30.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 179 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 23

Michael Georg LinkFDP - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, es ist schon eine Chuzpe, dass Sie die 0,7 Prozent hier so deutlich herausheben. Man kann ja darüber streiten, ob diese 0,7 Prozent überhaupt so sinnvoll sind. Wir haben als Fraktion diese Fixierung auf Prozentzahlen, diese quantitative Fixierung anstelle einer qualitativen, immer kritisch gesehen. Aber das jetzt angesichts der schlechten Wirtschaftszahlen herauszuheben, ist schon ziemlich frech.

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!)

Natürlich freuen wir uns, wenn Deutschland entsprechend seiner Verantwortung mehr tut. Wir müssen doch aber gleichzeitig fragen: Wofür geben wir das Geld aus? Deshalb werden wir als Opposition, als FDP-Fraktion sehr genau hinschauen, wofür zum Beispiel die 1,5 Milliarden Euro, die das BMZ letztes Jahr im Nachtragshaushalt erhalten hat, genau ausgegeben werden. Im Ausschuss wurden uns gegenüber ziemlich große Ausflüchte gemacht, wofür es genau eingesetzt wird; das wurde alles nur sehr allgemein beziffert. Das kann so nicht sein. Deshalb werden wir da sehr genau hinschauen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Markus Frohnmaier [AfD])

Uns ärgert auch sehr – insbesondere als Haushälter, aber auch als Fachpolitiker –, dass all das, was im Haushaltsverfahren gemacht wurde, vom Ministerium wieder einkassiert wurde. Die entsprechenden Punkte, an denen wir gemeinsam gearbeitet haben, müssen wir bzw. diejenigen, die sie beantragt haben, offensichtlich wieder neu beantragen.

Und wir werden natürlich auch bei den Sonderinitiativen sehr genau hinschauen. Kollegin Steffen hat zu Recht darauf hingewiesen: Da gibt es durchaus offene Fragen, die die verschiedenen Fraktionen sehen. Das bleibt für uns weiterhin ein Ärgernis. Ich bleibe dabei: Bei keinem anderen Haushalt würde es sich der Haushaltsausschuss gefallen lassen, dem Minister mehr oder weniger 10 Prozent des gesamten Etats im Prinzip zur freien Verfügung zu geben.

Grotesk ist am Haushaltsentwurf allerdings, wenn Sie, Herr Minister, in einer globalen Gesundheitskrise nach dem nennenswerten Aufwuchs im Nachtragshaushalt 2020 bei der multilateralen Zusammenarbeit jetzt dort kürzen, wo in der Tat die international koordinierte Antwort auf die Folgen der Pandemie nötig wäre: minus 20 Millionen Euro für UNICEF, minus 25 Millionen Euro für die Globale Bildungspartnerschaft

(Dr. Gerd Müller, Bundesminister: Das stimmt ja alles nicht!)

– so steht es schwarz auf weiß da drin –, minus 30 Millionen Euro für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen – ich bin gespannt auf die Haushaltsberatungen und ob Sie diesmal im Ausschuss auf Fragen antworten –, minus 200 Millionen Euro für die Programme der Weltbank; stattdessen Aufwüchse von 650 Millionen Euro für die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit. Das wird dem deutschen Anspruch auch hinsichtlich internationaler Verantwortung nicht gerecht.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD] und Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Um es ganz klar zu sagen: Das ist keine Kritik an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von BMZ, GIZ oder KfW. Denen möchte ich im Namen meiner Fraktion ausdrücklich einen Dank dafür aussprechen, dass sie auch unter diesen sehr schwierigen Umständen ihre wichtige Arbeit fortsetzen. Das ist vielmehr eine Kritik an dem Multilateralismus, den die Bundesregierung nach außen lobt, aber dann eben nicht lebt.

Herr Minister, Sie fördern mit Ihrem Haushalt für 2021 mit der großen Gießkanne bilaterale Projekte, die nicht nachhaltig abgesichert sind; denn ab 2021 sackt der Haushalt des BMZ, der Plafond, um 25 Prozent ab. Auch sind die Projekte weder international noch – das ist uns besonders wichtig – mit unseren EU-Partnern koordiniert. In solcher Art von bilateralem Großeinsatz wird das Geld am Ende ohne Wirkung versickern. Aber im Hinblick auf die europäische Einbettung der Entwicklungszusammenarbeit – das wäre der entscheidende Punkt – wird leider sehr wenig gemacht; mein Kollege Olaf in der Beek wird noch einige wichtige Punkte dazu nennen. Ich will nur eins sagen: Sie sind zurzeit ein Meister darin – auch heute wieder –, die EU zu kritisieren; aber gleichzeitig haben Sie doch zurzeit

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ratspräsidentschaft inne!)

gemeinsam mit Herrn Borrell die Ratspräsidentschaft im Entwicklungsministerrat inne.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Bundesminister Dr. Gerd Müller gewandt: Ja, eben! Sie sind doch gerade am Steuer!)

Gestern hat der Rat getagt.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen: Die EU soll mehr Solidarität zeigen. – Die EU sind Sie selbst, das ist kein abstraktes Brüssel.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Bundesminister Dr. Gerd Müller gewandt: Und die Kürzungen haben Sie mitzuverantworten!)

Da bräuchten wir tatsächlich mehr Abstimmung.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Sehr gut!)

Aber wo tun Sie es? Tun Sie es bei der Länderliste, die Sie jetzt reduzieren? Sie reduzieren ja die Aktivitäten – übrigens zum großen Schrecken der Kirchen, der politischen Stiftungen und vieler anderer –, bei denen Sie weltweit auftreten. Es ist zunächst einmal immer sinnvoll, wenn man Dinge auf den Prüfstand stellt. Es ist vielleicht auch sinnvoll, dass man sich auf etwas konzentriert; aber wichtig wäre natürlich, dass dieser Konzentrationsprozess innerhalb der Bundesregierung – Auswärtiges Amt, andere Häuser – und vor allem mit den wichtigen Mittlern und Partnern in der Entwicklungszusammenarbeit abgestimmt ist, also Kirchen, NGOs, Stiftungen. Klar, es wird ihnen mitgeteilt; aber gemeinsam erarbeitet ist dieses Konzept nicht.

Deshalb ist es für mich ein Alarmzeichen, wenn sich das BMZ weitgehend komplett aus Lateinamerika zurückzieht oder zum Beispiel – das ist auch geplant – aus Südosteuropa oder dem Kaukasus – da war doch was; gerade jetzt gibt es wieder Konflikte im Südkaukasus – oder von der indirekten Tätigkeit, die Sie noch in Belarus und in der Ukraine ausüben. Ist es klug, sich aus all diesen Dingen zurückziehen zu wollen? Ist das abgestimmt? Ich glaube, nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Also, uns fehlt sowohl die Abstimmung mit den anderen Ministerien, die in diesem Bereich tätig sind, als auch mit den EU-Partnern; denken Sie mal an die Schweden, die Norweger, natürlich auch die Franzosen oder auch kleine, aber feine Länder wie Österreich oder die Schweiz, die eine ganz wichtige Arbeit machen. Diese Abstimmung fehlt uns weitgehend, und da bleiben Sie weit unter den Möglichkeiten dessen, was wir eigentlich machen könnten.

(Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Uns stehen spannende Haushaltsberatungen bevor, wir freuen uns darauf, und wir hoffen sehr, dass diesmal auch Anregungen aus dem Parlament so aufgenommen werden, wie es sich gehört, nämlich mit offenen Ohren, und dass diese hinterher tatsächlich auch umgesetzt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Link. – Der nächste Redner ist der Kollege Michael Leutert, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7473542
Wahlperiode 19
Sitzung 179
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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