08.10.2020 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 183 / Tagesordnungspunkt 10

Helge LindhSPD - Fachkräfteeinwanderung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihnen stand schon, Herr Dr. Curio, buchstäblich die Schamesröte ob der eigenen Rede im Gesicht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sie wären fast geplatzt vor Röte. Ich stelle es immer wieder fest, und Ihre Rede war ein Beispiel: Der Nationalsozialismus sitzt wieder im deutschen Parlament, und das ist widerlich.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das, was Sie sagen, ist widerlich!)

Zum Zweiten stelle ich fest, dass die Leute – sogenannte Gastarbeiter und ihre Nachfahren –, die in diesem Land Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, Arbeit leisten, dafür sorgen, dass Sie hier bequem auf Ihren Hintern in den Sesseln sitzen können, coronasatt. Das ist die Realität in diesem Land, mit der wir es zu tun haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich frage mich noch etwas angesichts Ihrer Anwürfe: Was ist wohl größer? Ihre wirtschafts- und sozialpolitische Ahnungslosigkeit oder Ihr Rassismus? Und nach der Rede und dem Antrag lautet meine Antwort: Noch größer ist Ihre Unfähigkeit, zu trauern, und Ihre Unfähigkeit zu Respekt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie kann man es nach Hanau ernsthaft wagen, einen solchen Antrag zu stellen?

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Die Betroffenen, die Opfer, sind selbst Arbeitsmigranten, oder sie sind Kinder und Kindeskinder von Arbeitsmigranten, und Sie machen Stimmung gegen diese Menschen. Schämen Sie sich!

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und zum Zweiten: die Unfähigkeit zum Respekt. Warum gibt es wohl ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz? Natürlich aus wirtschaftspolitischen Gründen; aber auch, weil wir eine Realität in diesem Land anerkennen wollen. Gucken wir uns einmal im Parlament um, und sehen wir, die wir hier sitzen, uns unsere eigenen Biografien an. Und dann gucken wir mal in die Reihen derjenigen, die hier im Bundestag die Toiletten reinigen, die die Räume saubermachen und die dafür sorgen, dass hier nicht alles coronaverseucht ist. Ganz viele von ihnen sind selber als Einwanderer in dieses Land gekommen, oder sie sind Kinder und Kindeskinder von Einwanderern.

Was ist unsere Antwort auf die Probleme dieser Menschen? Die Antwort kann nicht sein, dass wir die Einwanderungsgesellschaft ablehnen, sondern nur, dass wir uns entschieden zu ihr bekennen. Dieses Bekenntnis bedeutet, dass wir auch große Gesten und ein Denkmal setzen müssen – buchstäblich ein Denkmal, das würde mich freuen –, indem wir dieses Bekenntnis zum Beispiel im nächsten Jahr, Ende Oktober, hier im Parlament mit einer Debatte oder einem Festakt „60 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei“, wie auch immer, deutlich machen.

Das Dritte. Gut wäre, wenn es uns tagtäglich gelingen würde, die Leistung derjenigen, die kommen, der Fachkräfte, der mehr oder weniger Qualifizierten, aber auch der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter endlich anzuerkennen; denn das ist dringend notwendig. Dazu würde auch gehören, dass diese Personen bei Kommunalwahlen endlich mal wählen könnten; sprich: Das Wahlrecht für Drittstaatsangehörige gehört aus der Sicht der Sozialdemokratie auf die Tagesordnung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dazu gehört auch, dass der Doppelpass für diese Menschen möglich sein muss. Sie haben jahrzehntelang – zum Beispiel in meiner Stadt – die Straßen gekehrt, für Sauberkeit gesorgt. Sie haben dafür gesorgt, dass wir uns frei in Straßen bewegen können. Und diesen Menschen – was für ein Bild – schütten Sie Ihren Dreck und Ihren geistigen Müll vor die Augen. Das ist widerlich und unerträglich.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deshalb sage ich im Angesicht dieses Antrages – und ich sage das nicht aus sozialdemokratischer Romantik und nicht aus Gefühligkeit, sondern ich sage das für alle in diesem Land in diesem Moment –: Wir schämen uns und wir entschuldigen uns dafür, dass Menschen wie Sie in diesem Parlament sitzen, und wir schämen uns für die aktuellen wie die vergangenen Debatten auf Kosten von Einwanderern.

(Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD])

Umgekehrt verbeugen wir uns vor den Leistungen der Einwanderinnen und Einwanderer. Sie tragen seit Jahrzehnten mit dazu bei, dass dieses Land groß und stark ist.

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Sie sind nicht fremd; sie sind keine Gäste. Sie sind wir, und wir sind sie. Das rufe ich euch zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Gibt es eine Bemerkung zum Nationalsozialismus?)

Ich bin, wie Sie wissen, Herr Baumann, der Auffassung, dass man diesen Begriff nicht inflationär gebrauchen sollte, weil er der geschichtlichen Bedeutung nicht gerecht wird. Das habe ich schon deutlich gemacht.

Aber nach wie vor muss ich auch akzeptieren, dass diese Debatte eine besondere Emotionalität hat. Noch einmal: Ich habe meine Meinung zum Ausdruck gebracht.

Ich finde es auch nicht in Ordnung, wenn ich das einmal sagen darf, dass man von „Menschen wie Sie“ redet und damit Persönlichkeiten abwerten will. Wir sollten darauf achten, dass die persönliche Integrität, auch wenn wir unterschiedlicher Auffassung sind, nie infrage gestellt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nächste Rednerin ist die Kollegin Gökay Akbulut, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

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Electoral Period 19
Session 183
Agenda Item Fachkräfteeinwanderung
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