Susann RüthrichSPD - Kindeswohl während Corona-Maßnahmen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder in Zeiten von Corona – worüber könnten wir da nicht alles reden!
Vielleicht darüber, dass die Stimmen der Kinder in den ersten Monaten und während der Pandemie so gut wie gar nicht mehr gehört wurden, darüber, dass lange über Kita- und Schulöffnungen nur aus Sicht der Eltern und Arbeitgebenden diskutiert wurde. Die Eltern müssen ja endlich wieder arbeiten können. Dabei sind Kitas, Tagespflegeeinrichtungen, Schule, Horte doch Bildungseinrichtungen für die Kinder, Orte, an denen sie für das Leben lernen, sich einbringen, Freunde, Gleichaltrige treffen.
Wir könnten einmal schauen, welche der in den Bundesländern ja sehr unterschiedlichen Schritte zur Öffnung von Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen nachweislich zu welchen Effekten in Bezug auf das Infektionsgeschehen geführt haben. Wir könnten darüber reden, was es mit den Kindern gemacht hat und noch macht, wenn sie öffentlich über Monate nur noch als Virenschleudern und Superspreader angesehen werden, als Gefahr für die Erwachsenen.
Wir könnten über arme Kinder reden, die mit wenig Platz und Raum für sich klarkommen mussten und noch müssen, denen ihr warmes Mittagessen in der Kita oder in der Schule gefehlt hat und die an der U-Bahn-Haltestelle ins WLAN gehen, damit sie ihre digitalen Hausaufgaben aufs Handy laden können. Wir könnten über Kinder reden, für die die Kita und die Schule sichere Orte sind, weil sie sich zu Hause leider nicht sicher fühlen können.
Wir könnten über Jugendliche reden, die die Welt entdecken und gestalten wollen, sich ausprobieren wollen, für die der Jugendklub aber genauso zu war wie der Sportverein oder der Jugendverband, mit dem sie ansonsten im Sommer ins Zeltlager gefahren wären.
Wir könnten auch über Kinder mit psychischen oder chronischen gesundheitlichen Belastungen sprechen, die vielleicht seltener oder nicht mehr zum Arzt oder zur Ärztin und nicht zur Kur und nicht zur Reha konnten, oder über Kinder, die aus Angst vor Ansteckung die U‑Untersuchungen verpasst haben. Wir könnten über Kinder in Kinderheimen sprechen, die ihre Elternteile wochenlang nicht mal mehr besuchsweise treffen konnten. Wir könnten sogar über geflüchtete Kinder reden, die in den großen zentralen Aufnahmeeinrichtungen keinen Abstand einhalten können und die hier immerhin ein Dach über dem Kopf haben – im Gegensatz zu den Kindern in Moria.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Kurz: Wir könnten also auch darüber reden, wie wir die Kinderrechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung stärken und ins Grundgesetz aufnehmen können, damit sie in der Krise nicht mehr unter die Räder zu kommen drohen. Denn gerade in der Krise zeigt sich ja, ob sich auch Kinder und Jugendliche auf ihre Rechte verlassen können.
(Beifall bei der SPD)
Wir könnten nun endlich darüber reden, Kinderarmut in diesem reichen Land durch eine Kindergrundsicherung abzuschaffen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir könnten über eine viel stärkere Unterstützung für Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Schulpsychologinnen und Schulpsychologen und Schulkrankenschwestern sprechen, über eine bessere Unterstützung von Jugendverbänden und ‑vereinen. Wir könnten überlegen, wie wir die Kinder und deren Meinung selbst mehr einbeziehen: über ein bundesweites Jugendparlament, über einen Jugendbeirat, über eine Kinderfragestunde hier im Plenum.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Worüber reden wir aber stattdessen, werte Kolleginnen und Kollegen? Wir reden wieder mal über das neue Lieblingsthema derer, denen sonst die Themen ausgehen: über Masken. Glauben Sie hier am rechten Rand ernsthaft, dass die Kinder und Jugendlichen im Land gerade keine anderen Sorgen haben?
(Beifall der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD] – Enrico Komning [AfD]: Ja, das glauben wir!)
Oder werfen Sie mal wieder einfach eine Nebelkerze?
(Martin Reichardt [AfD]: Die brauchen wir bei Ihnen nicht zu werfen! Sie stehen doch eh im Nebel!)
Schließlich haben Sie als Partei auf nicht ein einziges der tatsächlichen Probleme der Kinder und Jugendlichen auch nur ansatzweise so was wie eine Lösung anzubieten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])
Das gilt im Übrigen für jede sonstige Herausforderung in diesem Land. Oder habe ich Ihr Rentenkonzept
(Tino Chrupalla [AfD]: Wo ist denn Ihrs? – Martin Reichardt [AfD]: Wo ist denn Ihr Rentenkonzept eigentlich?)
oder was Sinnvolles zu Energiepolitik oder zu Pflege oder zu irgendeinem Thema von Relevanz übersehen? Haben Sie da was? Nein, habe ich nicht übersehen!
(Martin Reichardt [AfD]: Doch! Sie übersehen eine ganze Menge!)
Mittlerweile wissen wir es ja auch aus Ihrem eigenen Munde: Es muss dem Land und den Leuten schlecht gehen, damit es Ihrer Partei gut geht. Deshalb geben Sie sich noch nicht mal den Anschein, für irgendwas eine Lösung zu erarbeiten. Dieser Antrag ist wieder einmal ein Beweis für Ihre Arbeitsverweigerung. Gestern Abend hatten Sie Ihr Pamphlet noch nicht mal vorgelegt. Und deshalb einfach nur: Danke für nichts!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tino Chrupalla [AfD]: Ihre Rede war nichts!)
Vielen Dank, Frau Kollegin Rüthrich. – Nächster Redner ist der Kollege Norbert Müller, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7475275 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 182 |
Tagesordnungspunkt | Kindeswohl während Corona-Maßnahmen |