02.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 181 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 11

Johannes VogelFDP - Arbeit und Soziales

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat haben wir alle uns wahrscheinlich in dieser Woche über die Nachricht gefreut, dass die Arbeitslosigkeit nicht weiter steigt und auch die Kurzarbeit zurückgeht. Das ist das Ergebnis der tollen Arbeit der Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land, die sich gegen die Krise stemmen. Das ist das Ergebnis der guten Arbeit in der Bundesagentur für Arbeit, die die Kurzarbeit organisiert hat.

(Beifall des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])

Und das ist auch ein gemeinsamer Erfolg von uns allen hier im Deutschen Bundestag; denn die Schnelligkeit, in der die Krisenregeln der Kurzarbeit in Kraft gesetzt wurden, war ja überhaupt nur möglich, weil Regierung und Opposition im März hier an einem Strang gezogen haben. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen für die politische Kultur in unserem Land.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Genauso klar ist aber auch – und das ist richtig –: Die Krise ist weiter sehr ernst. Die Kurzarbeit ist immer noch dreimal so hoch wie in der letzten historischen Krise. In der Tat gibt es viele Risiken für die weitere konjunkturelle Entwicklung. Und deshalb will ich vier Punkte nennen, wo wir uns wünschen würden, dass diese Regierung nachjustiert:

Erster Punkt. Die Talfahrt ist zumindest vorläufig gestoppt. Wir müssen aber aus dem Tal auch wieder raus, lieber Hubertus Heil, lieber Herr Arbeitsminister. Und was tun Sie? Sie verlängern das Kurzarbeitergeld nicht schrittweise, sondern direkt bis nach der nächsten Bundestagswahl. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Wir kümmern uns aber nicht genug darum: Wie entstehen eigentlich neue Jobs? Wie entstehen eigentlich bessere Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum? Da sehen wir von dieser Regierung bisher leider gar nichts. Der Arbeitsminister hat gesagt, die Kurzarbeit sei eine Brücke über das Tal. Das ist richtig. Aber eine Brücke braucht auch ein stabiles Fundament, und dieses Fundament heißt Wirtschaftswachstum, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP)

Warum machen wir es den Unternehmen denn nicht jetzt steuerlich einfacher, in Zukunftsaufgaben zu investieren? Warum entlasten wir sie nicht jetzt bei Neueinstellungen? Warum verkünden Sie nicht jetzt, dass Sie alle weiteren bürokratischen Belastungen, die Sie ja weiterhin planen, für die nächsten Monate zumindest zurückstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition? Mehr Sicherheit gibt es hier nur durch mehr wirtschaftliche Freiheit, und sie zu gewähren, würden wir von Ihnen erwarten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP)

Zweite Bemerkung. Innovation wurde eben zu Recht vom Arbeitsminister genannt. Sie entsteht durch Bildung und Forschung. Sie entsteht durch Einwanderung und Vielfalt, durch Aufstieg. Sie entsteht aber auch durch Gründungen und Unternehmertum. Und Träger dieser Haltung sind die Selbstständigen, die Freelancer in unserem Land. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon bei der ersten Debatte über diese Krise im März habe ich Sie gefragt: Was tun Sie für Selbstständige und Freelancer? – Die Wahrheit ist: Sie lassen sie seit März im Regen stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.

(Beifall bei der FDP)

Die Liste der Probleme ist nicht nur lang, sie ist auch lange bekannt. Was ich spannend finde, ist, dass ich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union – ich spreche Sie mal ganz direkt an –, von CDU-Politikern immer Forderungen in Talkshows höre.

Letzten Sonntag war ich mit Carsten Linnemann, dem Chef des Wirtschaftsflügels, in einer Talkshow. Er sagt: Also, am Dienstag, beim Gipfel, muss sich jetzt endlich was tun für die Selbstständigen in diesem Land. – Was hat sich getan? Nichts.

Vor wenigen Wochen bei „Maybrit Illner“ hat Helge Braun als Bundeskanzleramtsminister gesagt: Jetzt müssen wir aber endlich was tun

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

für die Freelancer und Selbstständigen in diesem Land. – Danach muss er in der Regierungsbefragung einräumen, dass gar nichts passiert.

Peter Altmaier, der Wirtschaftsminister, hat sich auf Twitter dafür gefeiert, was er für Mittelstand und Selbstständige tut. Auf Nachfrage kann er auf die Frage, was er denn für die Selbstständigen tut, nichts antworten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wenn wir die Selbstständigen in diesem Land nicht im Regen stehen lassen wollen, dann dürfen Sie nicht nur in Talkshows etwas fordern, dann müssen Sie auch im Deutschen Bundestag handeln und dürfen Selbstständige nicht länger als Erwerbstätige zweiter Klasse behandeln. Das nenne ich skandalös, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])

Drittes Thema: Homeoffice. In der Tat: Die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen in diesem Land haben in den Monaten des Lockdowns, der Krise beeindruckenden Pragmatismus und Flexibilität gezeigt. Aber, lieber Hubertus Heil, wir hier in der Politik und Sie als Bundesregierung haben den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur zugemutet, dass Homeoffice mit Homeschooling und Home-Kita verbunden werden musste – was sich so nicht wiederholen darf –, sondern wir muten ihnen bis heute auch zu, dass sie alle sich in einer rechtlichen Grauzone bewegen.

Beim Homeoffice müssten eigentlich die Arbeitgeber die heimischen Wohnungen aufsuchen und untersuchen, ob auch der Lichteinfall der Schreibtischlampe stimmt. Wenn mal flexibel am Abend gearbeitet wird, dann geht man am nächsten Morgen in die Illegalität, wenn man schon wieder arbeitet. All das ist so, weil Sie seit drei Jahren nicht in der Lage sind, den Rechtsrahmen zu modernisieren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.

(Beifall bei der FDP – Zurufe der Abg. Kerstin Tack [SPD] und Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb freue ich mich über die Ankündigung, dass Sie das endlich angehen werden.

Aber bis heute haben wir kein Gesetz gesehen. Dabei wäre es so einfach, weil die Niederlande uns seit fünf Jahren vormachen, wie es geht. Dann muss man aber auch Zeit- und Ortsflexibilität zusammenbringen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, und den Rechtsrahmen für Homeoffice und das Arbeitszeitgesetz gemeinsam modernisieren.

(Zuruf von der LINKEN)

Wir werden Ihnen in den nächsten Wochen einen ganz konkreten Vorschlag vorlegen. Und dann warten wir mal ab, was von der Regierung kommt, ob wir da endlich eine Veränderung sehen.

(Beifall bei der FDP)

Lieber Herr Präsident, wenn ich noch eine Minute von der Redezeit meines Kollegen Fricke nehmen darf, der mir seine Zustimmung vorhin signalisiert hat,

(Otto Fricke [FDP]: Ich bin da sozial! – Zuruf: Das ist ja sehr großzügig!)

würde ich als vierten Punkt gerne auch noch kurz auf eine grundlegende Frage dieses Bundeshaushaltes eingehen; denn wir diskutieren ja hier über den Bundeshaushalt. Das ist ja der Abschlusshaushalt und damit auch die Abschlussbilanz dieser Koalition. Und was sehen wir? Die Ausgaben für Bildung und Forschung sinken coronabereinigt, die Ausgaben des BMAS steigen weiter. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es da um die Reaktion auf die Krise ginge,

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Geht es ja!)

dann wären wir alle einer Meinung, dass man in der Krise mutig und entschlossen reagieren muss. Das Problem ist: Im BMAS-Haushalt sind die Ausgaben für die Rente der größte Posten.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Richtig!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie übergeben einen Bundeshaushalt mit alleine 100 Milliarden Euro Zuschuss in die Rente.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja und? Ist doch gut! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Gut so!)

Sie haben eine Viertelbillion Mehrausgaben bis 2030 für die Rente beschlossen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mach das nicht in absoluten Zahlen, Johannes! Das kannst du besser! Mach das in Prozentzahlen!)

90 Prozent davon helfen gar nicht gegen Altersarmut. Und Sie können bis heute nicht erklären,

(Zuruf des Abg. Bernd Rützel [SPD])

wie diese Ausgaben von den Jüngeren in Zukunft finanziert werden sollen. Sie haben jetzt sogar noch die Demografievorsorge aus dem Haushalt gestrichen.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja, wollt ihr die Rente kürzen?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der ganzen Legislaturperiode hieß es immer auf die Frage der Finanzierung: Ja, da warten wir auf die Rentenkommission. – Ich habe mir gestern einmal den Vorhabenplan des BMAS der nächsten Monate angeschaut. Zur Rentenkommission kommt gar nichts mehr, Herr Arbeitsminister, zumindest kann ich es bisher nicht erkennen. Wenn das die Bilanz dieser Bundesregierung ist, muss man sagen: Milliardenschwere Mehrausgaben zulasten der Jüngeren in der Rente – reichlich,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Woher nimmst du das? Rentenausgaben sind nicht zulasten der Jüngeren!)

Maßnahmen zur Stabilisierung in der Rente – gar nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Politik nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“. Das ist unverantwortlich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich weiß doch, wo ich am Tag der deutschen Einheit war, 1990!)

Vielen Dank. – Herr Vogel, Sie haben zwei Minuten der Redezeit von Otto Fricke weggenommen. Er hat Ihnen den kleinen Finger gegeben, und Sie haben gleich zwei davon genommen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist er!)

Nächste Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7474288
Wahlperiode 19
Sitzung 181
Tagesordnungspunkt Arbeit und Soziales
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