Torsten HerbstFDP - Vereinbarte Debatte "30 Jahre Deutsche Einheit"
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen Tagen werde ich gelegentlich gefragt: Was bedeutet für Sie persönlich der Tag der Deutschen Einheit? Der 3. Oktober ist für mich ein Tag der Freude, der Freiheit und der neuen Chancen, der gerade mir, in meiner Generation, Möglichkeiten geschaffen hat, die wir zu DDR-Zeiten nie hatten, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ohne Wiedervereinigung hätte ich kein Abitur machen können, ich hätte nicht in Großbritannien studieren können, ich hätte nicht am Aufbau eines freien und demokratischen Jugendverbandes mitwirken können, und ich würde heute nicht vor Ihnen stehen. Deshalb bin ich für die deutsche Einheit dankbar und demütig, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])
In Freiheit zu leben ohne Zwänge und Repression: Dass das nicht so ist, ist für die heutige junge Generation unvorstellbar. Es ist unvorstellbar, dass an einer Grenze geschossen wird, dass Menschen ins Gefängnis kommen, nur weil sie eine vermeintlich falsche Meinung haben, und dass Eltern die Kinder entrissen werden, nur weil sie sich gegen das System stellen, meine Damen und Herren. Das war real existierender Sozialismus. Ich bin froh, dass wir ihn überwunden haben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])
Gregor Gysi hat kürzlich gegenüber dem „Kurier“ aus Österreich gesagt – ich zitiere –:
Der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes war, als ob der arme Neffe in die Wohnung der reichen Tante zieht. Er hatte dort nichts zu bestimmen.
Was für ein schräges Bild, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Millionen Menschen hatten in der DDR nichts zu bestimmen, weil Wahlen eine Farce waren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Warum war eigentlich der Neffe arm? Er war doch nicht deshalb arm, weil die Menschen sich in der DDR nicht angestrengt haben. Sie haben härter gearbeitet unter widrigeren Bedingungen, länger gearbeitet, und die Planwirtschaft hat sie um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Auch das muss man mal zur Kenntnis nehmen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
Ich bin allen dankbar, die im Herbst 1989 auf die Straße gegangen sind und sich wie ich an den Montagsdemonstrationen beteiligt haben. Denn ohne die Friedliche Revolution wäre es niemals zur deutschen Einheit gekommen. Und ja, die deutsche Einheit war für die Ostdeutschen eine neue Erfahrung – positiv, aber auch mit neuen Härten. 70 Prozent aller Arbeitnehmer mussten sich einen neuen Job suchen. Wenn wir uns das heute vorstellen, kann man eigentlich kaum nachvollziehen, was das bedeutet. Brüche in den persönlichen Biografien wirken bis heute nach, und viele Regionen wurden deindustrialisiert.
Trotz aller Widrigkeiten, meine Damen und Herren: Die deutsche Einheit ist eine Erfolgsgeschichte.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
Wir sind ein Land, ein Volk und doch unterschiedlich sozialisiert. Das ist kein Problem, sondern aus meiner Sicht eine Bereicherung, wenn wir die Unterschiede verstehen. Manche Entwicklungen sind im Osten eher sichtbar, mancher Protest wird eher und klarer formuliert. Ostdeutsche sind besonders sensibel, wenn sie den Eindruck haben, ihnen wird vorgegeben, was sie zu denken und zu sagen haben. Deshalb muss auch eine Botschaft zu 30 Jahre deutscher Einheit sein: Reden wir mehr miteinander! Hören wir einander mehr zu! Respektieren und tolerieren wir auch andere Meinungen, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Wiedervereinigung ist politisch abgeschlossen, aber, wenn wir ehrlich sind, in den Köpfen noch nicht überall. Daran müssen wir arbeiten. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir nicht mehr über Ost und West sprechen als über Nord und Süd, dass wir keinen Ostbeauftragten der Bundesregierung mehr brauchen und dass es eigentlich überhaupt keine Rolle spielt, ob du in Osnabrück oder Oberwiesenthal, in München oder Dresden geboren bist. Die deutsche Einheit ist dann vollendet, wenn wir sie in unseren Köpfen vollendet haben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Simone Barrientos, Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7474269 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 181 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte "30 Jahre Deutsche Einheit" |