherschutz und das Thema Ernährung und damit noch einmal 200 000 Euro weniger als in 2020 zur Verfügung. Ich empfinde das als ein krasses Missverhältnis, das wir zwingend ändern müssen, zumal sich der Haushalt mit 7,661 Milliarden Euro auf einem Rekordniveau befindet.
Ich fand es auch sehr schade, Frau Klöckner – ich habe Ihrer Rede sehr aufmerksam gelauscht –, dass Sie erst ganz am Ende auf das Thema Ernährung eingegangen sind, und da – in Anführungsstrichen – „nur“ auf den Nutri-Score. Ich hoffe, dass Ihr Optimismus recht behält.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ernährungsreport 2020, den Sie, Frau Klöckner, vorgelegt haben, hat uns eine wunderbare Welt vorgegaukelt, in der die Menschen bewusst einkaufen, selber kochen und sich regional ernähren. Die Ernährungsprobleme und deren gesundheitliche Folgen wurden einfach ausgeblendet. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft attestierte uns nach dem Erscheinen des Reports noch einmal ein massives Ernährungsproblem, und die Kinder- und Jugendärzte merkten an, dass das Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen gar nicht erwähnt worden ist. Angesichts solcher Kritik, die berechtigt ist, wie ich finde, stelle ich mir die Frage, welchen Mehrwert so ein Report für unsere Gesellschaft überhaupt hat.
Beim Thema „gesunde Ernährung“, liebe Kolleginnen und Kollegen, denke ich immer zuerst an Kinder und Jugendliche. Sie verbringen immer mehr Zeit in Kitas und Schulen und nehmen dort ihre Mahlzeiten ein. Das Essen sollte natürlich schmecken und gesund sein. Dieser Wunsch verbindet uns sicher alle. Genau hier beginnt die Arbeit der Schulvernetzungsstellen. Diese vermitteln Wissen rund um das Thema Ernährung.
Ich weiß auch, dass man sich redlich abmüht, für gesundes Essen nach DGE-Standards zu werben. Die Ernüchterung kommt allerdings, wenn man mit Kommunalpolitikern, Verwaltung und Schulleitern spricht. Denn viele der gerade Genannten kennen die DGE-Standards überhaupt nicht. Wenn Sie, Frau Ministerin, nun die DGE-Standards verpflichtend für alle Schulen und Kitas fordern, haben Sie mich ausdrücklich an Ihrer Seite.
(Beifall bei der SPD)
Es geht aber nicht nur ums Essen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, was wir „Ernährungsumgebung“ nennen. Dazu gehören auch die Mensen, in denen die Kinder ihr Essen einnehmen. Die sollten freundlich, hell und einladend sein. Aber das ist noch längst nicht überall erreicht. Es gibt viel zu tun, wenn wir ideale Rahmenbedingungen für unsere Kinder wollen.
Unser Land ist ein gespaltenes Land. Ich weiß, das hört niemand gerne, aber Fakt ist: Einkommen und Lebenschancen sind sehr unterschiedlich verteilt. Kinder leiden in besonderer Weise unter Ungerechtigkeit und mangelnden Teilnahmemöglichkeiten und können persönlich an ihrem Umstand gar nichts ändern. Die SPD-Fraktion will mit einer Studie die Ursachen und Folgen der sogenannten Ernährungsarmut in Deutschland näher beleuchten, um angemessen reagieren zu können. Um diese Studie zu finanzieren, brauchen wir natürlich Geld im Haushalt – Geld, das aber gut angelegt ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir können den Kindern aber schon jetzt helfen. Daher will die SPD-Fraktion Projekte zur Ausgabe eines gesunden Frühstücks unterstützen. Wir wollen daneben das kostenlose Mittagessen und einen flächendeckenden Ernährungsführerschein gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten. Wer sagt denn, dass Eltern nicht auch einmal von ihren Kindern lernen können? Das ist jedenfalls die Hoffnung, die hinter dieser Idee steckt.
(Beifall bei der SPD)
Im Gutachten zur nachhaltigen Ernährung des Wissenschaftlichen Beirats heißt es zum Thema „Beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung“: „Alle Kinder profitieren!“ Diskriminierung und Stigmatisierung entfallen. Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit werden dauerhaft gestärkt. Kita- und Schulverpflegung sind ein Element gesamtgesellschaftlicher Daseinsvorsorge. – Diese Botschaften teile ich uneingeschränkt, und ich wünsche mir, dass sie zum Maßstab unseres Handelns werden.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Frau Ministerin, Sie nennen Ihr Ministerium gerne „Lebensministerium“. Ich finde, das ist ein richtig schöner Begriff. Wie wäre es denn, wenn wir diesem Begriff gemeinsam noch mehr Leben einhauchen würden? Das könnten wir tun, wenn wir das Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel und eine deutliche Reduzierung des Zuckergehaltes in den von Kindern so geliebten Limonaden auf den Weg bringen würden. Dafür braucht man nicht einmal Geld in die Hand zu nehmen. Man muss nur den politischen Willen haben, das zu tun.
Wenn wir dann auch noch eine klinische Studie zum Gefährdungspotenzial von Energydrinks miteinander verabreden könnten, hätten wir viel für unsere Kinder und Jugendlichen getan, und ich wäre glücklich.
(Beifall bei der SPD)
Zum Schluss möchte ich noch ein Herzensthema von mir ansprechen; das ist die Lebensmittelverschwendung. 12 Millionen bis 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen jährlich im Müll. Deswegen haben wir die Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung im Februar letzten Jahres beschlossen. Diese Strategie beruht auf Freiwilligkeit. Das ist wirklich schade, weil sich eigentlich alle Experten einig waren, dass die Zeit der Freiwilligkeit und der Appelle in diesem Bereich vorbei ist. Die SPD – das ist auch kein Geheimnis – will eine gesetzliche Lösung.
Ohne die Tafeln und die anderen Lebensmittelretter, Frau Klöckner, sähe unsere Bilanz wahrscheinlich noch sehr viel schlechter aus. Ich bin sehr froh, dass die Tafeln immerhin von der Sondermaßnahme „Ehrenamt stärken. Versorgung sichern.“ profitieren konnten; denn allein die Tafeln retten jedes Jahr 264 Tonnen Lebensmittel. Es könnten noch wesentlich mehr sein, es fehlt ihnen aber an Lager-, Kühl- und Transportkapazitäten.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Ich weiß, Herr Präsident, aber das möchte ich noch kurz zu Ende führen. -
(Lachen bei Abgeordneten der FDP)
Wir sehen den Bund durchaus in der Verantwortung, weil wir die Tafeln als Teil unserer Strategie empfinden.
Frau Kollegin, ich bitte Sie jetzt.
Wir werden fordern, 5 Millionen Euro zur Unterstützung der Tafeln in den Haushaltsplan einzustellen.
Verbunden mit einem herzlichen Dankeschön an alle Lebensmittelretterinnen und ‑retter beende ich meine Rede und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
Frau Kollegin Schulte, was meinen Sie, wie viele Rednerinnen und Redner hier alles zu Ende führen wollen, was sie noch in ihrem Kopf haben? Dann sitzen wir um Mitternacht noch hier.
(Ursula Schulte [SPD]: Ja, manche machen das auch ganz frech, Herr Präsident!)
Ich finde, nun lauschen wir sehr gespannt den Worten des Kollegen Dr. Gero Hocker, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7473271 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 178 |
Tagesordnungspunkt | Ernährung und Landwirtschaft |