Heidrun BluhmDIE LINKE - Wirtschaft und Energie
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich meine Rede anders beginnen; aber der Herr Minister hat mich gereizt, doch noch mal auf das einzugehen, was er gesagt hat. Er hat gleich am Anfang zum Ausdruck gebracht, dass er sich darüber freut, dass wir so gut durch die Krise gekommen sind. Herr Minister, ich frage Sie: Sind Sie wirklich sicher, dass wir schon durch die Krise durch sind? Sind Sie wirklich sicher, dass der Aufschwung, der sich in einigen Bereichen der Wirtschaft leicht zeigt, schon das Ende der Krise einläutet?
Wir haben die Insolvenzanmeldungspflicht ausgesetzt, die nach wie vor noch nicht wieder gilt. Wir haben die Kurzarbeitergeldregelung. Es sind insgesamt 8 Millionen Menschen in Kurzarbeit, die zum Teil noch nicht aus der Kurzarbeit zurückgekehrt sind, die eventuell unter schwierigen Umständen auch noch zu Arbeitslosen werden können. Ich denke, dass wir an dieser Stelle sehr genau aufpassen müssen, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern nicht etwas versprechen, was wir nicht halten können. Denn darunter leidet Politik im Allgemeinen, und das sollten wir für die Zukunft verhindern.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir müssen Hoffnung machen, klar; gar keine Frage. Aus diesem Grund haben wir in der Vergangenheit die Vorschläge der Regierung mitgetragen. Im Gegensatz zur AfD werfen wir Ihnen nicht vor, dass Sie mehr Geld in die Hand nehmen, um die Krise zu bewältigen. Wir werfen Ihnen vor, wie Sie das Geld ausgeben, welche Prioritäten Sie setzen. Wir sehen auch, dass im Moment nicht alles Geld, das wir mit freigegeben haben, dort ankommt, wo es wirklich hinmuss.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD])
Wir müssen auch sehen, dass es immer noch Unternehmen gibt, die komplett am Boden liegen, die im Moment null Zukunftsperspektive sehen. Was soll aus denen werden? Sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alle Hartz IV-Empfängerinnen, Hartz IV-Empfänger werden? Da müssen wir Hoffnung geben und Akzente setzen. Das liegt mir sehr am Herzen. Das war der Grund, warum ich die erste Seite meiner Rede weggeworfen habe.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, strukturschwache Regionen haben in den vergangenen Monaten unter der Pandemie besonders gelitten. Zum 30. Jubiläum des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland – diese Bemerkung muss auch erlaubt sein – zitiere ich den Kollegen Marco Wanderwitz, unseren Ostbeauftragten: „Einheit ist in Deutschland heute kein Ziel mehr, das irgendwann in einer nahen oder fernen Zukunft liegt. Sie besteht schon heute.“ Er meint, der ganze Einigungsprozess habe überwiegend eine positive Bilanz.
Dagegen steht, dass die Wirtschaftskraft ostdeutscher Bundesländer aktuell nur bei 79,1 Prozent des deutschen Durchschnitts liegt, dass die Lohnunterschiede nach 30 Jahren immer noch nicht bewältigt und immer noch hoch sind, dass bei Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie im Bereich Infrastruktur immer noch enorme Unterschiede zum Westen vorhanden sind und dass der Bericht außerdem die Angleichung der strukturschwachen ländlichen Regionen nicht so widerspiegelt, wie sie wirklich ist; denn von einer Angleichung können wir da noch nicht reden. Das ist aus unserer Sicht ein dicker Widerspruch: die überwiegend positive Bilanz des Ostbeauftragten und dagegen die Wirtschaftsdaten, die erhoben sind. Ostdeutschland ist nach wie vor eine Außenstelle der westdeutschen Wirtschaft und westdeutscher Investoren.
Meine Damen und Herren, bleiben im Haushaltsentwurf für 2021 verschiedene Rahmenpläne – ich zitiere aus dem Einzelplan 10, den ich mitverantworte: „Förderung der ländlichen Entwicklung“ – stabil – man könnte auch sagen: sie behalten den Status quo –, so haben wir simultan zu beobachten, dass wir zusätzlich 200 Millionen Euro in unsere staatsnahen Monopolisten, in die Luft- und Raumfahrt pumpen. Da frage ich mich: Wenn Sie lieber in die Raumfahrt als in die ländlichen Regionen investieren, wie wollen Sie damit die Abwanderung der Menschen in die Städte verhindern? Wo ist die Wertschöpfung für den ländlichen Raum als Anreiz, um selbst Wachstum zu initiieren?
Aber nicht nur die Ost-West-Angleichung bereitet uns Linke Bauchschmerzen. Der Kohleausstieg 2038 ist für uns auch ein Problem. Der Minister spricht von einem historischen Schritt in diesem Zusammenhang. Das Kohlegesetz und die daran gekoppelten Verträge, die Milliardenentschädigungen für die Betreiber und damit das faktische Kohlecomeback sind aus unserer Sicht ein Bruch des Pariser Vertrages. Wir verschenken wieder Milliarden an Steuergeldern an die bisherigen Profiteure. 1,75 Milliarden Euro für die LEAG, 2,6 Milliarden Euro für RWE,
(Thomas Jurk [SPD]: Für Rekultivierung!)
und das, obwohl die Anlagen dieser Unternehmen weitestgehend abgeschrieben sind. Wie wollen wir das den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern erklären? Wenn diese Unternehmen wenigstens mit guten neuen Wirtschaftsideen um die Ecke kämen,
(Thomas Jurk [SPD]: Die haben sie doch!)
dann könnte man über neues Geld reden, aber die sehen wir so nicht. Wir wünschen uns, dass da etwas kommt, aber im Moment liegt dazu noch nicht viel auf dem Tisch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist in unserer Sicht kein historischer Schritt, wie der Minister das sagt, sondern ein historischer Rückschritt. Das können wir heute schon sehen.
Meine Damen und Herren der Koalition, da ich nicht mehr viel Redezeit verbrauchen darf, damit Herr Ernst noch etwas sagen kann,
(Manfred Todtenhausen [FDP]: Ruhig weiterreden! – Heiterkeit)
will ich auf einen Punkt noch eingehen.
Das ist richtig erkannt.
Da Sie 600 Millionen Euro für Zukunftsinvestitionen in die Fahrzeugindustrie stecken wollen,
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Da freut sich der Porsche-Fahrer Ernst!)
möchte ich daran erinnern, dass Kalifornien mit dem Verbot von Benzinern und Dieselfahrzeugen ab 2035 vorgelegt hat. Es wäre schön, wenn ein solches Signal auch von Deutschland ausginge.
Am Ende eine persönliche Bemerkung. Ich muss wegen eines Berichterstattergesprächs leider die Runde etwas früher verlassen.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Oh!)
Ich wünsche mir, dass die Kolleginnen und Kollegen, denen ich dann nicht mehr zuhören kann, mir das vergeben.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Der Beginn Ihrer Rede war sehr gut!)
Das Wort hat Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7473807 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 180 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaft und Energie |