01.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 180 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 07

Christine Lambrecht - Justiz und Verbraucherschutz

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit einem Volumen von 952 Millionen Euro ist der Haushalt für Justiz und Verbraucherschutz verhältnismäßig klein. Auf ihn entfallen nicht einmal 0,25 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Doch diese Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, mit welch wichtigen, relevanten Fragen wir uns mit diesen bescheidenen Mitteln dennoch beschäftigen und auch die Lösungen dafür bieten.

Die Fragen liegen auf der Hand: Wie schützen wir unsere Demokratie vor Vergiftung und Hass? Wie sorgen wir dafür, dass unsere Kinder in Sicherheit aufwachsen?

(Fabian Jacobi [AfD]: Lösen Sie die SPD auf! Das wäre ein guter erster Schritt!)

Wie verwirklichen wir die Gleichstellung von Frauen und Männern? Wie erreichen wir es, dass die ehrlichen Kaufleute nicht die Dummen sind? Und wie stellen wir sicher, dass niemand wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird? Das sind nur einige der drängenden Fragen, mit denen mein Ressort befasst ist. Ich werde Ihnen zeigen: Das Haushaltsgeld, diese 952 Millionen Euro im Geschäftsbereich sind gut angelegt. Denn wir verfolgen eine zeitgemäße Rechtspolitik, meine Damen und Herren.

Was tun wir konkret? Wir haben den Kampf gegen Hass im Netz aufgenommen. Der freie Meinungsaustausch ist ein Lebensprinzip unserer Demokratie. Doch diese freie Meinungsäußerung, dieser Austausch wird bedroht, bedroht von hemmungslosen Beschimpfungen in den sozialen Netzwerken, bedroht von verbaler Gewalt, mit der Menschen mundtot gemacht werden sollen,

(Fabian Jacobi [AfD]: Schauen Sie sich mal Ihre Partei an! Da finden Sie genau das!)

und bedroht von Worten des Hasses, die im schlimmsten Fall zu Taten werden. Gegen solche verbale Gewalt gehen wir entschlossen vor, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden die sozialen Netzwerke stärker in die Pflicht nehmen. Wir verpflichten sie nämlich, in Zukunft schwere Hassäußerungen an das Bundeskriminalamt zu melden. Darüber hinaus stellen wir Hassäußerungen konsequenter und härter unter Strafe. Wer Beleidigungen öffentlich begeht, wer Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker verleumdet oder herabwürdigt, wer seine Mitmenschen bedroht oder Straftaten billigt, der wird künftig härter bestraft.

(Beifall bei der SPD – Fabian Jacobi [AfD]: Erklären Sie das mal den Kollegen bei der Staatsanwaltschaft!)

Dieses Haus hat unseren Gesetzentwurf im Juni mit großer Mehrheit verabschiedet, und auch der Bundesrat hat es gebilligt. Aber wie Sie wissen, ist danach eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen, die Anpassungen erforderlich macht, und diese Anpassungen werden wir sehr zügig vornehmen; denn wir sind es den Opfern von Hass und Hetze schuldig.

(Beifall bei der SPD)

Was tun wir noch, um das Leben der Menschen in unserem Land zu verbessern? Wir müssen unsere Kinder konsequenter schützen, ohne Wenn und Aber. Dabei liegt das ganze Augenmerk auf dem Kampf gegen die sexualisierte Gewalt an Kindern. Diese widerlichen Taten fügen Kindern unermessliches Leid zu. Wir werden diese Gräueltaten deshalb strenger bestrafen – als Verbrechen. Auch den Besitz von Kinderpornografie werden wir künftig als Verbrechen bestrafen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Außerdem werden wir besondere Qualitätsanforderungen für Familienrichter und Verfahrensbeistände festlegen und so auch die Präventionsarbeit stärken. Und schließlich werden wir den Verfolgungsdruck massiv erhöhen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Bereits im Januar haben wir den Verfolgungsbehörden neue Instrumente an die Hand gegeben; ich nenne nur das Stichwort „computergenerierte Bilder“. Damit ist es den Ermittlern in Zukunft möglich, in Chatrooms, beispielsweise im Darknet, solche widerlichen Täter aufzuspüren und damit Kinder vor weiterem Missbrauch zu schützen. Das ist ein ganz wichtiges Ermittlungsinstrument.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU] und Stephan Thomae [FDP])

Doch dabei werden wir es nicht belassen. Die Möglichkeiten zur Anordnung von Untersuchungshaft für solche Täter werden wir erweitern, und wir werden den Ermittlern auch die Möglichkeit an die Hand geben, die Vorratsdatenspeicherung zu nutzen, soweit dies mit deutschem und europäischem Recht vereinbar ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder duldet keinen Aufschub. Deshalb werden wir auch unseren Gesetzentwurf alsbald in das parlamentarische Verfahren geben. Wir senden damit ein klares Signal: Kein Täter kann sich in diesem Land vor einer Entdeckung sicher fühlen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wenn es um besseren Schutz von Kindern geht – auch das will ich an dieser Stelle klar sagen –, darf man sich freilich nicht auf den Kampf gegen sexuelle Gewalt beschränken. Die Belange der Kinder müssen umfassende Berücksichtigung finden. Deshalb reformieren wir das Kindschaftsrecht. Deshalb passen wir das Familienrecht an die neuen Lebensbedingungen, Lebensrealitäten an und sichern Kinder besser ab. Deshalb müssen auch Kinderrechte endlich in das Grundgesetz aufgenommen werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsfraktionen den richtungsweisenden Beschluss gefasst, dieses Vorhaben anzugehen, und ich weiß ja, dass ich den Kollegen Seehofer da ganz eng an meiner Seite habe. Herr Seehofer, ich habe einen sehr abgewogenen Vorschlag vorgelegt, der das Kindeswohl in den Blick nimmt, aber eben nicht, was oftmals befürchtet wird, die Elternrechte beschneidet. Deswegen kann ich in Richtung des Kollegen Seehofer und auch der Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU nur sagen: Lassen Sie den Worten aus dem Koalitionsvertrag endlich Taten folgen! Wir sind es unseren Kindern schuldig, dass die Kinderrechte endlich im Grundgesetz verankert werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nicht nur beim Schutz von Kindern ist in unserem Land noch manches zu tun. Auch in Sachen Gleichstellung brauchen wir konkrete Verbesserungen, und auch das packen wir noch an in dieser Legislaturperiode.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Noch immer sagen viele große Unternehmen: Wir wollen keine Frauen in unserem Vorstand. 70 Prozent haben bei der Abfrage erklärt: Keine Frauen im Vorstand.

(Fabian Jacobi [AfD]: Und das ist ihr gutes Recht!)

Ich sage Ihnen: Das ist ein Schlag ins Gesicht der vielen hochqualifizierten Frauen in unserem Land, und daran muss sich etwas ändern.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb brauchen wir endlich auch für die Vorstandsebene von Unternehmen eine verbindliche Quote, wie wir sie für Aufsichtsräte schon seit vier Jahren haben. Wir brauchen eine Regelung für große börsennotierte Unternehmen, die vorschreibt: Wenn der Vorstand aus mehr als drei Personen besteht, muss mindestens eine Frau mit am Tisch sitzen. Ich denke, das ist im Jahr 2020 keineswegs zu viel verlangt.

(Beifall bei der SPD – Fabian Jacobi [AfD]: Das ist absurd!)

Ich komme zu einem weiteren Thema. Unsere Gesellschaft hat seit Beginn der Coronapandemie viel Solidarität und Charakter bewiesen. Diesen Geist der Fairness und des Zusammenhalts gilt es zu bewahren. Auch dazu leisten wir mit unseren Vorhaben einen Beitrag. Ich erwähne nur das Sanierungs- und Insolvenzrecht. Dazu haben wir einen Vorschlag vorgelegt, der alle Belange in den Fokus rückt. Außerdem verkürzen wir die Dauer der Restschuldbefreiung für überschuldete Verbraucher und Unternehmer. Denn jeder und jede hat eine zweite Chance verdient, wenn er oder sie einmal in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Mietpreisbremse stärker angezogen und die Belastung durch Maklergebühren gesenkt, damit sich alle Menschen eine Wohnung, ein Zuhause leisten können. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen, weil das vorher schon ausführlich Thema war: Das Umwandlungsverbot bzw. das Anheben von Hürden, dass man eben nicht einfach so Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln kann, wie man das möchte, das haben wir miteinander vereinbart.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Deswegen ist dieser Entwurf, wie er auf dem Tisch liegt, keineswegs ressortabgestimmt. Ich kann Ihnen sagen, Herr Seehofer: Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Bei dieser Umwandlung werden wir sehr wohl darauf drängen, dass das, was vereinbart wurde, auch umgesetzt wird.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben ein Gesetz für faire Verbraucherverträge vorgelegt, gegen telefonische Überrumpelung und Knebelverträge etwa mit Mobilfunkanbietern oder Fitnessstudios; denn in einer Gesellschaft, die solidarisch ist und zusammenhält, zieht man sich nicht einfach so über den Tisch. Außerdem machen wir Schluss mit überhöhten Inkassogebühren, gefälschten Produktbewertungen und mit Abmahnmissbrauch.

(Beifall bei der SPD)

Und: Wir sorgen dafür, dass die Geldwäsche effektiv bekämpft wird.

Wenn wir von Wirtschaftskriminalität sprechen, dann kommen wir nicht umhin, auch das Thema Unternehmenssanktionen anzusprechen. Das ist ein ganz wichtiges Thema, das im Koalitionsvertrag ausbuchstabiert wurde wie kaum ein anderes Thema; es wurde en détail klar geregelt. Ich habe daraus einen Gesetzentwurf entwickelt; er liegt auf dem Tisch. Ich kann nur sagen – auch da wieder an die Kolleginnen und Kollegen von der Union und auch an die Kollegin aus dem Kabinett –: Pacta sunt servanda. Wir haben uns darauf verständigt, ich habe vorgelegt, und jetzt müssen wir das auch beschließen. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein. Wer sich an Recht und Gesetz als Unternehmer hält, darf keinen Wettbewerbsnachteil denen gegenüber haben, die tricksen, täuschen und betrügen.

(Beifall bei der SPD – Fabian Jacobi [AfD]: Das gilt auch im politischen Wettbewerb!)

Meine Damen und Herren, eine zeitgemäße Rechtspolitik, die Fairness und Solidarität fördert, die klare Grenzen zieht, wo es notwendig ist, dafür steht mein Haus, dafür stehe ich.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Martin Hohmann.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7473775
Wahlperiode 19
Sitzung 180
Tagesordnungspunkt Justiz und Verbraucherschutz
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