Jens KestnerAfD - Vereinbarte Debatte "30 Jahre Deutsche Einheit"
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen und zu Hause vor den Bildschirmen! Jeder hat seine eigene Sicht der Dinge, wenn er auf 30 Jahre deutsche Einheit zurückblickt. Für den einen sind es überwiegend glückliche Erinnerungen, für andere Erinnerungen und Erfahrungen, die bitter und schmerzhaft waren und sogar das eigene Leben und das Leben der Familie bis heute tragisch begleiten.
Mit Blick auf Niedersachsen muss man sagen: Wir hatten die längste gemeinsame Grenze mit der damaligen DDR über eine Länge von 549,9 Kilometern, die sich von Bleckede an der Elbe bis Friedland im Eichsfeld erstreckte. Für mich persönlich, der 1971 in Niedersachsen im sogenannten Zonenrandgebiet geboren wurde und dort auch aufwuchs, gehörten die DDR und die Grenze zum Alltag. Wir lernten in der Schule, dass unsere Brüder und Schwestern in der Deutschen Demokratischen Republik leben und wir ein gemeinsames, wenn auch geteiltes Volk waren. Die Familienbande und Schicksale kannte ich nur aus Erzählungen meiner Eltern.
Den Blick in den Osten gab es für uns, gab es für mich ganz persönlich nur durch die staatlichen Programme der DDR. Hier wurde ich bekannt mit der unsäglichen Propaganda von Karl-Eduard von Schnitzler und dem „Schwarzen Kanal“, aber auch mit Pittiplatsch, Moppi und Schnatterinchen oder „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser“ jeden Sonntag um 10 Uhr. Aber all das war der Blick für mich, für uns nur aus der Ferne in die damalige DDR.
Über Nacht veränderte sich für uns im Westen die Sichtweise. Plötzlich gab es die Montagsdemonstrationen, die friedlichen Menschen auf den Straßen ab September 1989, dann die historische Pressekonferenz am 9. November, in der vom SED-Funktionär Günter Schabowski die Reiseregelung seines Wissens „sofort, unverzüglich“ in Kraft gesetzt wurde. Ab da überschlugen sich die Ereignisse, und alles zusammen führte zum Ende des SED-Regimes.
Wenn ich ganz persönlich nach 30 Jahren zurückblicke, dann gibt es für mich viele besondere Erinnerungen an diese Zeit. Da wäre die erste Fahrt mit Freunden über die innerdeutsche Grenze nach Nordhausen. Das war für mich, wenn ich mich so erinnere, ein Gefühl wie eine Zeitreise in eine graue, triste Welt mit viel Smog und dem ganz besonderen Geruch, der in der Luft lag. Da waren aber auch die Menschen nach der Grenzöffnung in meiner Geburtsstadt Northeim, die mit der Bahn kamen oder mit ihren Trabis die Stadt fluteten, die dort ihr Begrüßungsgeld abholten, und die Volksfeststimmung, die in der Luft lag, die man förmlich greifen konnte.
Da waren Mitte, Ende der 90er-Jahre meine Soldaten beim Panzerbataillon 24 in Braunschweig aus Sachsen, aus Sachsen-Anhalt und Thüringen, für deren Ausbildung ich verantwortlich war. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Panzerschütze Zielke im Guten wie im Besonderen. Herr Zielke, falls Sie heute zuschauen: Ich möchte mich bei Ihnen für die kameradschaftliche Zeit zusammen in Braunschweig bedanken. Überhaupt sind mir die Kameraden von damals in guter Erinnerung geblieben, nicht nur wegen ihres Dialekts, sondern auch, weil sie wussten, was im Leben zählt und was wichtig ist.
Wie ich schon sagte: Ich habe überwiegend nur positive Erinnerungen an die letzten 30 Jahre, in denen wir ein Volk geworden sind, gerade auch wegen der vielen besonderen Menschen, die ich in dieser Zeit kennenlernen und auch lieben lernen durfte. Wenn ich von Liebe spreche, dann meine ich meine Frau Anja aus Sachsen-Anhalt, die ihre Kindheit und ihre Jugend in der DDR verbrachte und mit der mich jetzt eine ganz persönliche deutsch-deutsche Geschichte verbindet.
(Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zusammen wird uns oft bewusst, dass wir zwar in unterschiedlichen Systemen aufgewachsen sind, mit unterschiedlichen Prägungen, aber dass wir vereint sind durch unsere Sprache und vor allem den Gedanken, dass wir alle ein Volk sind und waren, trotz aller Hindernisse und Vorurteile, die es in diesen 30 Jahren gab.
30 Jahre Einheit bedeutet für mich, dass zusammengefunden hat, was zusammengehört. Unser Volk ist trotz langer Trennung zusammengewachsen, und wir, die aus dem ehemaligen Westen kommen, sollten nicht vergessen, dass es unsere Brüder und Schwestern im Osten unserer Republik waren, die den Weg für ein gemeinsames Deutschland bereitet haben. Ich möchte mich bei unserem Volk auch nach 30 Jahren noch ganz herzlich bedanken, dass sie diesen Schritt gegangen sind.
(Beifall bei der AfD)
Abschließend möchte ich aber auch sagen, was mich traurig stimmt, nämlich wenn Menschen mir heute in persönlichen Gesprächen sagen: Herr Kestner, ich habe wieder so ein Gefühl wie damals vor der Wende, bevor es um Einigkeit, Recht und Freiheit ging. Ich muss mir überlegen, wem ich etwas erzähle, was ich ihm erzähle. Ich habe Angst vor Stigmatisierung. Ich habe Angst, meinen Arbeitsplatz zu verlieren. Ich habe Angst, Freunde zu verlieren. Ich habe Angst, im Verein dumm angeschaut zu werden. – Und all jene, die heute hier sitzen, die sollten sich das noch einmal auf die Fahnen schreiben. Wenn ich Sie beim Wort nehme, dann tun Sie auch etwas dafür, dass sich dieses Gefühl bei unseren Menschen nicht wieder manifestiert, dass sich das wiederholt, was sie abgelegt haben, als sie auf die Straße gegangen sind, als sie gesagt haben: Wir möchten Einigkeit, Recht und Freiheit, wir möchten ein Teil dieses Landes sein, wir möchten vereinigt sein mit unseren Brüdern und Schwestern im Westen. – Geben Sie diesen Menschen nicht nur das Gefühl, sondern handeln Sie auch entsprechend.
Herr Brinkhaus, abschließend möchte ich Ihnen noch sagen – ich habe Ihrer Rede zugehört –: Wenn Sie so viel für Ihr Volk tun würden, wie Sie es für Europa tun, dann wäre vieles besser.
Vielen Dank.
(Beifall bei der AfD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)
Jetzt hat das Wort die Kollegin Daniela Kolbe, SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7474267 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 181 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte "30 Jahre Deutsche Einheit" |