02.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 181 / Tagesordnungspunkt 2

Christian SchmidtCDU/CSU - Vereinbarte Debatte "30 Jahre Deutsche Einheit"

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme nichts als gegeben hin. – Dieser Satz realisiert sich historisch eher selten. Aber er hat sich vor 30 Jahren realisiert. Ich will meinen Vorrednerinnen und Vorrednern zustimmen, die darauf hingewiesen haben. Das war eben nicht die Zeit der Kabinettskriege oder der Kabinettsfriedensschlüsse, sondern das war die Zeit der bürgerlichen Entscheidung. So ist die Bürgerbewegung in der DDR – die Christen, diejenigen, die im Widerstand gegen das dominierende, regulierende, autorisierende totalitäre Regime gewesen sind – diejenige, die den Weg nach vorne gebracht hat, die dafür gesorgt hat, dass wir heute da sind, wo wir sind. Ja, in der Tat tun wir Westler gut daran, zu sehen, dass der wesentliche Teil dieser Entscheidung im Osten entstand, dass die Bürgerinnen und Bürger im Osten ihr Leben und ihr Pfund in die Schale geworfen haben und dass sie auch Verantwortung und Response im Westen gefunden haben. Das allerdings sollten wir auch nicht vergessen. Das war nicht mehr selbstverständlich.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich im Jahre 1981 hier demonstriert habe – „Auf die Dauer keine Mauer!“ – und das Kuratorium Deutsche Einheit verballhornt wurde von den Linken im Westen – da brauchte man gar keine Sozialisten im Osten – und der Gedanke der deutschen Einheit nach unten gefahren und diffamiert wurde. Der Protagonist, der es zeitlich am weitesten – bis in die deutsche Einheit – gebracht hat, war Oskar Lafontaine. Wir sollten uns schon daran erinnern. Gott sei Dank gab es einen Willy Brandt, der in der Lage war – zumindest hat er das versucht –, den Gedanken der deutschen Einheit – das hat damals Willy Brandt mit Helmut Kohl sehr innig verbunden – auch auf solche Freunde der Trennung zu übertragen.

Wir müssen insbesondere Europa danken. Es ist ja fast symbolhaft, dass die Bundeskanzlerin gerade zu dieser Minute den Vorsitz im Europäischen Rat führt und deswegen dieser Debatte zwar nicht beiwohnt, in ihr aber Akzente setzt. Wir sind Europäer und müssen es bleiben. Ralph, du hast es gesagt, Herr Fraktionsvorsitzender: Wir müssen uns dies auch in der politischen Aktivität bewahren. Wir müssen uns vor allem bedanken, sei es bei den Polen, die angefangen haben, das wacklige Fundament des Sozialismus auf der Lenin-Werft in Danzig und in Rom mit einem katholischen Papst zu erschüttern und zum Einsturz zu bringen, sei es bei den Ungarn, die mit dem Paneuropäischen Picknick und mehr dafür gesorgt haben, dass der Stacheldraht durchschnitten wurde, sei es bei den Tschechen, als unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger im Palais Lobkowitz zu Tausenden waren und nicht wussten, wie es weitergeht. Sie alle haben geholfen und nicht gebremst. Mancher Tscheche hat geholfen, dass diese Menschen in ihrer schwierigen Zeit auch Unterstützung bekommen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Danke an die europäischen Mitbürger und danke an die, die verstehen, weswegen Schwarz-Rot-Gold die Farben der Demokratie sind.

Ich werde nie das Frühjahr 1990 vergessen, insbesondere den 18. März 1990, nachdem im Frühjahr 1989 die Kommunalwahlen so grandios gefälscht worden waren und eigentlich den Ausschlag geben hatten, zu sagen: So geht es nicht mehr. – Übrigens, Herr Lukaschenko, ich kann dir nur sagen: Höre die Signale, und siehe, wohin Wahlfälschungen führen.

Ich kann mich, als wir dann in Leuna vorbeifuhren, an Kamine, an Schlote und an rostige Industrie erinnern: alles schwarz-rot-gold beflaggt. Das waren keine Farben der Trennung, der Spaltung oder der Herabsetzung anderer. Manche müssen heute kapieren, um was es geht. Das war das Zeichen der Einheit bzw. der Einigkeit, des Rechts und der Freiheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir Einigkeit und Recht und Freiheit mit den Nationalfarben viel selbstbewusster nach vorne bringen: Das sind die Farben der Demokratie. Die dürfen wir niemandem anderen überlassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sind es, die Hammer und Zirkel herausgeschnitten haben: die Bürger in der DDR. Wir haben es mitgetragen. Wir haben jetzt in Europa Schwarz-Rot-Gold, das auf direktem Weg von 1848 bis hierhin, ins heutige Deutschland und Europa, führt. Das ist die wahre Botschaft, die wir haben müssen.

Noch ein Weiteres. Ein kleines Stück mehr Bereitschaft zu Mut brauchen wir wieder. Wir hatten ein Fenster der Gelegenheit Anfang der 90er-Jahre, als wir bei der Infrastruktur noch in der Lage waren, Straßen zu bauen, ohne Verfahren von 20 Jahren vor uns zu haben. Wir versuchen, das wieder zu erreichen. Lasst uns dieser leider überwiegend westdeutschen, aber von ostdeutschen Komponenten eher noch verstärkten verwaltungsmäßigen und politischen Behäbigkeit ein Stück Mut entgegensetzen! Wir brauchen neuen Mut für Europa. Wir müssen nach vorne gehen, und das wird in unserem Land auch funktionieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Allerletzten. Das ist ein Tag des Glücks und der Freude. Ich habe heute früh gelesen, heute sei der Welttag des Lächelns. Na ja, was auch immer.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber eines weiß ich – da nehme ich mich gar nicht aus –: Wir alle, die wir hier sind, wissen ganz genau, was falsch war und was besser hätte gemacht werden müssen. Aber ein Stück der schieren Freude, dass der Freiheit zum Erfolg verholfen wurde und dass wir uns über solche Probleme und manchmal auch Problemchen unterhalten können, wie wir das heute tun, das dürften wir uns ab und zu oder doch sogar häufiger gönnen.

Wir sollten dem Thüringer folgen, der mir 1990 gesagt hat: Lach doch einfach, und sei froh! Es geht in die richtige Richtung.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: War das der Ramelow, oder wer? – Zuruf von der CDU/CSU: Kemmerich!)

– Er sitzt hier nicht im Raum. Es war jemand, der nicht im Bundestag sitzt, sondern es war einfach ein Bürger, der froh war, dass er an der Grenze zu Franken auf einmal nicht mehr von drei Seiten Stacheldraht umgeben war, –

Herr Kollege Schmidt.

– sondern die Freiheit hatte.

Herr Präsident, ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Marc Jongen, AfD, ist der nächste Redner.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7474272
Wahlperiode 19
Sitzung 181
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte "30 Jahre Deutsche Einheit"
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