Grigorios AggelidisFDP - Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende April habe ich für uns Freie Demokraten hier festgestellt: Jede Familie in diesem Land ist systemrelevant. – Es freut mich, dass das bei der CDU mittlerweile angekommen ist.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Ohne Eltern keine Kinder, ohne Kinder keine Zukunft! Deshalb haben wir es 2018 ausdrücklich begrüßt, dass die Bundesregierung gesagt hat, dass sie die Familien in den Mittelpunkt stellen will. Im Sturm des Jahres 2020 zeigt sich allerdings – das muss ich als Norddeutscher feststellen –: Sie sind für Familien Schönwetterkapitäne.
(Beifall bei der FDP – Marianne Schieder [SPD]: Na, na, na!)
Die Bundesregierung hat die Interessen von Familien lange nach hinten geschoben – ich finde es schön, Frau Stadler, dass Sie das bestätigt haben –, sodass Eltern und Kinder zu den großen Verlierern der Coronakrise zählen. Familie 2020 bedeutet, sich dauerhaft am erschöpften Rand unserer Gesellschaft statt im Mittelpunkt zu fühlen. Es sind vor allem die Frauen, die einen Spagat zwischen Beruf, Kinderbetreuung, Homeschooling und Pflege eingehen müssen, der sie bis ans Ende ihrer Kräfte bringt, und sich dann von Frau Giffey noch anhören müssen: Homeoffice und Kinderbetreuung ist anstrengend, aber möglich.
Sie agieren auch hier zu kurzsichtig, und Sie agieren auch in Zukunftsfragen kurzsichtig. Gerade jetzt, im Herbst, leben Eltern nach wie vor mit der ständigen Sorge vor erneuten Kita- und Schulschließungen. In Friesland, meinem Heimatlandkreis in Niedersachsen, sind gestern wieder Schulen ins Wechselmodell gegangen. Dies ist eine reine Vorsichtsmaßnahme wegen steigender Infektionszahlen, obwohl sie weit unter der Grenze von 50 pro 100 000 liegen. Die Eltern sind jedoch in purer Verzweiflung.
Wir wissen, dass alles Menschenmögliche getan werden muss, damit Kitas und Schulen regulär funktionieren. Deswegen fordern wir hier auch eine Bildungs- und Betreuungsgarantie. Hier ist der Bund auch mit in der Verpflichtung, das mit den Ländern entsprechend umzusetzen.
(Beifall bei der FDP)
Frau Familienministerin, für Notsituationen und Notfälle müssen Sie jetzt vorsorgen. Deshalb fordern wir Sie unter anderem auf, die Einkommensentschädigung für die Zeiten, in denen Kitas und Schulen geschlossen werden – falls es denn zum Äußersten kommt –, für die gesamte Dauer der Krise sicherzustellen. Beim Kurzarbeitergeld haben Sie es ja hinbekommen, und Sie haben es sogar bis Ende 2021 verlängert. Wieso diese Regelung für die Eltern nicht gilt, ist für mich nicht nachvollziehbar – und für die Eltern auch nicht.
(Beifall bei der FDP)
Daneben fordern wir, die geltende maximale Anzahl an Krankentagen pro Kind für Eltern für die Dauer der Coronakrise auszusetzen. Hier nur eine Erhöhung um fünf Tage für das ganze Jahr vorzunehmen, ist völlig absurd.
Aber auch bei der Hauptleistung aus dem Familienetat agieren Sie halbherzig und zulasten von Eltern. Wir fordern Sie auf: Berücksichtigen Sie beim Elterngeld endlich Insolvenz- und Krankengeld bei der Berechnung des Elterngeldes, damit Familien in einer besonders schwierigen Situation nicht auch noch durch ein viel zu niedriges Elterngeld die finanzielle Basis entzogen wird. Ich bin gespannt, ob die CDU/CSU – Nadine Schön ist darauf eingegangen – auch in diesem Punkt auf uns zugehen wird. Bei den Frühchen scheinen Sie es endlich verstanden zu haben.
(Beifall bei der FDP)
Nutzen Sie die Chancen der Digitalisierung, nicht nur für die Antragstellung, sondern für die gesamte Bearbeitung. Feiern Sie sich nicht für die digitale Antragstellung allein, wenn durch eine langsame und analoge Bearbeitung Eltern monatelang auf ihr Geld warten müssen, sondern digitalisieren Sie den ganzen Prozess, damit Eltern innerhalb einer Woche nach Antragstellung eine Antwort haben. Geben Sie auch endlich Pflegeeltern Elterngeld; sie haben es verdient.
(Beifall bei der FDP)
Auf zwei Punkte möchte ich in diesem Zusammenhang kurz eingehen, weil sie für gute Chancen für alle Kinder sprechen. Ich persönlich halte es für einen Skandal, dass ein halbes Jahr nach der Anhörung im Familienausschuss und angesichts der Tatsache, dass die gesamte Legislatur fast zu Ende ist, Pflegekinder, Care Leaver und Heimkinder 75 Prozent des Geldes, das sie verdienen, gegebenenfalls immer noch an die Kommunen abgeben müssen. Das sollte schnellstmöglich geändert werden. Wir fordern das.
(Beifall bei der FDP)
Wenn wir über Kinderarmut sprechen: Kinderarmut ist – da gebe ich der CDU/CSU recht – nicht nur eine Frage der materiellen Existenz, sondern vor allem eine Frage der Chancen und der Bildungsfairness. Deswegen haben wir mit unserem Kinderchancengeld eine digitale Lösung vorgelegt, mit der wir auf der einen Seite die materielle Existenz automatisiert und ohne große Anträge den Eltern, den Familien und vor allem den Kindern zukommen lassen wollen. Auf der anderen Seite wollen wir in Zukunft den Schwerpunkt vor allem auf das Thema Bildung und Teilhabe legen: über ein digitales Chancenpaket, über einen klaren Zugang, den die Kinder sofort bekommen, über einen einfachen, direkten und niederschwelligen Zugang, damit alle Kinder, egal in welchem Umfeld sie geboren wurden, gute und faire Chancen auf ein selbstständiges und erfolgreiches Leben haben.
Ich möchte zum Schluss einen kurzen Satz zum Ehrenamt sagen, weil meine Vorredner darauf eingegangen sind. Was ich vermisse, ist, dass die Bundesregierung und die Koalition endlich entschlossen entbürokratisieren und das Ehrenamt von Lasten befreien. Eine Zivilgesellschaft, die stark für unsere Demokratie ist, ist vor allem eine Zivilgesellschaft, die frei von Zwängen ist und vor allem nicht abhängig von Projektmitteln der Exekutive ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das war jetzt ein kurzer Satz, Kollege. Die Zeit ist abgelaufen.
Lassen Sie uns für die Familien die bestmögliche Politik machen. Wir haben Ihnen gute Lösungen aufgezeigt. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.
Danke.
(Beifall bei der FDP)
Der nächste Redner: für die Fraktion Die Linke der Kollege Norbert Müller.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7473835 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 180 |
Tagesordnungspunkt | Familie, Senioren, Frauen und Jugend |