01.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 180 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 17

Norbert MüllerDIE LINKE - Familie, Senioren, Frauen und Jugend

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits vor der Coronapandemie haben in Deutschland 2 Millionen Kinder in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften gelebt, waren auf Hartz IV angewiesen. Bis zu 4,4 Millionen Kinder, so der Deutsche Kinderschutzbund, leben in Armut oder in verdeckter Armut, und das war schon vor Corona ein gesellschaftlicher Großskandal.

(Beifall bei der LINKEN)

In der letzten Woche hat das Deutsche Kinderhilfswerk gemeinsam mit forsa eine Umfrage vorgelegt. Danach sagen 64 Prozent der Befragten, sie gehen davon aus, Kinderarmut ist in der Coronazeit sogar noch gestiegen. Gemessen nach den Anhängern der Koalitionsparteien, also den Wählerinnen und Wählern von SPD, CDU und CSU, sagen in allen Fällen über 60 Prozent – das sind Ihre eigenen Wähler –, sie gehen davon aus, in der Coronazeit ist Kinderarmut gestiegen. Das ist ein Armutszeugnis für die Parteien der Großen Koalition. Sie hätten im Haushalt darauf reagieren müssen. Sie haben das versäumt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum denken die Menschen das? Sie denken das, weil sie in ihrem Alltag erleben, dass Menschen über Monate in Kurzarbeit sind, von der sie am Ende nicht leben können, vor allen Dingen, wenn sie schon vorher zu wenig verdient haben. Sie erleben Soloselbstständige, die die Bundesregierung direkt zu den Jobcentern und damit in Hartz IV schickt, und eine Bundesregierung, die nicht in der Lage ist, sie vernünftig auszustatten und vernünftig zu retten. Sie erleben, dass Menschen in prekärer Beschäftigung mit Minijobs, mit Werksverträgen oder in Leiharbeit unmittelbar ihre Jobs verloren haben, und sie erleben eine gestiegene Arbeitslosigkeit. In all diesen Familien leben Kinder. Wenn es dort zu Armut kommt, dann löst das neue Kinderarmut aus. Deswegen wäre die richtige Antwort auf die Coronapandemie gewesen, endlich eine Kindergrundsicherung einzuführen, die existenzsichernd und armutsfest ist.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Linke haben einen Vorschlag für eine Kindergrundsicherung vorgelegt, die im Wesentlichen auf zwei Säulen basiert. Erstens. Wir wollen das Kindergeld auf 328 Euro erhöhen – das fordere ich hier schon seit einigen Jahren –, damit wenigstens das Kindergeld so hoch ist wie die maximale steuerliche Entlastung nach dem Kinderfreibetrag. Zweitens. Wir wollen in einer zweiten Säule einen Zuschlag von bis zu 302 Euro zahlen, elterneinkommensabhängig und nach dem Alter gestaffelt. Damit kommen Sie auf am Ende eine Kindergrundsicherung von bis zu 630 Euro. Das ist armutsfest, und das würde jedem Kind in diesem Land gerade in der Coronazeit eine Perspektive geben. Aber Sie machen das Gegenteil: Sie schicken immer mehr Menschen und immer mehr Kinder in Hartz IV.

(Beifall bei der LINKEN)

Was fehlt im Haushalt noch? Die Bundesregierung hat – sehr spät, aber immerhin – erkannt, dass es richtig ist, den Freizeitbereich in der gesamten Kinder- und Jugendhilfe zu retten, also von der Jugendverbandsarbeit über laufende Kinder- und Jugendarbeit bis hin zu den deutschen Jugendherbergen, zu den Schullandheimen, zu den Kiezen, zu den Bildungsstätten. Hier ist jetzt endlich Geld geflossen, und die Einrichtungen werden damit bis Ende des Jahres überleben. Aber was zur Hölle passiert im nächsten Jahr? Für nächstes Jahr ist dafür im Haushalt keine Vorsorge getroffen worden. Corona ist doch nicht am 31. Dezember vorbei, auch nicht für die Jugendherbergen, die Schullandheime und die Jugendverbände. Nein, wir brauchen eine Fortschreibung der Rettungspakete. Wir brauchen die Mittel dafür im Haushalt, damit diese komplette, wichtige Freizeitlandschaft für Kinder und Jugendliche, die sehr einzigartig ist, wenn wir uns die europäischen Verhältnisse insgesamt ansehen, nicht den Bach runtergeht und auch das Jahr 2021 übersteht.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Wir sind mitten im Tarifkampf des öffentlichen Dienstes. In dieser Woche haben deutschlandweit Erzieherinnen und Erzieher in Kitas gestreikt. Ich weiß, das ist wahnsinnig schwierig, jetzt ausgerechnet nach den letzten Monaten zu sagen: Wir schließen die Kitas, wir gehen in den Warnstreik. – Wir als Linke stehen solidarisch an der Seite der Kolleginnen und Kollegen in den Kitas, aber auch bei den Müllabfuhren, in den öffentlichen Verwaltungen und in allen anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes; denn genau sie sind es gewesen, die gerade in den Kitas unter hohem persönlichen Einsatz und unter großem gesundheitlichen Risiko ihren Arsch hinhalten, die jeden Tag auf Arbeit gehen, wissend, dass es drohen kann, dass sie sich mit Covid-19 anstecken, dass sie erkranken könnten. Sie machen das trotzdem, und sie bekommen dafür von den kommunalen Arbeitgebern nichts. Die kommunalen Arbeitgeber sagen: Unsere Kassen sind leer. – Es hat was mit der Bundespolitik zu tun, dass die Kassen in den Kommunen leer sind.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir brauchen eine bessere Ausstattung der Kommunen, und wir brauchen endlich ein Angebot des Kommunalen Arbeitgeberverbands für genau diese Beschäftigten. Wir haben entsprechende Anträge vorgelegt. Wir fordern, mindestens für die Coronazeit den Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe und in den Kitas einen Bruttozuschlag von 25 Prozent zu zahlen. Das wäre eine angemessene Entlohnung. Dauerhaft brauchen wir eine Aufwertung dieser Berufe; denn sie sind systemrelevant. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ihr seid systemrelevant. Die Linke steht an eurer Seite.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Die nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Ulle Schauws.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7473836
Wahlperiode 19
Sitzung 180
Tagesordnungspunkt Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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