30.09.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 179 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 23

Sascha RaabeSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich muss immer nach dem Kollegen Frohnmaier reden.

(Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Kollege!)

Ich möchte aber schon sagen – damit hier nicht Darstellungen über einen Abend hängen bleiben, an dem ich auch anwesend war –, dass das ein Abend war, an dem sehr schön und beeindruckend

(Zuruf von der AfD: Und teuer! Für den Steuerzahler!)

kulturelle Elemente dargestellt wurden, wirklich schöne Lieder mit Inhalt und großartigen Texten dort dargebracht wurden. – Wissen Sie, über Ihr Kulturverständnis möchte ich lieber nicht reden. Es ist einfach peinlich und beschämend, wie Sie hier kulturelle Darbietungen aus anderen Ländern verächtlich machen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das ist eigentlich keiner Erwähnung mehr wert. Wissen Sie, Sie haben im Ausschuss und hier im Parlament Anträge gestellt, die Entwicklungszusammenarbeit jetzt aufgrund der Pandemie zu streichen, keine Neuzusagen mehr zu machen.

(Markus Frohnmaier [AfD]: Das stimmt nicht!)

– Doch. In Ihrem Antrag steht wörtlich drin: Ein Großteil der Entwicklungsprojekte ist unsinnig, die sollen jetzt gestoppt werden. – Das ist genau das, was Ihr Pressesprecher hier neulich entlarvt hat.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!)

Sie wollen nicht Fluchtursachen bekämpfen, sondern Sie wollen Fluchtursachen schaffen. Sie wollen, dass Menschen aus Armut und Not nach Deutschland flüchten müssen,

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Olaf in der Beek [FDP])

damit Sie das schäbig ausbeuten können, nach dem Motto: Wenn es Deutschland schlecht geht, geht es der AfD gut. Damit haben Sie sich doch entlarvt. Das werden wir nicht zulassen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen Menschen helfen und Fluchtursachen bekämpfen. Wir wollen, dass die Menschen würdig überall da leben können, wo sie wollen. Daher werden wir uns mit Ihrem nationalistischen Unsinn hier nicht weiter beschäftigen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie können auch gar nicht meine gute Laune verderben; denn für mich ist es heute schon ein besonderer Tag; das möchte ich sagen. Es ist mein 19. Haushalt, den ich als Mitglied des Entwicklungsausschusses, als dienstältester Veteran im Parlament in dem Ausschuss, heute hier einbringe. Wer mich kennt, weiß, dass ich bei der Einbringung eines Haushaltes hier 18-mal gestanden habe und jedes Mal entweder gesagt habe: „Es ist viel zu wenig, wir müssen unbedingt noch viel mehr machen“ oder „Es ist ein erster Schritt, aber es muss noch viel mehr sein“. Frau Kollegin Sonja Steffen hat es ja schon gesagt: Wir haben es dann auch immer parlamentarisch geschafft, da noch etwas aufzustocken. Aber es war immer ein wahnsinniger Kampf zwischen Einbringung und zweiter Lesung.

Ich höre im nächsten Jahr hier im Parlament auf und habe jetzt das große Glück, dass ich im letzten Jahr bei meinem 19. Haushalt bei der Einbringung eine Premiere habe und wirklich sagen kann: Toll, dieser Haushalt ist mit 12,4 Milliarden Euro einfach super.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])

Darüber freue ich mich und sage allen – Herrn Minister, Herrn Finanzminister Olaf Scholz, unserer SPD-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion –, die mitgemacht haben, herzlichen Dank dafür. Da haben wir schon bei der Einbringung hier was ganz Tolles geschafft, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ja, es wurden schon Zeitlinien aufgeführt. Sonja hat etwas zu der Zeit seit 2013 gesagt. Als ich 2002 anfing, hatten wir 3,7 Milliarden Euro im Einzelplan 23; die ODA-Quote lag bei 0,27 Prozent. Es war immer unser Traum und unser Ziel, dass wir mal die 0,7 Prozent erreichen, und zwar nicht durch Anrechnung inländischer Flüchtlingskosten, wie das 2016 mal passiert ist, sondern wir werden jetzt die 0,7 Prozent erreichen, einfach mit den großen Steigerungen, die wir geschafft haben.

Wir haben jetzt den sechsten Haushalt in Folge, in dem wir mindestens 1 Milliarde Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen. Wir hatten schon im März 2015 die Eckpunkte mit dem ersten großen Wurf, noch vor der Flüchtlingskrise. Das möchte ich auch mal sagen, weil manchmal so getan wird, als hätten wir nur auf Krisen reagiert. Nein, seit sechs Jahren haben wir über 1 Milliarde Euro pro Jahr mehr Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit.

(Zuruf von der LINKEN: Mal mehr, mal weniger!)

Ich glaube, das sind Dinge, die uns nicht nur stolz machen können, sondern eine Verpflichtung sind, in der Tat dann auch als Parlamentarier zu schauen, in welche Bereiche sie gehen. Da ist klar, Herr Minister – das wurde schon gesagt –: Die multilaterale Ebene werden wir mit Änderungsanträgen wieder stärken. Ich glaube, das ist richtig und wichtig.

Aber trotzdem sollten wir auch gucken, dass wir angesichts von 1 Milliarde Menschen, denen jetzt wieder Hunger droht, die also mangelernährt sind, tätig werden. Es gibt ja nicht nur die vom Hungertod Bedrohten, sondern die Zahl aller, die hungern müssen, ist noch viel höher. Sie ist schon seit 2015 wieder leicht angestiegen, nachdem wir erst mal einen Rückgang des Anteils der Hungernden an der Weltbevölkerung hatten; wir hatten ihn bis 2015 halbiert. Dann ging die Zahl wieder hoch, und jetzt droht sie, wieder auf über 1 Milliarde zu steigen. Und da ist es toll und gut, dass Deutschland in diesem Haushalt so viel macht. Das wird auch geschätzt, glaube ich.

Aber – Herr Minister Müller hat es schon angesprochen – im EU-Haushalt müssen wir da jetzt noch eine kräftige Schippe drauflegen. Ich bin froh, dass Udo Bullmann – das ist sozusagen mein Kollege als Sprecher für die europäischen Sozialdemokraten, so wie ich das hier für die SPD-Fraktion im Bundestag bin – zurzeit gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen und vielen Gutwilligen dafür kämpft, dass dieser Haushalt aufgestockt wird. Das ist ganz klar: Der Haushalt der Europäischen Union muss auch seiner Verantwortung für den Nachbarkontinent Afrika und für alle Entwicklungsländer und alle Menschen, die von Hunger und Not bedroht sind, gerecht werden. Das sollten wir als starkes Signal von diesem Parlament nach Brüssel schicken, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Johannes Selle [CDU/CSU])

Genauso müssen auch alle anderen Geberländer ihren Verpflichtungen nachkommen. Ich sagte, wir erreichen dieses Jahr, 2020, sicherlich das 0,7-Prozent-Ziel. Im Schnitt kommen die anderen Geberländer aber nur auf 0,3 Prozent ODA-Leistungen. Ich denke, da muss noch einiges getan werden. In der letzten Sitzungswoche hatten wir eine Debatte über die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele. Wenn man sieht, dass wir international ganz schön im Hintertreffen sind, was die Bekämpfung von Hunger und Armut angeht, dann müssen sich einige ganz kräftig an die Nase fassen.

Ich sage auch: Ich fand es fair, Frau Kollegin Hajduk, dass Sie als Vertreterin der Grünen auch gelobt haben, dass die 12,4 Milliarden Euro ein wirklich großer Schritt sind; denn das haben wir mit dem Finanzminister vereinbart. Gerd Müller weiß das. Gerd Müller und ich persönlich haben das mit ihm besprochen, und er hat Wort gehalten. Wir haben gesagt: Wir wollen nicht das gesamte Paket im Jahr 2020 ausgeben; denn das hätten wir gar nicht mehr schaffen können. Wir haben erst im Juli den Nachtragshaushalt beschlossen. Ich erinnere daran: Die Grünen hatten im April 2 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe gefordert.

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Wir hatten mehr! 4 Milliarden!)

Dann haben wir gesagt: Wir wollen 3 Milliarden Euro. Dann kam Die Linke natürlich mit 4 Milliarden Euro.

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!)

Und am Ende haben wir zusammen 3,55 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitgestellt.

Dann haben wir aber gesagt: Wir wollen nicht den Etat des Einzelplans 23, also die gesamten 3,1 Milliarden Euro – von 10,9 Milliarden auf 14 Milliarden Euro –, im Jahr 2020 nehmen, sondern wir wollen das lieber auf zwei Jahre verteilen, damit es langfristig abfließen kann, und – das ist mir ganz wichtig – die 12,4 Milliarden Euro, die wir im Haushalt 2021 haben, müssen dann noch der Sockel für die kommenden Haushalte sein.

(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

Sie haben zu Recht die Finanzplanung angesprochen. Dazu sage ich Ihnen als Kollege, der schon sehr lange dabei ist, aber auch – Sie können gerne einen Faktencheck machen –:

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber so groß war die Schere noch nie, Herr Raabe!)

Schon seit 20 Jahren war die Finanzplanung für den internationalen Bereich immer beschämend niedrig. Wir als Parlamentarier haben es zum Glück jedes Mal geschafft, extrem viel draufzulegen.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber diesmal sind es nur 3 Milliarden!)

In dieser Legislatur hatten wir eine Finanzplanung, Frau Kollegin, die dem Koalitionsvertrag zugrunde lag, der 51. Finanzplan. Nach der Finanzplanung wären es jetzt 8,7 Milliarden Euro gewesen. Wir liegen jetzt 4 Milliarden Euro über der Finanzplanung des Koalitionsantrages. Dazu haben wir als Parlament unseren Beitrag geleistet, und ich freue mich, weil ich davon ausgehe, dass die Grünen mit großer Wahrscheinlichkeit in einer nächsten Regierungskoalition sein werden, egal mit wem. Aber – ich höre ja auf – das will ich ganz genau sehen; ich kann Sie nur ermutigen – dann schaffen Sie auch das, was ich, was wir Sozialdemokraten geschafft haben, und erhöhen Sie auch die Mittel faktisch! Denn die Finanzplanung beschließen wir nicht im Parlament; das ist eine Absichtserklärung der Regierung. Wir beschließen im Parlament den Haushalt. Dann können Sie als Grüne schauen, ob Sie das so gut machen wie wir Sozialdemokraten. Dann können Sie auch mal sehen, ob Sie in der nächsten Legislatur 4 Milliarden Euro über der Finanzplanung landen. Darauf bin ich mal gespannt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wie gesagt, wir haben in dieser Legislaturperiode die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit so erhöht wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik bzw. seit es das Ministerium gibt; denn so lange gibt es das noch nicht. Darauf kann man aufbauen.

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Guck dir mal den Verteidigungsetat im Vergleich zum Entwicklungsetat an!)

Es ist klar – keine Rede von mir kann enden, ohne dass ich das sage –: Wir brauchen noch faire Handelsabkommen mit Nachhaltigkeitskapiteln, die sanktionsbewehrt sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und wir brauchen ein Lieferkettengesetz, das verbindlich ist, das ein Stück weit eine zivilrechtliche Haftung umfasst und

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

das bußgeldbewehrt ist.

Herr Minister, Sie haben das Beispiel Bangladesch genannt. Auch ich habe mit den hinterbliebenen Opfern von Rana Plaza gesprochen. Sie haben gesagt: Hätten wir einen Betriebsrat gehabt,

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Genau!)

dann hätten wir gesagt: Wir wollen nicht wieder in die Fabrik. – Wenn die ILO-Kernarbeitsnormen in solchen Ländern garantiert werden, dann müssen wir das über Handelsverträge absichern.

Herr Raabe, auch wenn es der 19. Haushalt ist: Es wird Zeit.

Lesen Sie das alles noch mal in meinen vielen Reden nach, in denen ich das alles schon erwähnt habe! Also: Fairer statt freier Handel, Lieferkettengesetz und dauerhaft 0,7 Prozent ODA-Quote. Ich bin stolz auf diesen Haushalt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Georg Kippels [CDU/CSU])

Vielen Dank, Sascha Raabe. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Olaf in der Beek.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7473726
Wahlperiode 19
Sitzung 179
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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